Ukraine-Krieg: Wer will "nach Berlin durchmarschieren"?

Daunow und Kadyrow. Bild: Бециев Муслим, CC BY-SA 3.0

Der für Russland kämpfende Tschetschenen-Führer Daudow sagte, notfalls "nach Berlin durchzumarschieren". Aussage machte große Schlagzeilen. Aber wer kämpft aus Tschetschenien im Donbass?

Die Ausstrahlung von Siegessicherheit ist eine Spezialität der tschetschenischen Einheiten auf russischer Seite im aktuellen Ukraine-Krieg. Ganz wie ihr Anführer, der moskautreue Regionalfürst Ramsan Kadyrow, strotzen seine Anhänger, die man in Russland auch "Kadyrowzy" nennt, vor Zuversicht; in sozialen Medien sind sie omnipräsent.

Der tschetschenische Führer ist Sohn und Nachfolger von Achmat Kadyrow, der sich im zweiten Tschetschenien-Krieg an die Spitze der moskautreuen Kräfte gestellt hatte. Diese besiegten ihre islamistisch-separatistischen Gegner. Seither nimmt sich Kadyrow große Freiheiten heraus und gibt im Rahmen des Ukraine-Feldzugs den Scharfmacher im Umfeld des Kremls. Magomed Daunow, der Mann, der sich zum Vormarsch nach Berlin bereiterklärte, ist Kadyrows Parlamentspräsident.

Teils kriminelle Freiwillige, fast ohne schwere Waffen

Auch die Kadyrowzy genießen innerhalb der russischen Invasionstruppen eine herausgehobene Position. Formal bilden sie Einheiten der tschetschenischen Nationalgarde. Zum Beitritt muss man kein ethnischer Tschetschene sein: Russen, die in der Republik wohnen, sind ebenfalls dabei. Die Stärke der Truppe wird geheim gehalten, russische Quellen nennen Zahlen zwischen 10.000 und 18.000 Soldaten.

Die Mehrzahl dieser auf Filmaufnahmen stets bärtigen Kämpfer ist wohl freiwillig vor Ort in Donbass. So bot man Häftlingen in dortigen Gefängnissen gegen eine vorzeitige Entlassung die Aufnahme in diese Einheiten an, darunter verurteilten Bandenkriminellen, Räubern und Drogendealern.

Es gibt aber auch Berichte von örtlichen Menschenrechtlern, nach denen es in der autoritären regierten Republik Zwangsrekrutierungen gegeben haben soll.

Einheiten der Nationalgarde verfügen im Gegensatz zur regulären russischen Armee kaum über schwere Waffen. Konzipiert sind sie nicht für Auslandseinsätze, kompensieren aber im Ukraine-Krieg den russischen Mangel an Infanterie. Eingesetzt waren die Kadyrowzy nachweisbar bei der Attacke auf Kiew, auch in Butscha, beim Häuserkampf in Mariupol und bei weiteren entsprechenden Kämpfen um die Donbass-Stadt Rubischne.

Tiktok-Truppe mit mutmaßlichen Kriegsverbrechen

Die Kadyrowzy unterscheiden sich von Truppen der Nationalgarde aus anderen russischen Regionen vor allem durch ihre exzessive Außendarstellung und ihren berüchtigten Ruf. Das Video vom "Durchmarsch nach Berlin", das in Deutschland so viele Schlagzeilen gemacht hat, ist nur eines von vielen markigen und in sozialen Netzen verbreiteten Filmchen.

Sogar als "TikTok-Truppe" werden die Tschetschenen angesichts ihrer vielen echten und inszenierten Schlachtenvideos von der Presse bezeichnet.

Ob die tatsächliche Kampfkraft der Einheiten ihrer Selbstdarstellung entspricht, ist umstritten. Bei ihrem Einsatz in Mariupol bezeichnete sie der Kommandeur der mit ihnen verbündeten Rebelleneinheit "Wostok", Alexander Chodakowsky, als "Sammelsurium aus Polizeitruppen einer Republik, weder richtig ausgebildet noch ausgerüstet". Belegt ist jedoch aus Mariupol, dass sie auch in schwere Häuserkämpfe verwickelt waren.

Den Ruf der Truppe nachhaltig geprägt hat jedoch am stärksten die mutmaßliche Beteiligung an Kriegsverbrechen. So berichteten Bewohner von Butscha über die Einheit

Vor einer Gruppe anderer Militärs kamen Kadyrowzy an unserem Haus vorbei. Ein (russischer) Offizier meinte, wenn die reingekommen wären, wären wir weg. Sie rächen sich gerade wegen einer zuvor zerstörten Militärkolonne und töten wahllos ohne Ziel. Ich hatte Glück.

Kristina, Bewohnerin von Butscha gegenüberdem Online-Portal Insider

Auch der Anteil aus dem Gefängnis befreiter Krimineller macht sich im Verhalten der Soldaten im Kampfgebiet bemerkbar. Die südukrainische Firma Agrotek bezichtigt etwa die Kadyrowzy, Landmaschinen und Traktoren im Wert von einer Million Euro aus einer Niederlassung in Melitopol gestohlen zu haben.

Islamistische Tschetschenen auf ukrainischer Seite

Im Ukraine-Krieg stehen aber nicht nur auf russischer Seite tschetschenische Kämpfer zweifelhafter Herkunft unter Waffen. Gegen die Invasoren kämpfen in speziellen Freiwilligen-Bataillonen der Ukrainer auch etwa 500 weitere Tschetschenen. Diese kleinere Truppe ist ein Überbleibsel der ins Ausland geflüchteten, separatistischen Gegner Kadyrows.

Es handelt sich um Kämpfer der ehemaligen Tschetschenischen Republik Itschkeria, die sich in den Neunzigerjahren von Russland lossagen wollte. Sie war vor der Eroberung durch die Russen und Kadyrows Leute kein demokratischer Musterstaat, auch wenn westliche Staaten ihren Führern seit der Niederlage Asyl gewähren.

Stellen Sie sich ein Scharia-Regime in Tschetschenien vor (…) In Tschetschenien gab es damals in der Volkswirtschaft drei Sektoren: Menschenhandel, Drogen und Brandschatzung. Es gab Posten auf der Straße, die Passanten im Namen Allahs beraubten, abgeschnittene russische Köpfe waren zur Hauptsendezeit im Fernsehen zu sehen:Julia Latynina am 16.06.2008 im oppositionellen Radiosender Echo Moskwy

Die Exilregierung dieses früheren Terrorstaates unter der aktuellen Führung von Achmed Sakajew hat für die Ukraine die Kämpfer rekrutiert. Sakajew gilt in Russland als islamistischer Terrorist und lebt im Exil in Großbritannien. Dieser Umstand zeigt, dass die Akteure im Ukraine-Krieg trotz russischer Grausamkeiten nicht nach einem simplen Gut-böse-Schema zu beurteilen sind.