Ukraine-Krieg: Zeitgleiche Drohnenangriffe auf Kiew und Moskau
Attacken mit Drohnen auf beide Hauptstädte leiten eine neue Kriegsphase ein. Auch Moskauer Reichenviertel im Visier. Ukrainische Offizielle leugnen zunächst Urheberschaft.
Die Nacht und der Morgen zum 30. Mai waren für die Bevölkerung der Hauptstädte beider Krieg führenden Länder sorgenvoll. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe schoss Russland 31 Kamikaze-Drohnen auf Kiew ab, von denen 29 abgefangen worden seien. Zeitgleich meldeten Medien in Moskau bis zu 30 ukrainische Drohnen, mit denen die Region angegriffen worden sei – nach offiziellen Angaben waren es nur acht.
Die offizielle Zahl der russischen Behörden dürfte jedoch zu niedrig gegriffen sein, da selbst die regierungsnahe Zeitung Lenta alleine fünf Drohnen über der Rubljowka Chaussee in der Region Moskau meldete. Diese ist bekannt als Wohnort von Russlands Superreichen und auch vielen hohen Politikfunktionären. Hauptziel der Angriffe war aber das zentralere Stadtgebiet. Eine ganze Flut von Amateuraufnahmen der Drohnen von dort ergoss sich über das russischsprachige Netz.
Der Angriff war erst der zweite auf die russische Hauptstadt und der erste mit einer derart großen Anzahl von Fluggeräten, während die Attacke auf Kiew nach örtlichen Angaben die dritte innerhalb von 24 Stunden war. Allgemein waren in den letzten Monaten Attacken mit vielen kleinen Drohnen außerhalb des Frontgebiets eine russische Spezialität, mit vom Iran gelieferten Modellen. Dies könnte sich mit der gestrigen Nacht geändert haben und auch die ukrainische Seite mehr auf diese medienträchtige Taktik setzen.
Während es in Kiew einen Toten und drei Verletzte gab ist in Moskau nur von zwei Leichtverletzten die Rede. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass gerade die Behörden in Russland zum Erhalt der Moral der Bevölkerung eher geneigt sind, die Auswirkungen von Angriffen auf das russische Mutterland herunterzuspielen, während Kiew i deren Schäden offener darstellt, um westliche Hilfe angesichts der russischen Angriffe zu erhalten.
In Moskau ist von drei leicht beschädigten Gebäude die Rede, in Kiew laut der örtlichen Polizei von zwei brennenden Gebäuden, 50 beschädigten Häusern und drei kaputten Autos.
Militärischer Wert gering, da meist nicht im Ziel
Somit sind die Beschädigungen und Verluste durch die Drohnenangriffe nicht groß. Nach Moskau scheint jetzt jedoch auch Kiew zunehmend auf die Attacken unbemannter Fluggeräte auf das feindliche Hinterland zu setzen. Zwar werden tatsächlich die meisten der Drohnen unterwegs abgeschossen oder durch Jammen von ihren eigentlichen Zielen abgelenkt.
Moskauer Taxifahrer meldeten auch den Ausfall von Satellitennavigationssystem im Umfeld des Angriffs, was auf die Versuche, die Zielsysteme der anfliegenden Drohnen zu stören zurückzuführen sein dürfte.
Somit ist der rein militärische Wert der Attacken gering. Es geht jedoch vor allem darum, unter der Zivilbevölkerung Unruhe zu verbreiten und die Moral zu untergraben, denn immer wieder stürzen abgeschossene Drohnen oder Trümmer, die ursprünglich zu einem militärischen Ziel unterwegs waren, auf Wohnhäuser und zivile Infrastruktur.
Auch riskiert man bei Drohnenattacken anders als bei konventionellen Luftangriffen keine Leben eigener Soldaten, die Fluggeräte sind vergleichsweise eilig und ohnehin meist als Einwegwaffen ausgelegt. Einen anderen Vorteil beschreibt gegenüber dem russischen Medienportal RBK der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Andrej Kartapolow: "Es wird immer ein Schlupfloch geben, durch das eine Drohne fliegen kann, indem sie Gebiete mit aktiver Luftabwehr umfliegt". Die ukrainischen Drohnen wurden auch so tief angeflogen, dass bei Einzelnen der Angriff durch Hängenbleiben an Strommasten und Bäumen scheiterte.
Kiew bekennt sich nicht zu den Angriffen auf Moskau
Schon fast traditionell leugnete die Regierung in Kiew die eigene Urheberschaft des Angriffs auf Moskau. Der ukrainische Präsidentenberater Michail Podoljak scherzte in der ukrainischen Sendung "Breakfast Show", vielleicht seien nicht alle Drohnen bereit, die Ukraine anzugreifen und kehrten stattdessen zu ihren Schöpfern zurück.
Auf direkte Nachfrage erklärte er vieldeutig einem Journalisten: "Wir beobachten das mit Freude und gehen natürlich davon aus, dass die Anzahl dieser Angriffe zunehmen wird", bestritt im Folgenden jedoch erneut eine ukrainische Beteiligung. Dieses Verhalten ist jedoch nicht neu und war kürzlich erst zu beobachten, als aus Exilrussen gebildete Einheiten der ukrainischen Armee die russische Nachbarregion Belgorod überfielen.
Auch im Fall des Anschlags, bei dem die russische Krim-Brücke im Oktober letzten Jahres beschädigt worden war, gab der ukrainische Geheimdienst seine Beteiligung erst vor wenigen Tagen zu. Für den Kreml war die ukrainische Urheberschaft klar – und trotz aller Propaganda der russischen Regierung dürfte zumindest in diesem Fall die Wahrheit näher an der dortigen Darstellung liegen.