Ukrainischer Philosoph: Andrii Baumeister fordert Ende des Krieges

Andrea Baumeister vor Bücherregal

Andrii Baumeister. Bild: baznica.info

Rettung von Menschenleben als Maxime. Philosoph sieht Gefahr eines Bürgerkrieges. Finden solche Stimmen im Land Gehör?

Der ukrainische Philosoph Andrii Baumeister, einer der einflussreichsten Intellektuellen seines Landes, fordert ein Ende des russisch-ukrainischen Krieges. Mit militärischen Mitteln sei Frieden nicht zu erreichen.

Baumeister, der vor dem Krieg nach Deutschland geflohen war und zuletzt an der Taras-Schewtschenko-Universität in Kiew lehrte, äußerte sich in einem Interview mit dem russischen Exilmedium Meduza zur aktuellen Lage in der Ukraine. Ein Sieg für die Ukraine bestehe darin, Menschenleben zu retten und strategische Überlegungen für den Wiederaufbau des Landes anzustellen.

Aber die Ukraine kann Russland nicht auf dem Schlachtfeld besiegen. Alles dreht sich um die Tatsache, dass es territoriale Verluste geben wird. Mir scheint aber, dass Russland auch nach den Gebietserwerbungen, die den Russen als "Sieg" präsentiert werden, sehr schwerwiegende Folgen haben wird. Das Land wird die Möglichkeit verlieren, innovativ, modern und konzentriert zu sein. Alle werden verlieren: die Ukraine und Russland: Andrii Baumeister

Baumeister, der auf seinem YouTube-Kanal rund 350.000 Abonnenten hat, kritisiert die ukrainische Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj und deren Haltung gegenüber der sogenannten Russischen Welt, die er differenzierter betrachtet.

Diese Haltung brachte Baumeister in der ukrainischen Philosophenszene viel Kritik ein. Dennoch hält der Philosoph an seiner Position fest. Baumeister befürchtet, dass mit jedem weiteren Kriegstag die Chancen für einen Wiederaufbau des Landes schwinden und viele Menschen nicht in die Ukraine zurückkehren werden.

Nach fast 900 Tagen Krieg und dem Verlust von einem Fünftel des Territoriums ist die zentrale Forderung von Präsident Wolodymyr Selenskyjs nach wie vor die Wiederherstellung der Grenzen von 1991. Baumeister bezweifelt jedoch, dass dies noch möglich ist und warnt davor, dass die Ukraine Gefahr läuft, ihre Entwicklungsperspektiven als moderner Staat zu verlieren:

Der Sieg für die Ukraine besteht jetzt darin, Menschen zu retten und strategisch darüber nachzudenken, wie man das Land wieder aufbauen kann. Je länger der Krieg dauert, desto weniger Chancen hat die Ukraine, sich in den Grenzen von 1991 zu erholen - auch wenn wir über das Potenzial für die kommenden Jahrzehnte sprechen.

In Kiew dominiert das Narrativ, den militärischen Widerstand aufrechtzuerhalten, da ein Waffenstillstand ohne Sicherheitsgarantien dem Kreml die Möglichkeit geben könnte, sich neu zu formieren. Zudem zeigen Umfragen, dass die Mehrheit der Ukrainer nicht zu territorialen Zugeständnissen bereit ist.

Baumeister sieht jedoch die Gefahr eines Bürgerkrieges nach Kriegsende, da Selenskyj dann seine Autorität und die Kontrolle über die verschiedenen Interessengruppen verlieren könnte:

Wenn der Krieg vorbei ist, besteht die Gefahr eines Bürgerkrieges in der Ukraine, und Selenskyj wird keine Mittel haben, diese Gruppen von Menschen zu kontrollieren. Er versteht, dass er, solange es Krieg gibt, genug Autorität sowohl gegenüber dem Westen als auch seinen Bürgern gegenüber hat, weil er der Präsident des Krieg führenden Landes ist. Denn der Krieg rechtfertigt zum Teil eine Reihe schwieriger innenpolitischer Entscheidungen. Sobald der Krieg vorbei ist, wird alles verschwinden. Deshalb würde ich sagen: Selenskyj hat Angst vor einem internen zivilen paramilitärischen Konflikt.

Der Philosoph kritisiert auch die innenpolitische Entwicklung in der Ukraine, insbesondere die Macht des Geheimdienstes, den politisierten Kirchenstreit und den Umgang mit Kriegsdienstverweigerern. Er stellt die Frage, ob Regierungskritiker von vornherein als Feinde der Ukraine angesehen werden und zieht Parallelen zu den Vorgängen im Nachbarland Russland.

Zerrissene Ukraine

Baumeisters Äußerungen sorgen für Kontroversen, weil sie von der offiziellen Linie der ukrainischen Regierung abweichen und eine kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg und seinen Folgen für die ukrainische Gesellschaft fordern. Sie zeigen die Zerrissenheit der ukrainischen Gesellschaft und die Schwierigkeit, einen gemeinsamen Weg für die Zukunft des Landes zu finden.