Ukraine verliert Schlüsselbastion: Ist der Donbass verloren?

Soldat der ukrainischen Spezialkräfte in Uniform geht vor dem Hintergrund eines zerstörten Hauses.

Ukrainischer Soldat. Bild: Melnikov Dmitriy / Shutterstock.com

Wuhledar vor dem Fall: Russen dringen in den Stadtrand ein. Nachschublinien fast abgeschnitten. Droht nun der Verlust des gesamten Donbass?

Im Osten der Ukraine, inmitten der umkämpften Region Donezk, erhebt sich die kleine Stadt Wuhledar wie ein Bollwerk. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges ist der unscheinbare Ort zum Symbol des ukrainischen Widerstands geworden und kann aufgrund seiner starken Verteidigungsanlagen und seiner dichten Bebauung als "Festungsstadt" bezeichnet werden.

Die strategische Bedeutung Wuhledars kann kaum überschätzt werden. Auf einer Anhöhe gelegen, bietet die Stadt eine natürliche Verteidigungsposition, die von den ukrainischen Streitkräften seit 2014 geschickt ausgebaut wurde.

Eckpfeiler der ukrainischen Strategie im Donbass

Als wichtiger Knotenpunkt für die Verteidigung des westlichen Donbass stellt Wuhledar ein entscheidendes Hindernis für russische Vorstöße in der Region dar: Hier stößt die ukrainische Ostfront auf die Südfront, Wuhledar ist ein Eckpfeiler der ukrainischen Strategie im Donbass.

Mit knapp 15.000 Einwohnern gilt es zwar als Kleinstadt. Es handelt sich aber um eine so genannte "Siedlung städtischen Typs" mit massiven vier- bis achtstöckigen Plattenbauten, die nicht nur den Verteidigern einen guten Schutz bieten, sondern auch einen guten Überblick über die umliegenden flachen Felder.

Schauplatz erbitterter Kämpfe

Die Hartnäckigkeit, mit der die ukrainischen Verteidiger die Stadt halten, hat bereits mehrere russische Offensiven zum Scheitern gebracht. Besonders Anfang 2023 war Wuhledar Schauplatz erbitterter Kämpfe, bei denen die Angreifer erhebliche Verluste hinnehmen mussten, ohne nennenswerte Geländegewinne zu erzielen.

Doch das könnte sich nun sehr schnell ändern, denn die kleine ehemalige Bergarbeiterstadt steht kurz vor dem Fall.

Der russische Vorstoß

Das stellt eine bemerkenswerte Entwicklung in der fortlaufenden russischen Offensive im Donbass dar. Obwohl es hinter Wuhledar weitere, aber schwächere Verteidigungsanlagen gibt, würden die ukrainischen Streitkräfte eine seit zehn Jahren gut ausgebaute Festung verlieren, deren Ausbaustand unter Kriegsbedingungen und unter Beschuss nur schwer wieder zu erreichen sein wird.

Die nächste augenscheinlich gut ausgebauten Stellungen liegt bei Uspenivka, etwa 15 Kilometer nördlich von Wuhledar entfernt und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für den Nachschub in der Region, dann weiter bei Welyka Nowosilka, das sich knapp 30 Kilometer westlich befindet, und dann nördlich bei Andrijiwka, ebenfalls etwa 30 Kilometer von Wuhledar entfernt.

Dazwischen sind nur kleine Stellungen, die den russischen Truppen nur wenig Widerstand bieten dürften: Hinter Wuhledar beginnt die letzte Verteidigungslinie der ukrainischen Streitkräfte im Donbass.

Die Geschwindigkeit, mit der die Russen in den letzten Wochen auf Wuhledar vorrückten, ist überraschend. In der Vergangenheit hatten die mechanisierten Einheiten Moskaus bei Versuchen, die Stadt anzugreifen, schwere Verluste erlitten.

Doch diesmal lief der Angriff organisierter, methodischer.

Russische Kräfte konnten sich in den vergangenen Wochen und Monaten immer weiter an die Bergbaustadt heranarbeiten, konnten O0532 überschreiten, die einzig durchgängig befestigte Straße, die noch als Nachschubverbindung in die Stadt hinein zur Verfügung stand.

Dann fiel die Kohlemine Pivdennodonbaska 1. Doch jetzt gelang es russischen Truppen sogar, in den südöstlichsten Zipfel des Städtchen einzudringen. Zudem stehen russische Spitzen nur zwei Kilometer von der jetzt wichtigsten Nachschubverbindung entfernt.

Es gibt außer dieser Verbindung nur noch einen unbefestigten Feldweg, über den Nachschub in die Stadt hinein gelangen kann, doch auch hier sind russische Truppen nur rund 1,5 Kilometer davon entfernt, diese auch physisch zu trennen.

Operative Einkesselung und logistische Probleme

Die Lage in Wuhledar stellt sich für die ukrainischen Verteidiger als äußerst prekär dar. Nachschub kann jetzt kaum noch in die Kleinstadt kommen, auch wird es jetzt schwierig werden, Verwundete abzutransportieren oder frische Truppen in die Stadt zu bekommen.

Doch frische Truppen hat die Ukraine nur noch wenige, wertvolle Reserven sind für die Kursk-Offensive verwendet worden.

Wuhledar ist jetzt operativ eingekesselt, das bedeutet, dass es zwar keine vollständige Einkesselung gibt, dass aber die Kosten für die Versorgung für die Verteidiger dadurch unverhältnismäßig hoch geworden sind, dass die einzig verbliebenen Zugänge zur Stadt unter ständiger Bedrohung durch die belagernden Kräfte stehen.

Diese Kombination aus dem Durchbruch in den Stadtrand und der Unterbrechung der Nachschublinien lässt zu dem Schluss kommen, dass der Fall von Wuhledar nun unmittelbar bevorstehen könnte.