Uni Hamburg vs. Plagiatsjäger: Wer hat Recht im Fall Habeck?

Dissertation spaltet Wissenschaft und Politik. Die Uni Hamburg entlastet den Minister, Plagiatsjäger Weber bleibt bei Kritik. Warum die Causa für Aufsehen sorgt.
Gut eine Woche vor der Bundestagswahl hat die Universität Hamburg die Plagiatsvorwürfe gegen den Grünen-Spitzenkandidaten Robert Habeck erneut klar zurückgewiesen. Eine zweite umfassende Prüfung sei zu dem Ergebnis gekommen, dass in Habecks Dissertation "Die Natur der Literatur" aus dem Jahr 2001 "kein wissenschaftliches Fehlverhalten" vorliege, teilte die Universität am Montag mit. Damit bestätige sich das Ergebnis einer ersten Untersuchung von Anfang Februar.
"Auch bei der erneuten sorgfältigen Begutachtung und fachlichen Einordnung wurden keine Verstöße gegen die Standards guter wissenschaftlicher Praxis festgestellt", heißt es in der Stellungnahme. Die Eigenständigkeit der Forschungsleistung Habecks sei bestätigt worden. Ihm seien lediglich "zusätzliche Empfehlungen zur Überarbeitung einzelner Zitate und Fußnoten" übermittelt worden. Diese orientierten sich jedoch an den heutigen Regeln, "die zum Zeitpunkt der Erstellung der Arbeit teilweise noch nicht in gleicher Weise formalisiert waren".
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Hintergrund sind Vorwürfe des österreichischen Plagiatsgutachters Stefan Weber. Dieser hatte Habeck vorgeworfen, in seiner literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit an zahlreichen Stellen unsauber gearbeitet und Quellen nicht oder nicht korrekt angegeben zu haben. Laut Weber enthält die Arbeit insgesamt 128 Quellen-, Zitat- und Textplagiate". Der Bundeswirtschaftsminister habe "methodisch eine Quellenarbeit simuliert, die nicht stattgefunden hat", so der Vorwurf. Die zitierten Autoren habe Habeck oft gar nicht im Original gelesen.
In einer 188-seitigen Dokumentation legte Weber seine Vorwürfe detailliert dar. Habeck habe Textfragmente plagiiert und Werke zitiert, deren "Quellen nachweislich nicht gelesen" worden seien. Es entstehe der "Anschein der Belesenheit", dabei seien Angaben von anderen Werken "abgeschrieben" worden. "Die Quellenarbeit von Robert Habeck muss insgesamt als fehlerhaft und unwissenschaftlich bezeichnet werden", lautet das vernichtende Urteil des Plagiatsjägers, der allerdings auch Flüchtigkeitsfehler anführt.
Die Universität Hamburg hat die Vorwürfe nun noch einmal entschieden zurückgewiesen. Die Ombudsstelle habe "keine Anhaltspunkte für den Vorwurf des Plagiierens" gefunden, heißt es. Von einer "Simulation von Quellenarbeit" könne keine Rede sein. Zwar gebe es "einzelne formale Mängel" wie fehlende oder ungenaue Quellenangaben. Diese erreichten aber nicht die Schwelle wissenschaftlichen Fehlverhaltens, da weder "vorsätzlich noch grob fahrlässig" gegen Standards verstoßen worden sei.
Habeck selbst zeigte sich erleichtert über die erneute Entlastung. "Die Vorwürfe von Herrn Weber sind haltlos und entbehren jeder Grundlage", sagte der Grünen-Politiker. Er habe an keiner Stelle bewusst getäuscht oder plagiiert. Ungenauigkeiten in den Fußnoten hat er eingeräumt, diese seien aber nicht mit Betrug gleichzusetzen. "Niemand schreibt eine fehlerfreie Doktorarbeit", so Habeck. Für ihn sei die Angelegenheit damit erledigt.
