Ukrainer aus Donbass-Region sollen nach Russland übersiedeln
Seite 2: Selenski: "Der Frieden hängt zu 90 Prozent von Putin ab"
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Im Interview erklärt, Selenski:
Ich will den Frieden sehr. Aber es hängt nicht alles von mir ab. Dass im Donbass Frieden herrscht und die Region de-okkupiert wird, hängt zu 90 Prozent von einem Mann ab.
Und dieser Mann sei Putin.
Dass ukrainische Kampfflugzeuge bereits am 26. Mai 2014 den Flughafen von Donezk und am 2. Juni 2014 die Gebietsverwaltung von Lugansk bombardierten und zahlreiche Menschen töteten, erwähnt Selenski nicht.
Stattdessen sagt der ukrainische Präsident, "dass wir - wie man in Donezk behauptet - auf friedliche Menschen schießen, das ist alles Lüge. Die andere Seite schießt auf friedliche Menschen".
Ein Rückblick: Am 7. April 2014 wurde die "Volksrepublik Donezk" und am 27. April 2014 wurde die Volksrepublik Lugansk ausgerufen. Am 12. Mai 2014 wurden die Unabhängigkeitserklärungen in beiden "Volksrepubliken" in Referenden bestätigt.
Mit der Entscheidung in den Referenden wurde offengelassen, ob die nun unabhängigen "Volksrepubliken" sich in Zukunft mit einem Autonomiestatus der Ukraine oder Russland anschließen. In der "Volksrepublik Donezk" leben heute 2,2 Millionen Menschen. In der Volksrepublik Lugansk leben heute 1,4 Millionen Menschen.
Da die Ukraine keine Anstalten machte, die im Minsker Abkommen vorgesehene Autonomie für den Donbass umzusetzen, unterschrieb der russische Präsident am 24. April 2019 einen Erlass, nachdem Bürger der "Volksrepubliken" russische Pässe beantragen können.
Im Juli 2021 hatten nach Angaben des russischen Innenministeriums bereits 620.000 Bürger des Donbass einen russischen Pass. Die Gebiete um Donezk und Lugansk befinden sich nun in einem paradoxen Zustand. Sie sind nicht von russischem Militär besetzt, sie sind aber politisch und wirtschaftlich sehr eng mit Russland verbunden.
Am Ende seines Interviews redet Selenski den Bürgern des Donbass ins Gewissen, die Sympathien für Russland haben. Um seinen Worten mehr Durchschlagskraft zu geben, geht der ukrainische Präsident zum "Du" über:
Du bist ein Russe. Du hast für dich diesen Weg gewählt. Oder bist du Ukrainer? Das ist dein Boden. Das ist sehr wichtig. Warum? Die Menschen auf dem okkupierten Gebiet müssen das verstehen. Das bedeutet nicht, das wir Jemanden wegjagen wollen. (…) Noch einmal. Ist es deine Heimat oder bist du Gast? Ich meine, wenn du heute im Gebiet Donbass lebst, das zeitweise okkupiert ist, und du meinst, dass unsere Sache richtig ist, dass wir zu Russland gehören, und wir Russen sind, dann ist es ein großer Fehler weiter im Donbass zu leben. Das wird nie russisches Territorium. Wirklich, niemals. Egal wie lange es okkupiert wird. (…)
Wenn Du auf ukrainischem Territorium lebst und fühlst, dass das zu Russland gehört, wenn du so fühlst dann musst du dir - deinen Kinder und Enkeln zuliebe - einen Platz in Russland suchen. Das ist richtig. Denn ohne die Ukraine, wird es auf diesem Territorium keine Zivilisation geben. Die Ukraine wird sich entwickeln, wird alles bauen, das ist klar. Der Donbass, in dieser Art abgeschnitten, wird sich nicht entwickeln. Glück für diese Menschen wird es nicht geben.
Wolodymyr Selenski
Offenbar hofft Selenski, dass ein Teil der Bevölkerung der "Volksrepubliken" diese freiwillig verlässt.
Spagat zwischen Nationalisten und Donbass-Bewohnern
Der ukrainische Präsident verspricht den Menschen im Donbass, dass man bei der Wiedereroberung behutsam vorgehen wird. Nicht alle, die einen russischen Pass haben, könne man als Unterstützer der Macht in Donezk und Lugansk bezeichnen.
"Man muss mit dem Verstand an die Frage der Pässe herangehen. Manchmal sind die Menschen in einer ausweglosen Situation. Viele Menschen nutzen einen russischen Pass, um Geld zu verdienen, wo es ohne russischen Pass nicht geht. Man sollte die Menschen nicht nach Pässen unterteilen."
Auch forderte Selenski diejenigen, die sich als Ukrainer fühlen und ihren ukrainischen Pass versteckt haben, zum Durchhalten auf:
Sie sollten den Unabhängigkeitstag (am 24. August) feiern. Nicht laut. Nicht mit der Flagge auf dem Balkon. Schützen sie ihr Leben. Aber man muss es den Kindern erzählen. Die Lehrer in der Schule müsse versuchen, objektive Informationen zu vermitteln. Das ist wichtig. Das ist die Aufgabe. Und das ist der Informations-Sieg. Und das ist wichtiger als jede Kugel.
Selenski musste in seiner Rede einen Spagat schaffen. Zum einen galt es, den Menschen im Donbass, die bei einer Rückeroberung durch die ukrainische Armee Vergeltung fürchten, zu beruhigen. Zum anderen musste der ukrainische Präsident die Nationalisten in den Schaltstellen der Kiewer Macht und ihre Anhängerschaft in der West- und Zentral-Ukraine zufriedenstellen.
Seit sieben Jahren schon träumen diese Nationalisten davon, die "Volksrepubliken" im Handstreich zurückzuerobern. Von der Seite der Radikalen, die von den Medien und auch vom Geheimdienst unterstützt werden, wird großer Druck auf Selenski ausgeübt.
Es gibt zahlreiche Äußerungen von ukrainischen Nationalisten-Führern, die erklärt haben, dass man nach der Rückeroberung der Krim und des Donbass "Lager" einrichten werde.
In diesem Sinne äußerte sich zum Beispiel 2018 der ehemalige für Ermittlungsarbeit zuständige General des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Wasili Wowk, der seine Ausbildung noch beim KGB gemacht hat.
In diesen Lagern soll geprüft werden, "wer an terroristischer Tätigkeit beteiligt war". Man muss wissen: Die "Volksrepubliken" sind für die Macht in Kiew "terroristische Gebilde".
Selenski versucht eine nationalistische Politik positiv darzustellen. Im Interview erklärt er, "das Territorium ist sehr wichtig. Aber in erster Linie sind die Menschen wichtig."
Nach jahrelangen Bombardierungen durch die ukrainische Armee und rechtsradikale Bataillone haben viele Bewohner des Donbass aber den Eindruck, dass es Kiew nur um das Territorium geht und nicht um die Menschen.
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