Venezuela: Warten auf die Eskalation
In Venezuela vollzieht sich das Ritual der Mobilisierungen weiter, in den USA ist offen, ob die US-Regierung angesichts der Präsenz russischer Militärs an einer militärischen Intervention festhält
Am Wochenende fand das mittlerweile gewohnte Ritual von Aufmärschen der Opposition und der Regierungsanhänger statt. Beide Seiten präsentierten die Massen, die sie mobilisierten konnten. Es hat sich dadurch wieder nichts bewegt. Das Land hängt in einer Schleife, befindet sich im gespannten Stillstand, im Warten. Die Gegenspieler sind von ausländischen Unterstützern abhängig, Venezuela steht zwischen dem von den USA geführten Westen und Russland und China. Damit spielt der neue Kalte Krieg nicht nur in Europa und Asien, sondern auch im Vorhof der USA statt. Washington verbat sich mit Erinnerung an die Monroe-Doktrin jede Einmischung in "seiner Hemisphäre".
Der Oppositionsführer will zum Sturz der Regierung die Operacion Libertad mit "taktischen Aktionen" landesweit organisieren, während Nicolas Maduro die heutige Veröffentlichung des "Vaterlandplans" (Plan de la Patria) für 2019 bis 2025 ankündigte, der verfassungsmäßig alle Behörden zur Entwicklung des Landes verpflichtet, das in einer tiefen Krise mit einer galoppierenden Inflation, einem durch die Blackouts noch beschleunigtem Abfall des BIP und großen Versorgungsproblemen steckt, die Millionen von Venezolanern zur Flucht trieb. Kaum vorstellbar, wie unter den Sanktionen und dem niedrigen Ölpreis die Regierung hier eine Weg herausfinden kann.
Oppositionsführer Guaido versucht weiter wie am Samstag, die Bewegung gegen die "usurpatorische" Maduro-Regierung mit den Protesten gegen die Versorgungsprobleme und die Folgen der Blackouts zu verbinden. Am Samstag rief er bereits zur nächsten Mobilisierung am Mittwoch auf. Seine Anhänger sollen wieder auf die Straße, um die Operacion Libertad mit Gruppen als Gegenkraft zu den "bolivarischen Zirkeln" landesweit zu vergrößern. Am Montag will er sich mit Vertretern des öffentlichen Dienstes in der Nationalversammlung treffen. Mit einem Gesetz, das in der Nationalversammlung am Dienstag diskutiert wird, will man die Angestellten durch eine Sicherung der Arbeitsplätze von der Regierung ablocken.
Und dann hat er noch den Plan als weitere Etappe seiner Befreiungsoperation, ein Treffen der Welt mit Regierungsführern im Land zu veranstalten. Das dürfte wohl ähnlich wie seine Ausrufung als Interimspräsident Ende Januar, die Aktion mit der humanitären Hilfe im Februar, wo sich eigentlich auch Regierungsvertreter anderer Länder einfinden sollten, oder seine Rückkehr aus dem Ausland unter Deckung von Botschaftern als Provokation gedacht sein, um den Regierungssturz anzuschieben.
Währenddessen scheint die Maduro-Regierung auf Zermürbung des Guaidó-Lagers zu setzen. Nachdem bereits sein Bürochef verhaftet und Guaidó die Immunität als Abgeordneter entzogen wurde, nahm am Samstag die Nationalgarde die Abgeordneten Nora Bracho und Renzo Prieto sowie den Aktivisten Gregory Sanabria auf einer Protestveranstaltung in Maracaibo fest.
Alle Optionen weiter auf dem Tisch?
Allerdings hatte Guaidó gerade eine Schlappe erlitten, der sich immer wieder auf die Unterstützung der US-Regierung berief, die alle Optionen auf dem Tisch habe, um anzukündigen, dass die Nationalversammlung den Einmarsch ausländischer Truppen genehmigt, wie das von der Verfassung vorgesehen ist. In einem Interview hatte der Elliott Abrams, der Venezuela-Beauftragte des Weißen Hauses, erklärt, dass für die USA - und auch für andere Staaten - eine militärische Option derzeit nicht denkbar sei (Regierung nimmt Abstand von militärischer Intervention).