Der Fall hatte hohe Wellen geschlagen, weil Habeck als Kanzlerkandidat der Grünen ins Rennen geht und die Partei laut Umfragen mit guten Chancen in die Wahl geht. In der CDU/CSU und der AfD wurde die Forderung laut, Habeck müsse als Minister und Spitzenkandidat zurücktreten, sollten sich die Plagiatsvorwürfe bestätigen. Dies scheint nach der Stellungnahme aus Hamburg nun aber vorerst vom Tisch zu sein.
Gleichwohl warf CDU-Generalsekretär Mario Czaja Habeck Intransparenz vor. Es spreche nicht für ein reines Gewissen des Grünen-Chefs, dass er sich schon im Vorfeld an die Universität gewandt habe, um die Vorwürfe prüfen zu lassen. "Herr Habeck wollte einem Skandal zuvorkommen, statt von sich aus für Aufklärung zu sorgen", kritisierte Czaja. Die Christdemokraten würden das Thema weiter im Auge behalten.
SPD und FDP stellten sich dagegen demonstrativ hinter den Vizekanzler. "Robert Habeck hat sich nichts zuschulden kommen lassen. Die Anschuldigungen haben sich in Luft aufgelöst", sagte SPD-Chefin Saskia Esken. Die Union solle "endlich aufhören, mit Schmutz zu werfen". Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr warnte, die Union habe kein Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung. Es sei "schäbig", den Fall für den Wahlkampf zu instrumentalisieren.
Plagiatsexperten sehen das Problem indes differenzierter. Die für Plagiatssuche bekannte Informatikerin Debora Weber-Wulff etwa plädiert für ein tiefergehendes Problembewusstsein in deutschen Wissenschaftsbetrieb. "Wir brauchen in Deutschland ein größeres Problembewusstsein, wie es beispielsweise in den USA oder in Australien längst verbreitet ist", sagt sie in einem Interview mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, wo sie lehrt: "An den dortigen Universitäten gibt es eigene Arbeitsstellen, die sich mit nichts Anderem als mit Plagiatsfällen beschäftigen. In der Bundesrepublik verschließt man die Augen vor dem Problem, reagiert nur und agiert nicht."
Dass Plagiatsvorwürfe gegen Robert Habeck erhoben werden, ist nicht das erste Mal im politischen Berlin. Bereits 2021 hatte der Österreicher Weber der damaligen Kanzlerkandidatin und heutigen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vorgeworfen, in ihrem Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" abgeschrieben zu haben. Ähnliche Vorwürfe gab es auch gegen die ehemalige Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Sie trat schließlich von allen Ämtern zurück.
In der Wissenschaft sind Plagiate ein ernstzunehmendes Problem und wissenschaftliches Fehlverhalten. Wer bei seiner Promotion schummelt, riskiert seinen Titel. In der Politik scheinen die Maßstäbe dagegen weniger streng zu sein, wie die Beispiele zeigen. Entscheidend ist, ob der öffentliche und mediale Druck so groß wird, dass Amt und Kandidatur nicht mehr zu halten sind. Das scheint bei Habeck nicht der Fall zu sein.
Die neuerliche Entlastung durch die Universität Hamburg dürfte für den Grünen-Politiker zwei Wochen vor der Wahl eine große Erleichterung sein. Ein Plagiatsskandal hätte seine Kampagne womöglich in letzter Minute gefährdet. So aber können sich Habeck und die Grünen voll auf den Wahlkampfendspurt konzentrieren. In den Umfragen liegt die Partei vergleichsweise stabil bei 13,4 Prozent – Platz vier hinter SPD, AfD und Union.
Redaktionelle Anmerkung: In einer früheren Version dieses Beitrags hatten wir der Plagiatsforscherin Debora Weber-Wulff ein falsches Zitat zugeordnet. Wir haben die Stelle korrigiert und neu mit Quellenlink versehen. Wir entschuldigen uns bei Frau Weber-Wulff und unseren Lesern für den Fehler.