Verborgene Netzwerke und alte Seilschaften: Deutschlands Kampf um Souveränität
NS-Kader wurden nach 1945 in Sicherheitsbehörden aktiv. Das hatte weitreichende Konsequenzen. Und es wirkt bis heute nach.
Ähnlich sah es beim Verfassungsschutz und BKA aus. Beide Institutionen wurden vom früheren SS-Mann und CIA-Agenten Paul Dickopf federführend mitorganisiert und rekrutierten wie der BND im großen Stil Altnazis. Dickopf selbst machte Karriere und stieg 1965 zum Präsidenten des BKA auf. Die Stadt Meckenheim benannte sogar eine Straße nach ihm.
Der Verfassungsschutz wurde seinerseits ab 1955 17 Jahre lang von Hubert Schrübbers geleitet, der 1972 sein Amt aufgrund seiner NS-Vergangenheit niederlegen musste. Die gezielte Auswahl von vormaligem NS-Personal für sicherheitspolitische Führungspositionen stellte sicher, dass die Kommunistenverfolgung in der jungen Bundesrepublik nahtlos weitergehen konnte. Ein Umstand, den selbst Historiker als bittere "Ironie der Geschichte" bezeichnen.
Die starke Vorbelastung des Verfassungsschutzes hatte dieselben antidemokratischen Konsequenzen wie beim BND. Sie führte zu einer langen Liste von Skandalen: Bespitzlung von Gewerkschaften, Finanzierung und Zusammenarbeit mit der deutschen Neonazi-Szene, Behinderung von Ermittlungsverfahren und False Flag Terrorismus auf deutschem Boden.
Wie beim BND erweckt der Verfassungsschutz bis heute den Eindruck, dass er außerhalb rechtsstaatlicher Kontrolle agiert und er gilt in juristischen Kreisen als "Extremfall rechtsstaatswidrigen Verhaltens". Und auch beim Verfassungsschutz ist die enge Zusammenarbeit mit der CIA nie abgerissen.
Bundesanwaltschaft
Das vielleicht deutlichste Beispiel personeller Kontinuität vom Dritten Reich zur Bundesrepublik ist die bundesdeutsche Justiz, wo bei den Oberstaatsanwälten bis in die späten 50er und bei den Bundesanwälten sogar bis in die späten 60er-Jahre über 90 Prozent des Personals eine NS-Vergangenheit aufwiesen.
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Eine ideologische Weichenstellung, die dafür Sorge trug, dass die deutsche Justiz ihrer angedachten Aufgabe im Kalten Krieg im Sinne der Amerikaner gerecht werden konnte. Die Bundesanwaltschaft strengte in der Folge zehnmal so viele Verfahren gegen Personen des linken wie gegen die des rechten politischen Spektrums an.
Mediale Einflussnahme
Damit weder die Legitimität der neu gegründeten Bundesrepublik noch ihre Teilnahme am Kalten Krieg aufseiten des westlichen Bündnisses grundsätzlich infrage gestellt werden würde, machten die Alliierten ihren Einfluss auch in medialer Hinsicht gelten.
Von 1945 bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes entschieden die Alliierten, wer in Nachkriegsdeutschland Medien machen durfte. Sie vergaben Lizenzen an Herausgeber und konnten diese bei Nichtgefallen auch wieder entziehen. Mit Erlöschen der Lizenzpflicht 1949 waren Verbote für Medienschaffende aufgrund der im Grundgesetz verbrieften Meinungsfreiheit nicht mehr möglich.
Aber über massive verdeckte Finanzierung verschiedener Medien wurde sichergestellt, dass auch in der pluralistischen deutschen Medienlandschaft von den Amerikanern favorisierte Meinungen die Oberhand behalten würden.
Allein bis 1951 erhielten dutzende deutsche Zeitungen US-amerikanische Gelder in Millionenhöhe. Medienmacher, die Marshall-Plan, Westintegration, Wiederbewaffnung und Nato-Beitritt gegenüber aufgeschlossen waren, konnten mit finanzieller Unterstützung rechnen.
