Vanuatu vs. Klimakrise: Wie ein kleiner Inselstaat die Welt verändern hilft
Vanuatu kämpft gegen Klimakrise. Inselstaat initiiert UN-Resolution für IGH-Gutachten. Was bedeutet das bahnbrechende Urteil für die Zukunft?
Die Republik Vanuatu ist ein Staat im Südpazifik, der aus 83 Inseln besteht. Der nordöstlich von Australien liegende Inselstaat mit seinen ca. 335.000 vorwiegend melanesischen Einwohnern ist akut von der Klimakrise betroffen. Große Teile von Vanuatu sind aufgrund des mit der klimatischen Erwärmung verbundenen Anstiegs des Meeresspiegels bedroht, im Meer zu versinken.
Hinzu kommen das Land verwüstende Zyklone – verheerende Stürme, die ebenfalls in einem Zusammenhang mit der Klimaerwärmung stehen. Diese wachsende Bedrohung geht einher mit Gefahren, die sich ohnehin bereits durch Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis ergeben, sodass Vanuatu als das global am meisten durch Naturkatastrophen betroffene Land gilt.
Eine Gruppe von Jurastudierenden der University of the South Pacific in Vanuatu gründete 2019 die Pacific Islands Students Fighting Climate Change (PISFCC) – auch motiviert durch die Ende 2018 von Greta Thunberg initiierte globale Fridays-for-Future-Bewegung. Sie setzten sich nicht nur für den Erhalt von Vanuatu und der anderen pazifischen Inseln, sondern insgesamt für das völkerrechtlich zu fundierende Menschenrecht auf staatliche Maßnahmen gegen die Klimakrise ein.
Weitere Mitglieder der Alliance for a Climate Justice Advisory Opinion (ACJAO) waren u. a.: World’s Youth for Climate Justice (WY4CJ), Center for International Environmental Law (CIEL), Climate Action Network, 350 Pacific, Greenpeace, Oxfam und Amnesty International.
Die Studierenden gewannen den Klimaminister Ralph Regenvanu und die Regierung von Vanuatu für das Projekt. Mit der Unterstützung von Vanuatu und einer wachsenden Zahl von Nationalstaaten (18 ICJ Champion Nations und 132 Mitunterstützer), zu denen auch Deutschland gehörte, kam es zu einer Einigung der UN-Generalversammlung.
Diese Resolution, die sich für das Recht auf staatlichen Schutz vor der Klimakrise und ein entsprechendes Gutachten des IGH einsetzt, wurde nach umfassender Beratung am 29. März 2023 von der UN-Vollversammlung ohne Gegenstimmen angenommen.
So kam es im Dezember 2024 zu einer umfangreichen Anhörung vor dem IGH, an der über 100 Staaten und Organisationen teilnahmen. Zahlreiche Stellungnahmen und alle völkerrechtsrelevanten klimapolitischen Abkommen und Verträge wurden in die Verhandlungen einbezogen.
Das Gutachten wurde einstimmig von allen 15 Richtern und Richterinnen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag angenommen und am 23. Juli 2025 der Weltöffentlichkeit vorgestellt.
Die Inhalte des IGH-Gutachtens zur staatlichen Klimapolitik
Das IGH-Gutachten beruht durchweg auf geltendem Völkerrecht, das es detailliert analysiert und interpretiert. Alle geltenden internationalen Verträge, Abkommen und Konventionen werden berücksichtigt, inkl. der Menschenrechtsverträge.
Das 140 Seiten umfassende Gutachten lässt sich mit folgenden Feststellungen zusammenfassen:
- Das Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt ist gesetzlich geschützt. Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Die Wissenschaft steht im Vordergrund.
- Ausdrückliche Anerkennung des 1,5-Grad-Zieles des Pariser Klimaabkommens: Alle Staaten sind verpflichtet, dieses Limit einzuhalten.
- Große Verschmutzer mit klimaschädlichen Emissionen sind völkerrechtlich verpflichtet, ihre Anstrengungen zur Emissionsreduzierung massiv zu verstärken.
- Regierungen und Parlamente sind gesetzlich verpflichtet, die Förderung und Nutzung fossiler Brennstoffe einzuschränken, neue fossile Projekte abzulehnen und öffentliche Mittel für fossile Energien zu reduzieren.
- Staaten, die historisch die meisten Treibhausgase ausgestoßen haben, tragen nach internationalem Recht in der Auffassung des IGH die größte Verantwortung für die Bewältigung der Klimakrise.
- Regierungen sind in der Pflicht, über Gesetzgebung die Klimaauswirkungen von Unternehmen und Konzernen zu regulieren und deren Emissionen zu verringern. Alle sind zum Klimaschutz verpflichtet und diese Sorgfaltspflicht ist einklagbar.
- Staaten, Organisationen und Personen, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden, haben die Möglichkeit, Entschädigungszahlungen gegenüber den Hauptverursachern vor dem IGH, regionalen oder nationalen Gerichten durchzusetzen.
