Ukraine-Krieg wird (abgereichert) atomar

Themen des Tages: US-Journalist Hersh streitet um Nord Stream. Telepolis bilanziert den Xi-Besuch in Moskau. Und eine neue Kontroverse über Waffenlieferungen an die Ukraine.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Eine Unikarriere als soziale Absicherung – das war einmal.

2. Läuft eine große Verschwörung zu den Nord-Stream-Attentaten?

3. Und auf Seite 2 lesen Sie: Wie Russland und der Westen die Lieferung von Uranmunition an die Ukraine interpretieren.

Doch der Reihe nach.

Nord-Stream: Seymour Hersh in Verschwörungsglauben

Mit der jüngsten Wortmeldung des US-Journalisten Seymour Hersh befasst sich heute Telepolis-Redakteur David Goeßmann. Hersh hatte am Mittwoch auf Berichte der New York Times und der Wochenzeitung Die Zeit über die Sabotageakte an den Nord-Stream-Pipelines reagiert.

Hersh behauptet nun, es handele sich bei den Mediengeschichten um von oben angeordnete Verschleierungsmanöver. Es solle damit der Verdacht von der US-Administration und Präsident Joe Biden als Auftraggeber der Sprengung weggelenkt werden. Goeßmann schreibt über diese Darstellung:

Der Plan für das Cover-up sei beim Besuch des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Washington vor zwei Wochen besprochen worden, so Hersh. Man habe schließlich den US-Geheimdienst CIA gebeten, eine andere Version zur Hersh-Story in Zusammenarbeit mit dem deutschen Geheimdienst zu entwickeln.

Deutsche Unis: Akademiker in Unsicherheit

Die Arbeitsbedingungen von Akademikern beleuchtet heute Telepolis-Autor Bernd Müller. Für viele sei es auch heute noch ein Traum, eine akademische Laufbahn anzustreben, so Müller: "Bis sie mit den prekären Arbeitsbedingungen an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten konfrontiert sind." Ein Problem seien vor allem die Zeitverträge, geregelt im Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG):

In der aktuellen Form des WissZeitVG können Nachwuchswissenschaftler bis zu zwölf Jahre befristet an einer Hochschule oder einem Forschungsinstitut angestellt werden. Diese Qualifikationsphase umfasst sechs Jahre bis zur Promotion und sechs Jahre danach. Wer sich bis dahin nicht habilitiert hat und einen Lehrstuhl oder eine unbefristete Stelle ergattern konnte, fällt aus dem System.

Bernd Müller

Xi in Moskau: Frieden in Anführungszeichen

Mit dem Dreitagebesuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Moskau befasste sich am Mittwoch Telepolis-Redakteur Thomas Pany. "Die ganz große, politisch-kühne Überraschung" wäre es gewesen, wenn Xi Jinping von Moskau nach Kiew gereist wäre, um den ukrainischen Präsidenten Selenskyj zu treffen." Doch daraus werde wohl nichts. Pany dazu:

Es bleiben nur die Spekulationen, ob es vielleicht zu einem Telefonat zwischen Xi Jinping und Selenskyj kommen kann. Angefacht wurden sie unter anderem von einem Exklusiv-Bericht der Washington Post, gut eine Woche vor dem Besuch Xi Jinpings in Moskau.

Der chinesische Friedensplan, in deutschen Publikationen häufig in Anführungszeichen gesetzt, stößt im Westen auf Ablehnung, weil China Russlands Gebietsansprüche unterstützt, auch wenn im chinesischen Papier in Punkt 1 die "territoriale Integrität aller Länder" als Grundsatz herausgestellt wird.

Was die Lieferung von Uranmunition für die Ukraine bedeuten würde

Russland hat seinen Unmut über Pläne Großbritanniens zum Ausdruck gebracht, die ukrainische Armee mit panzerbrechender Munition aus abgereichertem Uran zu versorgen. "Ich möchte darauf hinweisen, dass Russland in diesem Fall gezwungen sein wird, entsprechend zu reagieren", sagte Präsident Wladimir Putin am Dienstag nach einem Treffen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping in Moskau.

Putin fügte an, die russische Regierung werte Urangeschosse als "Waffen mit nuklearer Komponente". Verteidigungsminister Sergei Schoigu sagte: "Natürlich hat Russland eine Antwort parat."

Die britische Regierung hatte am Montag angekündigt, zusätzlich zu den bereits zugesagten Challenger-2-Panzern auch sogenannte DU-Munition an die Ukraine zu liefern. "DU" steht auf Englisch für "depleted uranium", abgereichertes Uran also. Die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Annabel Goldie, sagte bei einer Anhörung im britischen Oberhaus. "Solche Geschosse sind sehr effektiv, um moderne Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aufzuhalten."

