Ukraine stellt übliche Auffassung vom Seekrieg infrage
Seite 2: Das Ende der Seemacht, wie wir sie kennen?
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Die umfassendere Frage, die ernsthaft diskutiert und analysiert werden muss, ist, ob die Verbreitung dieser mobilen Langstreckenraketen, Drohnen und anderer Waffen das Ende einer Ära markiert, in der sich die etablierten Seestreitkräfte unaufhaltsam auf den Bau von weniger und immer teureren Mehrzweckschiffen konzentriert haben.
Nach Angaben des Congressional Research Service wird etwa die neueste Mehrzweckfregatte der Constellation-Klasse der US-Marine, die sich derzeit im Bau befindet, mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Schiff kosten – im Rahmen eines Programms, das die Lieferung von 20 Schiffen in den nächsten zehn Jahren vorsieht.
Die exorbitanten Kosten dieser Schiffe stellen selbst für die USA mit ihrem jährlichen Verteidigungsbudget von über 700 Milliarden US-Dollar eine starke Einschränkung für die Anzahl der zu beschaffenden Schiffe dar. Das Paradebeispiel für teure Marineschiffe ist der Flugzeugträger der Ford-Klasse, dessen Kosten für die fünf Schiffe dieser Klasse auf jeweils über 13 Milliarden US-Dollar geschätzt werden.
Die Auswirkungen des Seekriegs im Schwarzen Meer werfen ernsthafte Fragen auf, ob es sich nicht nur in den USA, sondern auch anderswo lohnt, derart hohe Summen zu investieren. Wenn Schiffe im Wert von einer Milliarde oder mehr Dollar mit Raketen und/oder Robotern, die nur einen Bruchteil der Kosten dieser Schiffe ausmachen, gefährdet (und versenkt) werden können, dann sollte die Kalkulation, die den Bau teurer Mehrzweckschiffe erforderlich macht, ernsthaft überdacht werden.
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Es ist unwahrscheinlich, dass Institutionen wie die US Navy aus dem ukrainisch-russischen Seekrieg generelle Lehren ziehen und ihre geschätzten und in der Vergangenheit bewährten Systeme freiwillig aufgeben werden. Die Karrierepfade der fest verankerten Berufsoffiziere machen es der Marine beispielsweise nahezu unmöglich, ihre Flugzeugträger, die bei Indienststellung ebenfalls eine Lebensdauer von 50 Jahren haben, außer Dienst zu stellen. Die Beschaffung neuer Systeme, die diese Gemeinschaften auflösen oder gefährden würden, würde eine völlige Umgestaltung des Marinedienstes bedeuten.
Eine grundlegende Änderung der Streitkräftestruktur der Marine würde bedeuten, dass man sich mit diesen etablierten und mächtigen Gemeinschaften auseinandersetzen und, was vielleicht am wichtigsten ist, das Personalsystem ändern müsste, auf das die Marine und das Land angewiesen sind. Nichts, was man leichtfertig tun sollte.
Leider ist auch der Kongress Teil des Problems. Er entscheidet sich für die Politik der "Schweinefleischfässer". Damit ist eine Praxis gemeint, bei der Politiker mit öffentlichen Geldern Projekte finanzieren, die in erster Linie den eigenen Wählern oder Anhängern zugutekommen. Im Gegenzug werden politische Unterstützung oder Gefälligkeiten erwartet. Etwa eine Politik, die darauf abzielt, Arbeitsplätze in den eigenen Bezirken zu sichern, anstatt eine wirksame Kontrolle auszuüben und neue Richtlinien für Politik und Beschaffung zu erwägen, die wahrscheinlich nicht von der Institution selbst kommen.
Die ersten Lehren aus dem Seekrieg im Schwarzen Meer deuten jedoch darauf hin, dass die etablierten Denkweisen über Seestreitkräfte, ihre Ziele und ihre Verwundbarkeit ernsthaft analysiert und überdacht werden müssen. Ein Paradigmenwechsel in der Seekriegsführung könnte bereits im Gange sein. Vor allem sollten wir versuchen, einen Schock auf dem Schlachtfeld wie in Pearl Harbor zu vermeiden. Und der uns daran erinnert, dass wir vor vielen Jahren hätten wachsamer sein müssen, als iranische Erdbewegungsmaschinen begannen, ihre Betontunnel für Anti-Schiffsraketen entlang der Küste des Persischen Golfs zu bauen.
James Russell ist außerordentlicher Professor in der Abteilung für nationale Sicherheitsfragen an der Naval Postgraduate School in Monterey, Kalifornien. Die hier geäußerten Ansichten sind seine eigenen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier. Übersetzung: David Goeßmann und Bernd Müller.
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