Bestes Beispiel hierfür war Willy Brandt, der als Chefredakteur des Berliner Stadtblatts aufgrund seiner Befürwortung der deutschen Westintegration Beträge im mindestens sechsstelligen Bereich erhielt.
Über den Congress of Cultural Freedom finanzierte die CIA auch Zeitschriften weltweit, in Deutschland bis 1971 Melvin Laskys Der Monat. Ferner half der Geheimdienst bei der Veröffentlichung von tausenden Büchern und kontrollierte oder finanzierte mehrere Nachrichtenagenturen, darunter auch die Dena, den westdeutschen Vorgänger der dpa.
Mit am bedeutendsten wiegen aber wohl die Enthüllungen des renommierten, US-Journalisten Murray Waas 1982 in The Nation, dessen CIA-Quellen Zahlungen von sieben Millionen Dollar in den 50er-Jahren an den Springer Verlag zu Protokoll gaben. Der Zeitpunkt der Zahlungen würde mit der beispiellosen Expansion des Springer Konzerns übereinstimmen. Es gibt weitere Indizien, die für den Wahrheitsgehalt von Waas Aussagen sprechen.
Weder die offiziellen Werte des Springer Konzerns, noch seine konsequent proamerikanische Linie dienen dazu, Zweifel an amerikanischen Einflüssen zu zerstreuen. Axel Springer avancierte in der Folge zu einem der einflussreichsten Männer Deutschlands.
Politischer Untergrund
Neben der gezielten Ausrichtung des deutschen Staatsapparats und Medienlandschaft bauten Amerikaner und Briten ab 1950 ohne das Wissen der deutschen Regierung dutzende Stay-Behind-Organisationen auf deutschem Staatsgebiet auf.
Auch diese paramilitärischen Einheiten setzten sich vorwiegend aus Altnazis zusammen und fungierten als geheime Privatarmee der Nato außerhalb jeglicher demokratischen Kontrolle. Der Aufbau identischer Organisationen erfolgte europaweit und wurde später als Operation Gladio bekannt.
Die Enttarnung einer dieser Organisationen, des Bunds Deutscher Jugend (BDJ), führte 1952 aufgrund der vom BDJ erstellten Exekutionslisten, die z. B. den Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen und Herbert Wehner beinhalteten, zu einem Skandal.
Die USA demonstrierten den Deutschen anschließend ihren Mangel an Souveränität, indem sie Verurteilungen ihrer Agenten durch die deutsche Justiz verhinderten.
Gladio Einheiten wurden in den folgenden 40 Jahren für dutzende Anschläge in Europa mit hunderten Toten verantwortlich gemacht.
Zeugenaussagen, der direkte Kontakt deutscher und italienischer Gladiogruppen und Parallelen, wie das vorschnelle Ende der Ermittlungen, die Vernichtung von Akten, der überraschende Tod von Zeugen, der Anschlagszeitpunkt vor einer wichtigen Wahl und die vorschnelle Beschuldigung linksextremer Gruppen, lassen die berechtigte Annahme zu, dass auch der größte Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik – das Oktoberfest Attentat von 1980 mit 13 Toten und 221 Verletzten – von Gladioeinheiten verübt wurde.
Das Attentat fand eine Woche vor der Bundestagswahl 1980 zwischen Franz Josef Strauss und Helmut Schmidt statt. Strauss war auf deutscher Seite direkt an der Finanzierung von Gladio beteiligt.
Beim BND waren noch bis in den 80er-Jahren 75 Mitarbeiter für ein Netzwerk von über 200 verdeckten Agenten zuständig.
Daher muss der Verdacht naheliegen, dass die Stay-Behind-Netzwerke auch in Deutschland über 40 Jahre versuchten mit illegalen Mitteln die öffentliche Meinung zu manipulierten und das Oktoberfest Attentat nicht die einzige Gladio Operation auf deutschem Staatsgebiet war.
