Ukraine-Krieg: US-Militärhilfe vor dem Aus – Analyse der Alternativen
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US-Militärhilfe steht auf der Kippe. Europa verstärkt Unterstützung, während Kiew die Drohnenproduktion massiv ausbaut. Reichen diese Alternativen? Eine Einschätzung.
Die Regierung Trump erwägt nach den jüngsten Ereignissen nun offenbar, die Lieferung von Ausrüstung an die Ukraine einzustellen. Dies stellt Kiew vor eine existenzielle Herausforderung, nachdem Selenskyj selbst in einem Interview mit dem NBC-Programm "Meet the Press" gewarnt hatte, dass die Ukraine "eine geringe Überlebenschance ohne die Unterstützung der Vereinigten Staaten" hätte.
Drohender US-Rückzug: Existenzielle Gefahr für Kiew?
Ukrainische Militärexperten schätzen die Lage ähnlich ein. Generalleutnant Ihor Romanenko, ehemaliger stellvertretender Leiter des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte, prognostizierte gegenüber Al Jazeera: "Wir werden sechs Monate durchhalten" – ohne US-Militärhilfe. Doch ist diese Einschätzung tatsächlich zutreffend?
Die Mittel für die US-Militärhilfe an die Ukraine sind inzwischen weitgehend aufgebraucht, aber das bedeutet nicht, dass der Fluss an Ausrüstung sofort versiegt.
Aus zuvor angekündigten Verpflichtungen wird weiterhin amerikanisches Gerät in die Ukraine fließen – vorausgesetzt, Trump erlaubt es.
Stillstand in Washington: Keine neuen Waffenpakete für die Ukraine
Die New York Times berichtet, dass seit 50 Tagen kein neues Waffenpaket vom Pentagon angekündigt wurde. Unter der Biden-Administration wurden solche Lieferungen militärischer Hardware etwa alle zwei Wochen angekündigt, manchmal sogar nur fünf oder sechs Tage auseinander.
Ein ehemaliger hochrangiger Verteidigungsbeamter der Biden-Administration sagte der NYT, dass "die letzten der von der Ukraine bei US-Verteidigungsunternehmen gekauften Waffen innerhalb der nächsten sechs Monate verschifft werden würden".
Allerdings deutete ein Beamter der Trump-Administration an, dass "alle US-Hilfen für die Ukraine – einschließlich der letzten Lieferungen von Munition und Ausrüstung, die während der Biden-Administration genehmigt und bezahlt wurden – unmittelbar storniert werden könnten".
Finanzielle Engpässe: Die letzten Reserven schwinden
Laut des Centers for Center for Strategic and International Studies (CSIS) hat der US-Kongress insgesamt 86 Milliarden Dollar für die militärische Hilfe der Ukraine in fünf Zusatzbudgets und im Basishaushalt des Verteidigungsministeriums bewilligt.
Das letzte Hilfspaket wurde im April 2024 verabschiedet, und es ist unwahrscheinlich, dass die Trump-Administration angesichts der jüngsten Ereignisse mehr beantragen wird.
Die New York Times berichtet, dass etwa 3,85 Milliarden Dollar an Mitteln verbleiben, die vom Kongress für zusätzliche Entnahmen aus dem Bestand des Verteidigungsministeriums genehmigt wurden. Doch nach dem spannungsgeladenen Treffen zwischen Selenskyj und Trump im Oval Office könnten selbst diese Mittel in Gefahr sein.
Militärische Lieferungen: Hoffnung auf verspätete Ausrüstung
Trotz der aufgebrauchten Mittel könnte die Ausrüstung aufgrund der langen Lieferfristen noch für einige Zeit weiter fließen. Das CSIS schätzt, dass der Wert der Waffenlieferungen im Jahre 2025 sich sogar noch steigern könnte:
Positiv zu vermerken ist, dass die Vereinigten Staaten im Jahr 2025 deutlich mehr Ausrüstung liefern werden als 2024, sofern die Trump-Administration die Lieferungen nicht unterbricht, wobei die monatlichen Lieferungen von 500 Millionen USD auf 920 Millionen USD steigen.
Diese Lieferungen werden in Verbindung mit der steigenden europäischen Produktion und der Ausweitung der inländischen Produktion die Feuerkraft der Ukraine insgesamt stärken und die hohe gemeldete Abnutzung ersetzen.