Der IGH fasst im Artikel 404 seines Gutachtens die staatliche Verpflichtung zum Klimaschutz aufgrund internationaler Abkommen wie folgt zusammen:
Die Staaten müssen daher bei der Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus den Klimaschutzabkommen und anderen einschlägigen Umweltabkommen sowie aus dem Völkergewohnheitsrecht ihre Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsnormen berücksichtigen, ebenso wie sie bei der Umsetzung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen ihre Verpflichtungen aus den Klimaschutzabkommen und anderen einschlägigen Umweltabkommen sowie aus dem Völkergewohnheitsrecht berücksichtigen müssen.
Tragweite des IGH-Gutachtens zur Verpflichtung zum Klimaschutz
Greenpeace-Expertin für internationale Klimapolitik, Sarah Zitterbarth, verweist auf die generelle Gültigkeit des IGH-Gutachtens:
Die Entscheidung des IGH bestätigt, dass kein Staat sich aus den Klimaschutz-Verpflichtungen zurückziehen kann, auch dann nicht, wenn sich das Land aus dem Klimavertrag verabschiedet hat. Denn sie ergeben sich nicht nur aus dem Paris Abkommen, sondern auch aus dem sogenannten Völkergewohnheitsrecht. Der Austritt aus dem Pariser Abkommen nützt den USA also nichts, sie sind rechtlich trotzdem dazu verpflichtet, die Klimakrise mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln abzuwenden.
Zunächst ist allerdings festzustellen, dass nicht alle Staaten den IGH anerkennen. Dies betrifft auch einflussreiche und massiv die Biosphäre belastende Staaten, wie die USA, Russland und China.
Die aktuellen Regierungen dieser Staaten werden sich also kaum um das klimapolitische IGH-Gutachten kümmern. Allerdings gilt dies nicht für eine politische Situation, in der dort andere Regierungen an der Macht sind oder etwa ein "Regime Change" stattfindet. Dann stellt die IGH-Entscheidung eine Legitimationsgrundlage für klimapolitisch begründete Klagen dar, so wie dies bereits jetzt für Staaten gilt, die den IGH anerkennen.
Die IGH-Entscheidung selbst ist nicht rechtsverbindlich, sondern stellt ein Gutachten im Sinne einer "advisory opinion" dar, das allerdings zur Durchsetzung gerichtlicher Klagen zum staatlich verpflichtenden Klimaschutz verwendet werden kann. IGH-Gutachten und -Urteile genießen international ein hohes Ansehen in der Rechtsprechung aller nationalen Gerichte, die den IGH anerkennen.
Prof. Werner Schroeder, Völkerrechtsexperte an der Universität Innsbruck, stellt in einer rechtlichen Einordnung fest:
An dem Verfahren, das dem Gutachten vorausging, haben sich 96 Staaten und elf internationale Organisationen beteiligt, so viel wie nie (…). Diese umfassende Beteiligung spricht dafür, dass das Klimagutachten ein besonderes Gewicht besitzt und auch rechtspolitisch erheblichen Druck auf die Staaten erwirken wird. (…) Außerdem verweist der IGH darauf, dass Klimaflüchtlinge internationalen Schutz vor Zurückweisung genießen, wenn Klimafolgen Menschen zwingen, ihren Lebensraum zu verlassen und in andere Staaten zu flüchten.
Problematisch ist allerdings der Nachweis, dass ein bestimmter Staat durch die Emissionen eines anderen Staates oder eines Unternehmens in einer bestimmten Art und Weise sowie Größenordnung geschädigt wurde. Da das Klima global vernetzt und beeinflusst ist, dürfte dieser Nachweis einer gesonderten Schuld für die Forderung von Reparationszahlungen schwerfallen.
Die umfassend recherchierte und dokumentierende Online-Plattform Better World Info schätzt die Tragweite des IGH-Gutachtens dennoch als bedeutend und mit großer Reichweite in die Zukunft ein:
Als höchstes Gericht der Vereinten Nationen bietet dieses Rechtsgutachten Richterinnen und Richtern weltweit eine klare Leitlinie für Klimaklagen und wird die Klimarechtsprechung über Jahrzehnte prägen. Das IGH-Gutachten kann nun genutzt werden, um von Regierungen und Parlamenten ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen einzufordern, die Einhaltung des Pariser Abkommens sicherzustellen und nationale wie internationale Klimagesetze umzusetzen.
Das Gutachten des IGH verleiht zukünftigen Klimaklagen weltweit einen enormen Schub. Auch existierende Klagen, die in Deutschland auf der Grundlage des klimapolitischen Urteils des Bundesverfassungsgerichts geführt werden, müssen neu bewertet werden.
Sie erhalten nun eine erweiterte Rechtsgrundlage. Das weltweit höchste Gericht hat ein eindeutiges Rechtsgutachten vorgelegt. Es liegt jetzt an Initiativen aus der Zivilgesellschaft und von Staaten, die Rechtslage auf dem Klageweg zu klären.
Dann wird sich zeigen, für welche Regierungen Klimaschutz entweder nur ein symbolisch gemeintes Versprechen oder ein globaler Auftrag im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung ist, an dem sie ernsthaft und engagiert im Interesse der aktuellen und zukünftigen Generationen teilnehmen wollen.
Dr. Norbert Stute ist Arzt und Initiator und Koordinator der gemeinnützigen Internetplattform besserewelt.info.
Apl. Prof. Dr. habil. Klaus Moegling ist Politikwissenschaftler und Soziologe und u.a. Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich", das im open Access publiziert ist.