Ukraine: Welche Folgen hat der Sieg von Russland in Bachmut für den Krieg?

Ukrainischer Schützengraben bei Bachmut. Bild: Viktor Borinets, CC BY 4.0

Ein Symbolsieg mit umstrittener strategischer Bedeutung für Russland. Macht von Wagner-Chef Prigoschin nicht gestärkt. So läuft die Debatte um die Perspektiven.

Mit zahlenreichen pathetischen Kommentaren haten Anführer beider Seiten im Ukraine-Krieg der Schlacht von Bachmut eine hohe symbolische Bedeutung verliehen. Die russische Eroberung nun ist der einzige, späte Erfolg russischer Offensiven in den letzten Monaten.

Dementsprechend wird er von Regierungs- und Militärvertretern in Russland ausgekostet. Juri Schwytkin vom Verteidigungsausschuss der russischen Staatsduma sprach gegenüber dem Onlineportal Lenta von einem "wichtigen Ereignis" mit strategischer Bedeutung, das vor allem einen "Imageverlust für die Streitkräfte der Ukraine hat".

Rückschlag für Kiew

Während der Schaden für Kiew unbestreitbar ist, bleibt die strategische Bedeutung des Ortes an sich unter Militärexperten umstritten. Bachmut war zwar vor dem Ukrainekrieg ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. "Nach der Niederlage der Ukraine im Sommer 2022 in der Region Lugansk verloren die durch Bachmut führenden Straßen jedoch ihre generelle Bedeutung für die Verteidiger" schreibt die militärische Analyseabteilung der exilrussischen Onlinezeitung Meduza.

Man habe die Stadt von ukrainischer Seite hart verteidigt, da man nach dem Verlust von Lisitschansk und Sewerodonezk im letzten Sommer generell keine Städte mehr verlieren wollte.

Ob die Kämpfe um die Stadt wirklich abgeschlossen sind, ist zur Stunde noch nicht gesichert. Auch russische Medien berichten unter Berufung auf Militärkorrespondenten vor Ort, dass einzelne ukrainische Einheiten es nicht geschafft hätten, sich mit der Hauptstreitmacht aus der Stadt zurückzuziehen. Sie würden sich aktuell noch in den Ruinen verstecken.

Das wäre eine mögliche Erklärung von Aussagen des Selenskyj-Beraters Nikiforow, dass die Kämpfe um Bachmut noch nicht vorbei seien und man entsprechende anmutende Aussagen von Präsident Selenskiy gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, falsch interpretiert habe.

Aus Bachmut wird Artjomowsk

Die tatsächliche Kontrolle der Stadt durch russische Truppen – sei es nun zu 99 oder 100 Prozent, ist jedoch ein Fakt und wird von den Eroberern mit zahlreichen gehissten Flaggen über dem Stadtgebiet und Videoaufnahmen belegt. Zu sehen sind darauf jedoch nicht nur feiernde russische Söldner und Soldaten, sondern auch der furchtbare Zustand des Ortes, den man als reine Trümmerwüste bezeichnen muss.

Für diese bedeutet die Eroberung durch russische Truppen vor allem eine Änderung ihres Namens für die Dauer der Besatzung. Russische Presse nutzt bereits seit längerem den alten sowjetischen Namen der Stadt Artjomowsk, der nun auch offiziell das bezeichnen wird, was von Bachmut übrig ist.

Von einstmals 72.000 Einwohnern ist nur noch ein kleiner Bruchteil in der Stadt, die meisten sind vor dem Kämpfen geflohen. Da die Übernahme Bachmuts durch russische Söldner des Söldnerunternehems PMC Wagner und andere Einheiten sehr mühselig Häuserblock für Häuserblock erfolgte, retteten sich fast alle in ukrainisch kontrolliertes Gebiet, anders als etwa in Mariupol, wo die Flüchtenden von den Angriffsspitzen der Russen oft überholt wurden und sich deswegen teilweise im russisch kontrollierten Hinterland in Sicherheit brachten.

Mit einer Rückkehr der Einheimischen ist deshalb und wegen des allgemeinen Zustands der Donbass-Stadt auf absehbare Zeit nicht zu rechnen.

Ob die russische Zeit in Bachmut länger andauert, wird von allem vom Erfolg der allseits erwarteten Gegenoffensive der Ukraine abhängen. Dass es hier einen entscheidenden Vorstoß wiederum bei Bachmut gibt, damit rechnet nur eine Minderheit der Militärstrategen. Meduza hält es jedoch für möglich, dass ein Scheinangriff der Ukrainer auf Bachmut erfolgen könnte, wegen des Prestigewerts der Eroberung der Stadt für Moskau.

So könnten dort dauerhaft russische Truppen gebunden werden, während der Hauptvorstoß woanders erfolge, etwa im Süden der Front zur strategisch wichtigen Küste des Asowschen Meeres.

Prigoschins Macht wird nicht wachsen

Hinter der Front in Russland stellt sich die Frage, ob die Eroberung der Stadt die Stellung des Söldnerführers und Oligarchen Jewgeni Prigoschin stärkt. Angesichts seiner harten öffentlichen Angriffe auf das Verteidigungsministerium in Moskau wegen des Umfangs von Munitionslieferungen stellte sich die Frage, ob er seinen recht großen Freiraum bei öffentlichen Äußerungen überspannte. Nun haben vor allem seine Söldner die einzige vorzeigbare Eroberung der Russen seit Monaten errungen.

Der russische Kremlkenner Andrej Perzew glaubt in einer Analyse dennoch nicht an eine "Machtübernahme" von Radikalen wie Prigoschin. Der Kreml werde ihnen keine reale Macht geben und unter den Russen genössen solche "Ultrapatrioten" kaum Unterstützung.

Sie sprächen sich für eine Generalmobilmachung aus, die unter der Bevölkerung äußerst unpopulär sei. Auch sei Prigoschins Söldnertruppe in Bachmut erheblich dezimiert worden, mit anderen radikalen Kräften gebe es ein angespanntes Verhältnis.

Selbst der zweite prominente Akteur aus diesem Segment, Ramsan Kadyrow, kritisiere Prigoschin, wenn er rote Linien überschreite und halte ihm trotz aller Verbrüderungsszenen nicht die Stange.