CSIS
Der Game-Changer: Drohnenproduktion als Rettung?
Ein entscheidender Faktor für die weitere Verteidigungsfähigkeit, die in vielen Analysen unterschätzt wird, ist die Entwicklung der ukrainischen Eigenproduktion von Kriegsgerät.
Besonders bemerkenswert ist die Produktion von Drohnen – von kleinen FPV-Drohnen (First Person View) bis hin zu Langstrecken-Kamikazedrohnen. Diese Produktion ist seit Beginn der Invasion enorm gestiegen und stellt einen echten Game-Changer auf dem Schlachtfeld dar.
Die Ukraine ist auf dem Weg, im Jahr 2025 2,5 bis drei Millionen Drohnen für militärische Zwecke herzustellen, wie Ivan Havryliuk, erster stellvertretender Verteidigungsminister, in der Kyiv Post mitteilte.
Derzeit produzieren staatliche, private und durch Freiwillige finanzierte Waffenhersteller in der Ukraine etwa 200.000 Drohnen pro Monat, wobei die große Mehrheit aus Kamikaze-FPV-Drohnen besteht, die mit Panzerabwehrmunition oder Antipersonengranaten ausgestattet sind.
Dies ist eine beeindruckende Steigerung: Zu Beginn des Jahres 2024 lieferten ukrainische Hersteller nach Angaben nur etwa 20.000 dieser tellergroßen Quadrocopter pro Monat.
Wie die New York Times aktuell der Leserschaft in einem groß aufbereiteten Artikel vor Augen führt, hat der Einsatz von Drohnen den Ukraine-Krieg auf eine radikale Weise verändert.
Der Bericht spricht davon, dass die ukrainische Seite dank Erfindungsgeist, Tüftlertum und technischem Improvisationstalent auf dem Gebiet der Drohnenentwicklung einiges wettmachen kann, was das russische Militär an materieller Überlegenheit hat – allerdings mit großen Vorteilen der russischen Seite bei der Produktion von Drohnen.
Auch auf Telepolis wurde darauf mehrmals eingegangen.
Unabhängig von den USA? Ukrainische Eigenproduktion im Fokus
Doch zeigt sich hier ein wichtiger Aspekt, den etwa der Militäranalyst Dmitry Kuznets betont: "Die Ukraine ist bei der Versorgung mit Drohnen und deren Komponenten nicht übermäßig von den USA abhängig", erklärt er gegenüber Meduza.
Kuznets argumentiert, dass die ukrainischen Streitkräfte heute möglicherweise besser gerüstet sind, um den plötzlichen Verlust neuer US-Militärlieferungen zu verkraften, "dank der wachsenden Bedeutung von Drohnen".
Die jüngsten Zahlen des ukrainischen Oberbefehlshabers Syrsky bestätigen die entscheidende Rolle der Drohnen in einem Facebook-Post: Im Januar 2025 wurden 66 Prozent der russischen Ausrüstung durch Schläge verschiedener Arten von Drohnen außer Gefecht gesetzt.
Tödliche Effizienz: Warum Drohnen klassische Artillerie verdrängen
Die FPV-Drohnen haben sich als äußerst kostengünstige und effektive Waffen erwiesen. Ein relativ einfaches und leicht zu bauendes Fluggerät, das 300 bis 500 Dollar kostet, hat den Krieg in vielerlei Hinsicht revolutioniert und ist zur tödlichsten Waffe gegen russische Streitkräfte geworden.
Die Kyiv Post rechnet vor, dass die Kosten einer konventionellen 155-mm-Artilleriegranate, die weniger genau ist als eine FPV-Drohne und eine Haubitze im Wert von mehreren Millionen Dollar zum Abfeuern benötigt, sich auf etwa 3.000 Dollar belaufen.
Eine hochwertige Panzerabwehrlenkrakete, die sich auf die dünne obere Panzerung eines Turms einschießen kann, wie die in den USA hergestellte Javelin, kostet etwa 80.000 Dollar für die Rakete und 200.000 Dollar für den Starter.
