Ukraine "absolut kampfbereit" gegen Migranten
Ein Video soll einen Angriff des ukrainischen Militärs auf Geflüchtete zeigen. Oder war es nur eine Übung? Der Fall wirft Fragen auf
Hat ukrainisches Militär auf Migranten geschossen? Im Netz zirkuliert derzeit ein Video, das dies nahelegt. Die Grenzschutzbehörde in Kiew bezeichnet es zwar als Fälschung. Es könnte tatsächlich auch eine der derzeit stattfindenden Übungen im Rahmen der Sonderoperation "Polissya" gefilmt worden sein. Das macht die Sache aber nicht besser.
Die ukrainische Regierung befürchtet, dass Belarus Migranten und Geflüchtete auch in Richtung der Ukraine lenken könnte, wo man – wie in Polen oder den baltischen Ländern – ebenso wenig bereit ist, diese Menschen aufzunehmen.
Gut möglich, dass die Ukraine die Befürchtung auch an die große Glocke hängt, um von der Aufmerksamkeit zu profitieren, die vor allem Polen zukommt. Warschau sieht sich einer hybriden Kriegsführung mit "Migranten als Waffen" gegenüber und hat viel Solidarität erfahren.
Die Ukraine hat jedenfalls an der bislang offenen Grenze zu Belarus die "Operation Polissya" gestartet, um diese vorwiegend vor möglichen Migranten zu schützen. Aufgeboten werden Grenzschutzeinheiten, Soldaten der Streitkräfte und der Nationalgarde, die auch mit der Luftwaffe, Drohnen und Überwachungstechnik Migranten abwehren sollen. Man werde zur Not auch von Schusswaffen Gebrauch machen, drohte der ukrainische Innenminister.
Möglicherweise ist genau dies geschehen, wie das aufgetauchte Infrarot-Video nahelegt, das angeblich an der belarussisch-ukrainischen Grenze entstanden ist. Es soll zeigen, wie am 29.11. ukrainische Soldaten der 61. Brigade in der Nacht auf Migranten geschossen haben.
Auf Facebook gestellt hatte es Vasil Rumak, der es von einem Freund erhalten haben will. Es sehe alles nach einer Provokation aus, er könne nicht sagen, ob ukrainische Soldaten zu sehen seien. Entweder er oder Facebook haben das Video mittlerweile unzugänglich gemacht, aber es wurde natürlich kopiert und ist weiter vorhanden.
Ein Manöver wäre auch nicht besser
Genaueres sieht man auf dem Video nicht. Es taucht eine Gruppe von Menschen auf, die vorsichtig in einer Kette gehen, aber kein Gepäck bei sich zu haben scheinen.
Die vorderste Person fällt plötzlich, die anderen ergreifen die Flucht oder werfen sich zu Boden, sie wehren sich nicht, Bewaffnete stürmen heran und geben vermutlich weitere Schüsse ab.
Am Ende der Aufnahme sieht es so aus, als würden zwei Körper über den Boden geschleift und an einer Stelle ableget. Es könnte auch eine Übung zur Migrantenabwehr sein. Es wäre aber auch schon menschenverachtend, den Schusswaffeneinsatz gegen Migranten oder offensichtlich Unbewaffnete zu trainieren.
Als Standort wird auf dem Film Priluki angegeben, das ist eine ukrainische Stadt in der Nähe der Grenze, etwas westlich von Tschernobyl.
Der ukrainische Grenzschutz bezeichnet die Informationen als "unwahr und gefälscht". Es seien keine Gruppen illegaler Migranten an der belarussischen Grenze und in der Tschernobyl-Zone gesichtet worden.
Die Bürger werden aufgefordert, keine Informationen über gefälschte Quellen zu verbreiten, die von der russischen Propaganda verwendet werden. Man solle nur offiziellen Informationen vertrauen.
Allerdings werden auch keine Erklärungen angeboten, wer das Video in welchem Zusammenhang gemacht hat und warum es eine Fälschung sei.
Inzwischen berichtete die Grenzschutzbehörde von der Festnahme von sechs "illegalen" Migranten in Mukatschewo in der Region Transkarpatien nahe der polnischen Grenze.
Sie saßen demnach in zwei Fahrzeugen, die von Ukrainern gefahren wurden. Es soll sich um Männer aus Bangladesch, Indien und Pakistan handeln.
Militärische Abwehr von Migranten
Am 30. November wurde wieder von taktischen Übungen im Rahmen der Sonderoperation "Polissya" in allen fünf an Belarus angrenzen Oblasten berichtet.
Innenminister Denis Monastyrsky erklärte, Einheiten wären in 30 bis 60 Minuten an den Grenzorten gewesen, wo der Geheimdienst Migranten erspäht hat:
Die Abfolge der Ereignisse wird wie folgt sein: Informationen von Geheimdiensten einholen, Kräfte und Ressourcen an Stellen lenken, an denen die Möglichkeit besteht, dass Migranten die Grenze überqueren, als erstes werden Grenzschutzbeamte vor Ort sein. Dann schließen sich die Kräfte der Nationalpolizei und der Nationalgarde an, die im Falle eines illegalen Überschreitens der Staatsgrenze absolut kampfbereit sind.
Innenminister Denis Monastyrsky
Es würden Szenarien geübt, um große Gruppen von Migranten abzuwehren, die Grenzbarrieren durchbrechen, aber auch die Festnahme von großen Gruppen, die bereits über die Grenze gekommen sind.
Das macht es wahrscheinlich, dass es bei den Szenen auf dem Video vom 29.11. um eine solche Übung handelt.
Auf dem vom Grenzschutz selbst veröffentlichten Video werden mit Komparsen gespielte Übungen zur Abwehr von großen Migrantengruppen an der Grenze gezeigt, untermalt von dramatischer Musik.
Möglicherweise wurde auch in der Nacht der Einsatz von Schusswaffen gegen Migranten geübt. Das könnte der Innenminister gemeint haben, als er sagte, die Truppen seien "absolut kampfbereit".
Dieser Text ist zuerst bei unserem Partnerportal krass & konkret erschienen