Das hat allerdings im Weißen Haus Unruhe hervorgerufen, wo man offensichtlich über weitere Verschärfungen der Sanktionen hinaus keinen abgesprochenen Plan verfolgt. Am Freitag hatte bereits Vizepräsident Mike Pence erklärt, dass weiterhin alle Optionen auf dem Tischliegen würden: "As @POTUS has said: On Venezuela, all options are on the table. Nicolas Maduro would do well not to test the resolve of the United States of America. Maduro must go!"
Gegenüber Journalisten hat ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Teams für Nationale Sicherheit im Weißen Haus gleich noch am Freitag im Widerspruch zu Abrams versichert, eine militärische Intervention bleibe "eine sehr ernsthafte Option". Wie die Maduro-Regierung, die Guaidós Bürochef terroristische Aktivitäten und der Opposition sowie der US-Regierung das Begehen von Cyberangriffen und Anschlägen auf die Stromversorgung vorwirft, will man sich nun auch des Terrorismus bedienen.
So werden von dem angeblichen Mitarbeiter des Weißen Hauses die "Colectivos" als Terroristen bezeichnet. Es sind bewaffnete, paramilitärische Gruppen in den Stadtvierteln, die auf Motorrädern unterwegs sind und neben Militär, Polizei und Geheimdiensten die Regierung Maduro unter der Leitung von Diosdado Cabello sichern. Cabello ist eine wichtige Stütze der Regierung, Vorsitzender der Verfassungsgebenden Versammlung und gilt als einer der korruptesten Politiker Venezuelas. Er erinnerte das Militär an seine Verfassungspflicht die Menschen "vor diesen illegalen Terroristengruppen zu schützen, die als Colectivos bekannt sind und auf die sich Maduro zunehmend stützt".
Der Senator Marco Rubio, einer der lautstärksten Befürworter eines Regierungssturzes, fordert entsprechend das "Maduro-Regime" und die bewaffneten Colectivos auf die Liste der Terrororganisationen zu stellen. Maduro habe diese "Gangs losgelassen, um, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden, zu töten und zu rauben". Es scheint eine koordinierte Aktion sein, denn Sicherheitsberater Bolton stößt ins selbe Horn.
"Wichtigster Test für die Glaubwürdigkeit der Trump-Regierung"
In Unruhe kam Washington, nachdem Moskau 100 Soldaten nach Venezuela geschickt hatte, um die Unterstützung der Maduro-Regierung zu unterstreichen. Das hat zu lauten Bekundungen aus dem Weißen Haus geführt, dass das russische Militär sofort wieder abziehen müsse. Es wurde mit der Monroe-Doktrin gewinkt, nach der die USA keine ausländische Macht in seinem Hinterhof dulde. Aber offensichtlich hat dies auch dazu geführt, erst einmal größeren Abstand zu einer militärischen Intervention einzunehmen, da es dafür weder in Europa noch in Lateinamerika eine "Koalition der Willigen" gibt.
In CNBC schreibt Fred Kempe, es würde sich um den "ersten großen Showdown in unserem neuen Zeitalter des Kampfs der Großmächte" handeln. Der Autor ist Präsident des Atlantic Council und hat die entsprechende Eskalationsstrategie, die aber durchaus enthalten kann, was demnächst zu erwarten ist.
Es sei der bislang wichtigste Test für die Glaubwürdigkeit der Trump-Regierung. Venezuela könne für Trump ein Desaster werden, ähnlich wie dies durch die russische Intervention in Syrien für die Obama-Regierung geschehen sei. Es gebe zwar Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten wie einen "geschwächten Diktator, der ohne Unterstützung Moskaus mit größerer Wahrscheinlichkeit stürzen würde, eine von den USA erklärte rote Linie, die der Kreml nicht überzeugend findet, und eine Möglichkeit für Putin, sein weltweites Ansehen auf Kosten von Washington aufzuwerten - dieses Mal in der westlichen Hemisphäre". Kempe lässt das, ganz transatlantisch, auf die Nato zulaufen, die auch in Venezuela gefordert sei. Aber vor allem will er das Großmachtinteresse der USA im Konflikt mit Venezuela stärken: "Venezuela kann der richtige Platz sein, tiefere Verbindungen zwischen den USA, Kanada, wichtigen europäischen Verbündeten und führenden Demokratien Lateinamerikas aufzubauen." Ein militärischer Konflikt könnte dies befördern. .