Ukraine-Krieg: Untergrundfabriken für Drohnen als Antwort auf Russlands Übermacht

Kleiner Quadrocopter mit FPV Ausstattung. Bild (2018): Rotorjunkies // FPV / CC BY-SA 4.0 Deed

Wie ein Spielzeug die Kriegsführung vollkommen verändert. Es ist der Beginn einer neuen Ära. Die Auswirkungen sind nur schwer vorherzusehen.

Eine einfache, billige, ferngesteuerte Spielzeugdrohne, bestückt mit einem Gefechtskopf der massenhaft verfügbaren sowjetischen Panzerfaust RPG – diese Waffe verändert die Kriegsführung unserer Zeit wie keine andere.

Der erste Einsatz des zur tödlichen Waffe umgebauten Spielzeugs fand vermutlich im Juni 2022 statt. Erfunden haben sie ukrainische Ingenieure.

Der Mangel an Artilleriemunition und die Zerstörung der ukrainischen Rüstungsindustrie haben eine neue Waffe hervorgebracht, die die Artillerie teilweise ersetzen kann: die FPV-Drohne.

Sie wurde zwar von den ukrainischen Streitkräften erfunden, aber die russische Seite hat schnell gelernt, und man kann davon ausgehen, dass die russische Industrie mindestens so viele Drohnen produzieren kann wie die ukrainische.

Guerilla-Produktion von FPV-Drohnen

Die ukrainische Drohnenproduktion könnte einem kleinen Wunder gleichkommen. Zwar gelingt es Russland zunehmend, die ukrainische Industrie durch massive Angriffe mit Langstreckendrohnen, Marschflugkörpern und Raketen auszuschalten – doch die Drohnenproduktion könnte davon unberührt bleiben.

Den ukrainischen Strategen könnte es gelungen sein, die Massenproduktion von FPV-Drohnen radikal zu dezentralisieren. Die Drohnen können am Küchentisch aus Einzelteilen zusammengebaut werden, in einer Doppelgarage können Dutzende und Hunderte der kleinen Drohnen produziert werden.

Die Waffe benötigt keine großen Ressourcen, keine großen Fertigungsanlagen. Oft reichen ein 3D-Drucker und Fertigkomponenten aus China.

Die Ukraine ist zu einer Art Guerilla-Produktion übergegangen, gut getarnt wie Fische im Wasser, in Hinterhöfen, Kellern und Küchen in Wohngebieten, Stadtzentren oder Geschäftshäusern.

Ein Beispiel ist das Projekt "Victory Drones", bei dem Zivilisten in Online-Kursen lernen können, eine Volksdrohne zusammenzubauen. Die Links zu AliExpress mit den notwendigen Einzelteilen für den Eigenbau einer Drohne sind dort zu finden.

Die ukrainische Produktion

Auch deshalb versuchen die russischen Streitkräfte wieder verstärkt, die Energieversorgung zu unterbinden, denn ohne Strom keine Produktion – das gilt auch für die dezentrale, radikale Guerilla-Produktion der ukrainischen FPV-Drohnen.

Und trotz der widrigen Umstände scheint es, den ukrainischen FPV-Manufakturen in diesem Jahr zu gelingen, mehr als eine Million der kleinen Drohnen herzustellen. Das wäre angesichts der russischen Bombardements eine enorme Leistung.

Allerdings bezweifelt Yurii Butusov, Chefredakteur des ukrainischen Nachrichtenportals Censor.net, die Zahlen. Dort wird er mit den Worten zitiert:

Der Oberbefehlshaber Wolodymyr Selenskyj hat über die Versorgung der Armee mit Drohnen gelogen. Drei Monate des Jahres 2024 sind vergangen, in denen Selenskyj versprach, das Militär mit einer Million Drohnen zu versorgen, und der Staat deckt den Bedarf der Verteidigungskräfte an FPV-Drohnen, Mavics und Fluggeräten nicht - die Brigaden erhalten tatsächlich etwa fünf Prozent der von ihnen verwendeten Drohnen vom Staat.

Das Ministerium für Strategie und Industrie gab bekannt, dass es in den ersten beiden Monaten des Jahres 2024 200.000 Drohnen freigegeben habe. Und es ist unklar, wo diese Drohnen sind. Die Truppen haben keine solche Anzahl von FPV vom Staat erhalten.

Man hat den Eindruck, dass die Gesellschaft mit Erklärungen beschwichtigt wird, Geld in den Taschen verteilt wird und niemand für das Ergebnis - die Übergabe von Drohnen an die Brigaden - verantwortlich ist.

Yurii Butusov, Censor.net

Wettlauf mit Russland

Zudem gleicht der Wettlauf mit Russland für die Ukraine einem Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel: Russland schafft es wohl, nicht nur eine Million der Drohnen pro Jahr herzustellen, sondern wahrscheinlich über drei Millionen.

In Russland bedarf es keiner Guerilla-Produktion, sondern hier kann der Staat die Industrie einspannen.

Die FPV-Drohnen sind hauptsächlich berüchtigt dafür, wertvolle Ziele wie Panzer auszuschalten: Eine Waffe, die etwa 500 US-Dollar kostet, kann eine andere im Wert von mehreren Millionen US-Dollar neutralisieren. Jetzt sieht man aber auch den massenhaften Einsatz der FPV-Waffe gegen einzelne Soldaten.

Das bedeutet, dass die Taktik, mit maximal nur einem Zug anzugreifen, um nicht gleich Ziel von Artillerie auf dem "Gläsernen Schlachtfeld" zu sein, zunehmend nicht mehr aufgeht, weil billige FPV-Drohnen scheinbar in Millionenstärke zur Verfügung stehen.

Die nächste Entwicklungsstufe

Der nächste evolutionäre Schritt in der Entwicklung der FPV-Waffe wird der Einsatz von Algorithmen zur Drohnensteuerung, Zielerfassung und -verfolgung sein, also die Kopplung von künstlicher Intelligenz mit dem tödlichen FPV-Gerät. Einzelne Videos von angeblich vollautonomen FPV-Einsätzen kursieren bereits auf Telegram-Kanälen.

Dmytro Prodanyuk, Mitbegründer des ukrainischen Drohnenherstellers Wild Hornets, wird in Forbes mit folgender Einschätzung zitiert::

"Wir glauben, dass der erste Einsatz von künstlicher Intelligenz in etwa einem halben Jahr beginnen wird", sagt Prodanyuk. "In etwa einem Jahr könnten wir einen massiven Einsatz von Drohnen erleben, die selbstständig ein Ziel auswählen und angreifen können. Dann wird sich das Schlachtfeld verändern.

Forbes

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