Uran ist ein radioaktives Metall. Aufgrund seiner höheren Dichte hat abgereichertes Uran eine größere Durchschlagskraft als Stahl oder Blei. Es durchdringt die Hülle der Zielobjekte und entwickelt aufgrund der Bewegungsenergie und des brennenden Uranstaubs im Inneren der getroffenen Fahrzeuge eine Hitze von tausenden Grad Celsius. Die Besatzung stirbt augenblicklich, zudem kommt es durch die Entzündung der geladenen Panzermunition zu Sekundärexplosionen. Uranmunition wurde in den Kriegen im Irak, in Serbien und im Kosovo eingesetzt.

Der Einsatz der Geschosse ist massiv umstritten. Der Wissenschaftliche Ausschuss für Gesundheits- und Umweltrisiken der Europäischen Kommission stellte sich im Jahr 2010 auf den Standpunkt, es gebe "keine Hinweise auf Umwelt- oder Gesundheitsrisiken" durch abgereichertes Uran: "Die Strahlenexposition durch abgereichertes Uran ist, gemessen an der natürlich vorhandenen Strahlung, sehr gering."

Diese Einschätzung treten Wissenschaftler und Umweltorganisationen entschieden entgegen. Die Ärzte- und Friedensorganisation IPPNW weist auf erhebliche Gesundheitsschäden für die Zivilbevölkerung im Irak hin. Dort hatte die US-Armee in den Kriegen zwischen 1991 und 2003 mindestens 400.000 Kilogramm Uranmunition verschossen. Andere Studien betonen eine Häufung von Krebserkrankungen in Afghanistan, Irak und dem Kosovo.

In der Ukraine würde der Einsatz der umstrittenen Munition wohl eine weitere Eskalation zur Folge haben. Ein russischer Diplomat hatte schon im Januar gewarnt, seine Regierung würde die Verwendung von Uranmunition durch Panzer westlicher Bauart in der Ukraine als Einsatz "schmutziger Atombomben" werten.

Konstantin Gawrilow, Leiter der russischen Delegation bei den Wiener Gesprächen zu Militärsicherheit und Rüstungskontrolle, behauptete, Moskau wisse, "dass der Leopard-2-Panzer sowie Bradley und Marder mit Geschossen mit Urankernen bewaffnet sind". Dies sei eine "nukleare Provokation".

EU-Faktencheck-Seiten hatten die Aussage Gawrilows als Propaganda zurückgewiesen. Tatsächlich nutzt die Bundeswehr keine Urangeschosse, sondern panzerbrechende Munition mit einem Kern aus Wolfram.

In späteren Meldungen russischer Nachrichtenagenturen wird Gawrilow mit der Aussage zitiert, auch der Leopard-2-Panzer "könne" mit Uranmunition ausgerüstet werden. In der Tat werden unterkalibrige Wuchtgeschosse des Typs APFSDS mit Urankern auch für die 120-mm-Glattrohrkanone von Rheinmetall aufgeführt.

Der britische Außenminister James Cleverly hat die Kritik und Drohungen aus Moskau indes zurückgewiesen. Es sei abwegig, von einer nuklearen Eskalation zu sprechen, sagte er am Mittwoch. "Der einzige Staat weltweit, der Nuklearfragen zum Thema macht, ist Russland", fügte er an.

Die Lieferung der Uranmunition sei keine Bedrohung für Russland, sondern helfe der Ukraine, sich zu verteidigen. Es handele sich bei Uranmunition zudem um eine konventionelle Waffe.

Unklar ist, ob Deutschland mit den zugesagten Leopard-2-Panzern auch Wolframgeschosse an die Ukraine liefert. Diese Projektile werden von der Bundeswehr anstelle der Uranmunition eingesetzt, sie stehen gleichwohl im Verdacht, Krebs auszulösen. Eine Anfrage der menschenrechtspolitischen Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Zaklin Nastic, brachte Anfang Februar zunächst keine Aufklärung über die Munitionslieferungen.

Die Ersatz- und Austauschteile sowie die erforderliche Munition für die Kampfpanzer werde noch ermittelt und stehe daher nicht fest, hieß es damals aus dem Verteidigungsministerium. Es sei aber beabsichtigt, die Lieferung von Ersatz- und Austauschteilen sowie der Munition mit der Abgabe der Kampfpanzer Ende März 2023 zu synchronisieren.

Doch auch jetzt gibt sich das Verteidigungsministerium schmallippig. Auf Anfrage von Telepolis nach der erforderlichen Munition hieß es am Mittwoch lediglich, man werde "der Ukraine wie vereinbart Leopard 2 A6 sowie Munition und ein Ersatz- und Austauschpaket zur Verfügung stellen".

Nastic, die sich gerade im Kosovo aufhält, wo während des Krieges 1999 Uranmunition zum Einsatz kam, kritisierte die geplante Lieferung der geächteten Munition scharf. "Es ist bezeichnend für die Bundesregierung, dass sie auf der einen Seite von einer wertegeleiteten Außenpolitik spricht, zur Lieferung von Uranmunition durch ihren Nato-Partner Großbritannien aber schweigt." Die Pläne seien zudem verantwortungslos gegenüber der Ukraine. Denn am Ende würden die Menschen dort "an den Folgen des Einsatzes dieser umstrittenen Munition leiden".

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