Ukraine-Krieg und Taurus-Gate: Die Krim-Brücke im Visier

Lars Lange

Bild (Dezember 2019): Росавтодор / rosavtodor.ru / CC BY 4.0 Deed

Leaks der Gespräche der Luftwaffenoffiziere: Die Brücke als potenzielles Ziel. Welche militärische Auswirkung hätte ihre Zerstörung? Eine Einschätzung.

Nach dem geleakten Gespräch hochrangiger Bundeswehr-Offiziere ist die Krim-Brücke wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Die Planung eines Angriffs auf das Bauwerk, das die Halbinsel Taman mit der Krim verbindet, mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern und die Verschleierung einer deutschen Beteiligung daran standen im Mittelpunkt des Gesprächs.

Teilnehmer war unter anderen der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz. Dieser führt während des Gesprächs aus:

Wir alle wissen ja, dass sie die Brücke rausnehmen wollen. Das ist klar, wissen wir auch, was es am Ende bedeutet … Dann hast du, ist die Versorgung dieser so wichtig – nicht nur militärisch, strategisch wichtig, auch so ein bisschen politisch – ist die gute Insel da ja ihr Herzstück. Jetzt nicht mehr ganz so … ganz so fatal, wo sie ja quasi ihre Landbrücke mehr oder weniger dahin haben, aber … Und da hat man eben Angst, wenn da der direkte Link der Streitkräfte in die Ukraine geht.

Gerhartz spricht in dem geleakten Mitschnitt zwar von einer wichtigen militärisch-strategischen Signifikanz, doch er spricht auch von einer vorhandenen "Landbrücke", denn die Krim ist keine Insel, sondern eine Halbinsel, die fest mit der Region Cherson über Land verbunden ist.

Diese Landbrücke heißt Landenge von Perekop.

Landenge von Perekop

Seit 1783 gehört sie zu Russland und ist an ihrer schmalsten Stelle nur neun Kilometer breit. Dort befinden sich zwei leistungsfähige Verkehrsverbindungen: die Fernstraße M 17 und die Eisenbahnstrecke Cherson – Kertsch, wobei diese Verbindung unterbrochen und für Russland nicht nutzbar ist.

Die Eisenbahnlinie geht ohne Abzweig nach Cherson, das sich zurzeit in der Hand der Ukraine befindet. Zusätzlich führen noch mindestens drei befestigte, lokale Straßen über die Landenge zur Krim.

Keine der angesprochenen Verkehrswege benötigt für die Überquerung der Landenge ein Brückenbauwerk.

Östlich der Landenge

Östlich der Landenge führen auch die M18 und die Eisenbahnlinie Charkow-Sewastopol auf die Krim, aber beide überqueren die Straße von Chongar über eine Brücke.

Die letzte leistungsfähige Straßenverbindung ist die О220706 Landstraße, die über die Straße von Henitschesk vermittels einer Brücke geführt wird.

Anders als die Verkehrsverbindungen über die Landenge von Perekop sind all diese mittels Brücken realisierte Verkehrsverbindungen durch Raketenangriffe verwundbar, Raketenangriffe, die es in der Vergangenheit auch schon gegeben hat.

Angriffe der ukrainischen Streitkräfte

Es gab mehrere Versuche, die Verbindungen zu kappen, die der Ukraine zugeschrieben werden. So wurde die Autobahnbrücke über die Straße von Chongar mit vermutlich mehreren Storm Shadow-Raketen beschädigt. Russland errichtete umgehend eine Pontonbrücke.

Weiter griff die ukrainische Armee die Querung über die Straße von Henichesk am 6. August 2023 erneut mit Storm Shadow-Raketen an. Am 15. August wurde die Brücke nach Reparaturen wieder freigegeben.

All diese Angriffe hatten jedoch keinen signifikanten Einfluss auf die militärische Situation.

Die Krim-Brücke

Nach der Krimkrise von 2014, in deren Verlauf Russland die Kontrolle über die Halbinsel übernahm, sah Russland die Notwendigkeit zum Bau einer Brücke.

Doch zu diesem Zeitpunkt kontrollierte die Ukraine alle Gebiete nördlich der Krim, so dass Russland keine Landverbindungen zur Verfügung standen.

Die Fährverbindung über die Meerenge von Kertsch war zu dieser Zeit Russlands einziger Weg auf die Krim. Die Fährverbindung wurde sowohl von Auto- als auch von Eisenbahnfähren bedient. Die drei speziellen Eisenbahnfähren hatten eine Kapazität von jeweils 25 bzw. 35 Eisenbahnwagons.

Die Fährverbindung war das ganze Jahr über rund um die Uhr in Betrieb, die Fähren verkehrten zwischen den Häfen "Krim" und "Kavkaz", die an der engsten Stelle der Meerenge liegen und weniger als fünf Kilometer voneinander entfernt sind.

Nach der Fertigstellung der Krim-Brücke wurde die Verbindung eingestellt. Doch nach der Explosion auf der Krim-Brücke wurde sie 2022 vorübergehend wieder in Betrieb genommen.

