Veggie-Streit: Kuhmilch oder Haferdrink – was ist besser fürs Klima?
Seite 2: Wiederkäuer wandeln Gras effizient in Kalorien und Eiweiß um
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- Wiederkäuer wandeln Gras effizient in Kalorien und Eiweiß um
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Wer Milch durch Haferdrinks ersetzt, vermehre seinen Konsum an veganer Biomasse auf Kosten der Tiere, erklärt Wilhelm Windisch in einem Interview mit der FAZ im April dieses Jahres. Das sei keine Lösung – weder für die Klimakrise noch für die Welternährung, so der Tierernährungsexperte.
Wiederkäuer waren in der Evolution enorm erfolgreich, überlebten sie doch in Gegenden, in denen viele andere Tiere kein Futter fanden. Idealerweise fressen Kühe Gras und Rückstände aus der Produktion pflanzlicher Lebensmittel. Sie holen mehr aus der Biomasse heraus, als ohne sie für die Ernährung der Menschheit zur Verfügung stünde. Dabei tut ihr Verdauungstrakt wahre Wunder.
Auf diese Weise liefert die Nutztierhaltung als zweiter Kreislauf gleich nach dem Pflanzenbau, umsonst und zusätzlich eine große Menge an Kilokalorien und Eiweiß. Ohne die Nutztierhaltung, etwa bei kompletter Umstellung auf Hafermilch, müsse die Pflanzenproduktion zum Ausgleich massiv erhöht werden. Dann fahren auf den Feldern mehr Maschinen herum, die wiederum mehr Kohlendioxid emittieren.
Denn die Kuh frisst das Gras nicht selbst, sondern füttert damit ihre Pansenbakterien. Die verwertbaren Abbauprodukte dienen als Energiequelle und die Mikroorganismen als hochwertiges Eiweiß. So liefert eine Milchkuh täglich einen Eimer voll "veganes Protein", über ein Futter, das der Mensch nicht isst. So kann eine Kuh allein aus Heu, Gras und Klee 6.000 Liter Milch im Jahr geben, ohne dem Menschen ein Gramm Eiweiß wegzufressen, rechnet der Futtermittelexperte vor.
Nicht eingerechnet ist eine große Menge an nicht essbarer Biomasse, die auch bei der Produktion veganer Lebensmittel anfällt, etwa das Stroh, das bei der Getreideernte zurückbleibt. Auch bei der Verarbeitung von Getreide zu Mehl und bei der Gewinnung von Öl aus Raps fallen Reste an. Rund die Hälfte des weltweit gehandelten Futters besteht aus Nebenprodukten der Lebensmittelindustrie.
Würden alle diese pflanzlichen Reste komplett verfüttert, könnten zwei Drittel der Milchproduktion laufen, ohne zusätzliche Futtermittel anbauen oder importieren zu müssen. Denkbar wäre ein Siegel auf Milchkartons mit dem Wortlaut "Ohne Nahrungsmittelkonkurrenz" zu drucken. Es sei effizienter Milch zu produzieren als Fleisch, fügt Windisch hinzu. Und wo Kühe gemolken werden, fällt auch Fleisch an. In abgelegenen Regionen sei Fleisch ohnehin die einzige Möglichkeit, Weideland zu nutzen.
Nebenprodukte veganer Lebensmittel über Tierfutter veredeln
Landwirtschaftliche Ernteprodukte zu veganer Nahrung zu verarbeiten, sei überholtes Denken aus der linearen Wirtschaft, glaubt Wilhelm Windisch. Nebenprodukte aus der Verarbeitung pflanzlicher Lebensmittel seien kein Abfall, sondern wertvolles Futter für Nutztiere. Die Lösung wäre eine Kreislaufwirtschaft mit der Lebensmittelindustrie. Auf diese Weise könne die nicht essbare Biomasse, die bei der Nahrungsmittelproduktion übrig bleibt, in Nahrung für den Menschen transformiert werden. Am besten könnten das Wiederkäuer.
Alternativ dazu könnte man die Biomasse natürlich als Biodiesel oder Biogas verbrennen oder sie auf dem Feld verrotten lassen, etwa im Rahmen einer veganen Landwirtschaft. Ob im Boden oder im Pansen der Kuh - am Ende zerfallen Kleegras, Stroh und die Rückstände zu den gleichen Endprodukten. In der Kuh aber wird die Biomasse besser verwertet, indem sie aus etwas nicht Essbarem etwas Essbares machen.
So wird beim Backen von Vollkornbrot zwar das ganze Korn genutzt, so dass viel weniger Biomasse in der Mühle übrig bleibt. Allerdings wird die Kleie, die vom Menschen nicht verdaut wird, wieder ausgeschieden. In der Kleie stecken drei Viertel des Phosphors, das dem Feld mit der Ernte des Getreides entzogen wird. Der Landwirt muss den fehlenden Nährstoff mit Mineraldünger aus fossilen Rohstoffen zurückgeben.
Mit der Viehhaltung hingegen kommen Phosphor, Stickstoff und weitere Mineralien über den Stallmist wieder aufs Feld. So sorgen die Tiere über den Umweg ihrer Exkremente dafür, dass die Erträge auf dem Acker gleich hoch bleiben. Der Ökolandbau etwa funktioniert nach diesem Prinzip. Indem man die Kleie an Tiere verfüttert, werden zusätzliche Kalorien gewonnen. Ballaststoffe lassen sich besser aus dem Gemüse herausholen, argumentiert der Wissenschaflter.
Biobetriebe punkten in der Düngeeffizienz
Auf einem ökologisch bewirtschafteten Getreideacker werden alle vier Jahre Leguminosen wie Kleegras angesät. Denn Leguminosen binden Stickstoff aus der Luft und verbessern die Bodenfruchtbarkeit. Andernfalls müsste zusätzlich gedüngt werden. Auf diese Weise fallen 20 Prozent der Produktionsfläche für vegane Lebensmittel aus. Wer kann die gewaltigen Mengen an Biomasse, die auf diesen Flächen wachsen, am besten verwerten, wenn nicht die Kuh?
Die geplanten Ausbauziele für den Ökolandbau aufzugeben wegen des Ukraine-Krieges, hält Windisch für keine gute Idee. Im Vergleich gesehen werde die Ernte eines Jahres auf einem konventionell bewirtschafteten Feld vielleicht 20 oder 30 Prozent größer ausfallen, schätzt der Nutztierwissenschaftler. Langfristig gesehen jedoch und über die gesamte Fruchtfolge hinweg betrachtet, schneide Bio nicht schlechter ab.
Denn nach einem Jahr mit Kleegras kann auf demselben Feld eine stark zehrende Kultur wachsen, auch ohne zusätzlichen Stickstoffdünger. Das spart Emissionen. Ein vorbildlicher Biobetrieb sei in der Summe nicht schlechter als ein gut geführter konventioneller Betrieb. Überall dort, wo es möglich ist, müsse pflanzliche Nahrung für Menschen erzeugt werden.
Man stelle sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der ganzen Welt als ein Fußballfeld vor: Im Verhältnis zum Rest der Fläche ist nicht einmal der Strafraum als Acker nutzbar. Deshalb ist Futteranbau ohne Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion wichtig. Doch auch davon ist Windisch überzeugt: Künftig werden wir weniger Fleisch essen und weniger Milch trinken als heute.