Ukraine-Krieg: Was der interne Kampf um das Stromnetz bedeutet

Angriff auf Ölspeicher in der Ukraine, März 2022. Bild: Sodel Vladyslav, Shutterstock.com

Kiew entlässt Ukrenergo-Chef Kudrytskyi. Verbündete besorgt über Einflussnahme. Droht nun ein Kampf um das Stromnetz? Ein Bericht.

Die angespannte Lage des ukrainischen Stromnetzes, das unter russischen Luftangriffen leidet, ruft europaweit Besorgnis hervor. Die Entlassung von Volodymyr Kudrytskyi, dem Chef der nationalen Stromnetzgesellschaft Ukrenergo, hat Sorgen der westlichen Verbündeten geschürt.

Im Westen befürchtet man den Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien in Kiew, so das US-Onlinemagazin Politico in einem ausführlichen Bericht. Konkret gehe es um die Befürchtung, politische Interessen könnten das Management des Energieversorgers beeinflussen und somit die Stromversorgung im kommenden Winter gefährden.

Entlassung mit Fragezeichen

Anonyme Quellen in ukrainischen Medien begründen Kudrytskys Entlassung mit Versäumnissen beim Schutz des Stromnetzes vor russischen Angriffen. Diese Erklärung wird jedoch von internationalen Beobachtern angezweifelt.

Kudrytskyi genießt auf internationaler Ebene breiten Respekt für seine Bemühungen, die Stromversorgung trotz der Angriffe wiederherzustellen. Diplomaten und globale Kreditgeber äußerten selten öffentliche Kritik an seiner Entlassung und forderten Kiew auf, seine Haltung zu überdenken. Die G7-Gruppe schloss sich dieser Botschaft an.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Podcast (Podigee GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Podigee GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Im einem Interview mit Politico äußerte Kudrytskyi die Befürchtung, dass die Entlassung Teil eines Bestrebens sei, die Macht zu zentralisieren. Er warnte davor, dass eine direkte Kontrolle des Energiesystems durch die Präsidialverwaltung verheerende Folgen haben könnte.

Ein leitender Beamter in der Administration von Präsident Wolodymyr Selenskyj wies jedoch jede Verbindung des Präsidenten zu Kudrytskys Entlassung zurück und betonte, dass der Schutz des Energiesektors vor Raketen und Drohnen die Hauptaufgabe sei.

Unabhängigkeit in Gefahr?

Unabhängige Energieexperten in der Ukraine sehen die Entlassung Kudrytskys nicht als Einzelfall. Mykhailo Gonchar vom Kiewer Zentrum für Globale Studien weist darauf hin, dass in den letzten Jahren mehrere Energiechefs, darunter auch der Chef des ukrainischen Kernenergieerzeugers, entlassen wurden.

Er plädiert für eine unabhängige Führung der Versorgungsunternehmen, getrennt von politischen Einflüssen, um Fachwissen zu gewährleisten und das Vertrauen internationaler Partner nicht zu gefährden.

Internationale Besorgnis und Forderungen

Vor Kudrytskys Entlassung warnten westliche Geber in einem Brief an den ukrainischen Premierminister Denys Schmyhal vor einer Untergrabung der Unabhängigkeit von Ukrenergo.

Die Unterzeichner, darunter die EU-Botschafterin in der Ukraine, Katarína Mathernová, und Arvid Türkner von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, forderten die Beibehaltung der Unternehmensstruktur und die Bildung eines neuen Aufsichtsrates.

Sie betonten, Veränderungen in der Führung müssten sorgfältig abgewogen werden, insbesondere in Vorbereitung auf den Winter.

Blick auf den kommenden Winter

Der Winter könnte für die Ukraine besonders hart werden. Seit März hat Russland gezielt die Energieinfrastruktur des Landes bombardiert, wobei vornehmlich Kraftwerke im Fokus stehen, deren Reparatur länger dauert.

Mehr als 50 Prozent der Energieerzeugungskapazität des Landes sind verloren gegangen. Obwohl Pläne bestehen, den Energieimport aus europäischen Ländern zu erhöhen, reicht die Kapazität der Verbindungsleitungen nicht aus, um alles zu ersetzen.

Kudrytskyi selbst betonte, es werde von Wetterbedingungen, der Präzision russischer Luftangriffe und deren Umfang abhängen, ob die Ukraine den kommenden Winter unbeschadet überstehe.

Er betonte, dass die unsichere Kontrolle des Energiesystems die Lage nur verschärfe und warnte vor den Gefahren einer solchen Situation: "Wir können hier nicht pokern ... Es ist zu gefährlich."