Die auf nur wenige Fährschiffe konzentrierte Verbindung war in ihrer Kapazität limitiert und verwundbar – Russland suchte nach einer anderen Lösung, um die logistische Anbindung der Halbinsel, die es als strategisch wichtig erachtet, zu gewährleisten. Und so begannen russische Arbeiter bereits Anfang 2015 mit dem Bau der Krim-Brücke, nachdem eine Tunnellösung verworfen wurde.

Die Krim-Brücke besitzt zwei Eisenbahngleise und vier Autospuren.

Interessanterweise ist die neue Brücke nicht die erste Querung, die die Meerenge von Kertsch überspannte.

Die Brücke der deutschen Wehrmacht

Nachdem die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg bis auf die Krim vorgedrungen war, begann Deutschland eine Brücke zu bauen, um den von Januar bis Oktober 1943 bestehenden Kuban-Brückenkopf auf der Ostseite der Straße von Kertsch zu versorgen.

Die Trassierung der ersten Brücke folgte nicht dem heutigen Verlauf, sondern verlief einige Kilometer nordöstlich, etwa auf der Relation der oben genannten Fährverbindung.

Die Brücke soll bis zu etwa einem Drittel fertiggestellt worden sein, ehe die abrückende Wehrmacht diese sprengte.

Der Wikipedia-Artikel über die Krim-Brücke gibt hingegen an, dass die nicht fertig gestellte Brücke nach 150 Tagen operabel gewesen sei. Stalin ließ nach dem Abzug der Wehrmacht mit vorgefundenen Bauteilen die Brücke vollenden, und bereits im November 1944 befuhren erste Züge die Brücke.

Eisschollen zerstörten diese allerdings nur drei Monate später. Stalin benutzte die Brücke noch auf seinem Rückweg von der Konferenz von Jalta am 11. Februar 1945.

Neubau der Eisenbahnverbindung Mariopol – Melitopol

Die landseitige, nördliche bestehenden Eisenbahnstrecke Charkow-Sewastopol ist recht frontnah über Tokmak geführt. Um eine relativ sichere alternative Eisenbahn-Route zur Verfügung zu haben, baut Russland zurzeit an einer küstennahen Eisenbahnstrecke zwischen Mariopol und Malitopol über Berdjansk.

In Mariopol wird dieser neue, küstennahe Bypass wieder auf die alte Strecke Richtung Krim einfädeln. Der Nachteil der alten Strecke Charkow-Sewastopol, nämlich die Führung über die Straße von Chongar mittels eines verwundbaren Brückenbauwerkes, bleibt jedoch bestehen.

Strategische Bewertung eines Angriffs auf die Krim-Brücke

Die Krim-Brücke wurde von Russland in einer Zeit geplant und gebaut, als es die Landbrücke zur Krim nicht unter Kontrolle hatte. Heute bedeutet die Krim-Brücke für das russische Militär zusätzliche Optionen für seine Logistikoperationen.

Nur im Falle einer Rückeroberung der verlorenen Gebiete durch die Ukraine, die die russische Landverbindung zur Krim abschneiden würde, hätte die Krim-Brücke eine militärstrategische Bedeutung, denn dann würde sie die einzige feste Verbindung zur Halbinsel für Russland bedeuten.

Doch eine Rückeroberung durch die Ukraine ist nicht zu erwarten, berücksichtigt man die derzeitige militärische Entwicklung.

Die Brücke wird zurzeit nicht unbedingt benötigt. Sie ist eine Abkürzung von Krasnodar aus kommend und eine Beschädigung würde die Logistik für die russische Armee für eine gewisse Zeit umständlicher machen.

Eine Unterbrechung der festen Verbindungen über die Straße vorn Kertsch würde aber die Versorgung der Krim nicht in Gefahr bringen. Diese wäre weiter über zahlreiche Straßenverbindungen, einer Schienenverbindung und einer leistungsfähigen Fährverbindung gewährleistet.

Was ein erfolgreicher ukrainischer Angriff bewirken könnte

Die strategische Bedeutung der Krim-Brücke ist folglich gering und würde für die russische Logistik auf die Halbinsel oder Richtung Front keine Bedeutung haben.

Doch eine Zerstörung der Brücke oder einer Kappung der Verbindung auch nur für eine kurze Zeit hätte einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf die Kampfmoral der ukrainischen Truppen. Ein erfolgreicher Angriff auf die Brücke wäre definitiv eine gelungene Operation im Informationsraum.

Zurzeit befinden sich die Truppen Kiews an allen Fronten auf dem Rückzug. Eine Zerstörung der Brücke – auch wenn sie keine militärische Bedeutung aufweist, kann zumindest für eine gewisse Zeit den kämpfenden Truppen ein Erfolgserlebnis vermitteln.

Über diesen Umweg könnte die Operation eine gewisse Bedeutung gewinnen. Logistisch hingegen wäre sie annähernd bedeutungslos und hätte in dieser Hinsicht keinen Effekt auf den Kriegsverlauf.