Westliche Waffen unter Druck: Russische Drohnen schlagen zurück
Die zunehmende Bedeutung der eigenen Drohnenproduktion wird umso deutlicher, wenn man die Verluste bei konventionellem westlichem Gerät betrachtet. Der Defence Mirror berichtet, dass laut Angaben des russischen Drohnenherstellers ZALA nahezu alle von den USA gelieferten M777-Haubitzen durch russische Lancet-Aufklärungs- und Angriffsdrohnen zerstört wurden.
Das deutsche Kiel-Institut bestätigt, dass die USA 142 dieser Haubitzen geliefert haben, während Australien und Kanada sechs bzw. vier beigesteuert haben.
Diese leichten 155-mm-Haubitzen im Wert von etwa 4 Millionen Dollar pro Stück waren eine wichtige Komponente der ukrainischen Artilleriestreitkräfte, wurden jedoch trotz Tarnungs- und Positionierungsbemühungen von russischen Drohnenoperatoren lokalisiert und angegriffen.
Europäische Militärhilfe: Reicht sie aus, um die Lücke zu füllen?
Nach Berechnungen des Kiel-Instituts war die europäische Militärhilfe für die Ukraine mit etwa 1,8 Milliarden Dollar pro Monat mit der Hilfe der USA vergleichbar. Bis zum 31. Dezember 2024 hätten die europäischen Staaten zusammen 132,3 Milliarden Dollar an Militärhilfe für die Ukraine bereitgestellt, die USA 114,2 Milliarden Dollar.
Die New York Times bestätigt diese Einschätzung und weist darauf hin, dass Trump die Höhe der US-Hilfe stark übertrieben und fälschlicherweise behauptet hat, dass die europäischen Beiträge Kredite seien, die Kiew zurückzahlen würde.
Sobald die letzten der von den USA finanzierten Waffenkäufe enden, wird die Hauptquelle der militärischen Unterstützung für Kiew die Ukraine Defense Contact Group sein, ein Zusammenschluss von etwa 50 Nationen, der im April 2022 vom ehemaligen Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III gegründet wurde.
Die Gruppe traf sich während der Biden-Administration 25 Mal, um die Bereitstellung von Waffen und die Entwicklung neuer militärischer Fähigkeiten für die belagerte Nation zu koordinieren. Am 6. Februar 2025 gab das Pentagon bekannt, dass es die Führung der Gruppe an Großbritannien übergibt.
Die europäische Unterstützung war besonders wichtig, als den USA Ende 2023 und Anfang 2024 die Mittel ausgingen, während der Kongress über das nächste Hilfspaket debattierte.
Europa produziert mittlerweile nach Angaben der Times zwei Millionen Artilleriegeschosse pro Jahr, aber das reicht nicht aus, um die Bedürfnisse des Krieges zu decken und gleichzeitig die Vorräte der europäischen Armeen aufzufüllen.
Die britische Times berichtet weiter, dass weniger als ein Viertel der Waffen, die Europa der Ukraine zur Verfügung stellt, tatsächlich auf dem Kontinent produziert werden. Der größte Teil kommt aus den USA, wird aber auch aus Südkorea, Israel und anderen Ländern bezogen.
Ein strategischer Schachzug? Trump könnte Europa in die Pflicht nehmen
Die Kombination aus einer wachsenden Eigenproduktion wirkungsvoller Drohnen, einer verstärkten europäischen Militärhilfe und der Beschaffung von Rüstungsgütern aus Drittstaaten wie Südkorea oder der Türkei könnte es der Ukraine ermöglichen, den Krieg weiterzuführen.
Dennoch bleibt fraglich, ob dies ausreicht, um einen strategischen Sieg zu erringen – insbesondere, wenn die US-Hilfe vollständig ausbleiben sollte.
Doch genau hier könnte Trump einen Schachzug planen: Anstatt die Ukraine direkt zu unterstützen, könnte er darauf drängen, dass Europa für amerikanische Waffen zahlt. Dieses Modell würde nicht nur den US-Haushalt entlasten, sondern auch die heimische Rüstungsindustrie stärken.
Gleichzeitig hätte es geopolitische Implikationen: Während Russland weiter gebunden bliebe, müsste Europa enorme Summen aufwenden, was seine wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gegenüber den USA schwächen könnte.
Sollte zudem ein möglicher Rohstoff-Deal Trumps mit Russland Realität werden, könnte sich das US-Interesse an einer Wiedergewinnung der ressourcenreichen ukrainischen Gebiete nochmals verändern.