Ukraine: Russische Armee in prekärer Lage
Putins Mobilisierungsbefehl war auch eine Reaktion auf die aktuelle Lage an der Front. Die Invasoren befinden sich mittlerweile im Abwehrgefecht.
Bei der Flut an Meldungen über die Mobilisierung von 300.000 Reservisten in Russland ist die tatsächliche aktuelle Kriegslage in der Ukraine etwas aus dem Blickfeld vieler Berichterstatter geraten. Die Kämpfe vor Ort gehen jedoch unvermindert weiter.
Ukrainer dringen in Region Lugansk ein
Am 19. September ist die ukrainische Armee erstmals nach der Eroberung von Lissitschansk vor einigen Monaten wieder in die Region Lugansk ganz im Osten der Ukraine eingedrungen, die ansonsten komplett von den Truppen Russlands und der prorussischen Separatisten beherrscht wird. Der ukrainische Gouverneur der Region, Serhij Gaidai, verkündete an diesem Tag die Eroberung des Ortes Belogorowka. Ob ein tieferes Eindringen in den Lugansker Raum ebenfalls gelingt, ist jedoch noch nicht entschieden.
Die russische Armee befindet sich also weiterhin in einem heftigen Abwehrgefecht unter teilweise prekären Bedingungen. Die exilrussische Onlinezeitung Meduza berichtet davon, dass die Abwehrbemühungen nach dem Rückzug aus der Region Charkow dadurch erschwert werden, dass die Russen bei ihrer überstürzten Flucht von dort "Hunderte von gepanzerten Fahrzeugen und Artillerie" zurückgelassen hätten, die nun an der neuen Front fehlten.
Mobilisierung wegen fehlender Reserven
Ein Problem der Russen an der Front sei laut Meduza weiter das Fehlen von personellen Reserven, das auch zu Putins Mobilisierungsentscheidung geführt habe. Tatsächlich würden 300.000 zusätzliche Soldaten die Kräfteverhältnisse vor Ort entscheidend verändern. Wie sich jedoch die Kampfmoral der russischen Armee verändert, wenn an der Front eine große Anzahl von zwangsrekrutierten Reservisten eintrifft, bleibt abzuwarten.
Zwangsrekrutiert ist auch ein Teil der Streitkräfte der Separatisten im Donbass, die nach der in Aussicht stehenden Annexion durch Russland in die russische Armee überführt werden sollen. Sogenannte Referenden über den Beitritt der besetzten Gebiete zur Russischen Föderation starteten heute, russische Medien berichten von ukrainischem Beschuss in die Gebiete, wo es zu den Abstimmungen kommt.
Die Ukrainer haben die Teilnahme an den Referenden unter Strafe gestellt und es wird von russischer Seite vermutet, dass sich auch mit militärischer Gewalt den Ablauf der Referenden stören wollen.
Warten werden die russischen Formationen vor Ort auf nun zusätzlich ausgehobene Truppen noch einige Zeit, da sie erst von der Ausbildung auf den neusten Stand gebracht werden und in bestehende Einheiten eingegliedert werden müssen. Zur Sowjetzeit existente Stabseinheiten mit dauerhaft Dienst leistenden Offizieren, die nur durch mobilisierte Reservisten aufgefüllt werden müssen, wurden im Zuge von Armeereformen der 2010er Jahre aufgelöst.
Kampfpanzer für die Ukraine scheitern nicht am Willen
So herrscht laut dem US-Sender CNN bei der Armeeführung aktuell Ratlosigkeit, wie man genau die ukrainischen Vorstöße vor Ort aufhalten soll. Putin soll dem laut den US-Geheimdiensten dadurch begegnen, dass er selbst seinen Generälen militärische Anweisungen erteilt, die über Strategien uneinig sind.
Doch auch bei den Ukrainern und ihrer Offensive läuft aktuell nicht alles so glatt wie gewünscht. Eine wichtige Waffe bei Offensiven bleiben Kampfpanzer, weshalb Kiew schon seit geraumer Zeit versucht, deutsche Leopard 2-Panzer und amerikanische M1 Abrams zu bekommen. Die US-Amerikaner haben hierbei wahrscheinlich wenig Gewissensbisse, solche Offensivwaffen ins Kriegsgebiet zu liefern, scheitern aber laut dem Magazin Politico an ganz banalen logistischen Problemen. Denn neue Panzermodelle brauchen auch Logistik, wie Ersatzteile, Werkstätten und Spezialschulungen - und hier seien die Ukrainer gar nicht auf westliche Panzermodelle eingestellt. Panzer "sind keine Mietwagen" bringt ein US-Vertreter das Lieferproblem auf den Punkt.