75 Jahre Mangelnde Souveränität
Dreimal – mit der Aufhebung des Besatzungsstatus 1955, dem Inkrafttreten der Notstandsgesetze 1968 und der Wiedervereinigung 1990 – gewann die Bundesrepublik offiziell seit ihrer Gründung ihre Souveränität. Aber dass es sich bei der staatlichen Souveränität Deutschlands nie um eine vollständige Souveränität handelte, war stets offensichtlich.
Ein souveräner Staat würde wohl kaum ständige Eingriffe in seine Handelsbeziehungen, die Unterschlagung von Akten von national-historischer Bedeutung oder den permanenten Bruch des Völkerrechts vom eigenen Territorium akzeptieren.
Kanzlerkandidaten souveräner Staaten würden sich nicht gezwungen sehen, ihre bedingungslose Loyalität in amerikanischen Zeitungen zu signalisieren. Wer die jüngere deutsche Geschichte aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass deutsche Souveränität immer noch da endet, wo amerikanische Interessen beginnen.
Auch 75 Jahre nach Staatsgründung gilt in Deutschland eine unter Besatzung entstandene Verfassung, von der Carlo Schmid einst sagte, dass sie kein Ausdruck des souveränen Willens der Deutschen und lediglich das Grundgesetz für ein Staatsfragment sein könne.
Noch immer befinden sich über 30.000 amerikanische Soldaten auf deutschem Staatsgebiet – ein Privileg, für das Deutschland 100 Millionen Euro pro Jahr zahlt – und noch immer gelten Gesetze, die ihnen neben vollständiger geheimdienstlicher Überwachung auch die Anwendung von Waffengewalt in Deutschland erlauben. Die geheimdienstlichen Verbindungen in die USA von BND und Verfassungsschutz wurden stets aufrechterhalten.
Fast alle führenden deutschen Politiker, Journalisten und Wirtschaftsgrößen sind Mitglieder in transatlantischen Denkfabriken wie der Atlantik Brücke, dem German Marshall Fund oder dem Aspen Institute – Institutionen, deren Lobbyarbeit der Staat jährlich mit Steuergeldern in Millionenhöhe unterstützt – und man muss den Eindruck gewinnen, dass der Konsens dieser elitären, US-dominierten Netzwerke für die Mitglieder schwerer wiegt als die nationalen Interessen des eigenen Landes.
Auch in militärischer Hinsicht ist Deutschland von der Nato abhängig und es muss die Vermutung naheliegen, dass im Kriegsfall ähnlich wie in Südkorea das Oberkommando nicht in deutscher, sondern in amerikanischer Hand liegen würde. Die im Nachkriegsdeutschland entstandenen Abhängigkeiten bestehen auch ohne Besatzungsstatut zweifellos weiterhin.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs war für Deutschland ein Neuanfang, aber ein Neuanfang unter Vorbehalt. Demokratie und soziale Marktwirtschaft waren Teil der Integration Deutschlands in ein amerikanisches Hegemonialsystem. Westintegration und die Akzeptanz amerikanischer Vorherrschaft bedeutete für die Bundesrepublik einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg.
Aber der Preis für diesen Aufstieg war der permanente Verlust eines Teils des deutschen Rechts auf Selbstbestimmung. So gesehen war die Souveränität Deutschlands eines der letzten Opfer der Nazizeit.
Auch nach 75 Jahren ist die Bundesrepublik Teil des US-amerikanischen Hegemonialsystems. Die Unfähigkeit Deutschlands heute die Nord Stream Sabotage aufzuklären, die wirkungslosen und wirtschaftsschädigenden Russlandsanktionen aufzuheben oder sich für diplomatische Lösungen in der Ukraine einzusetzen, ist Ausdruck der untergeordneten machtpolitischen Stellung innerhalb dieses Systems und zeigt, dass die USA selbst in Fragen von elementarer nationaler Bedeutung das letzte Wort haben.
Es zeigt auch: mangelnde Souveränität hat ihren Preis. Und in einer Zeit, in der von Zeitenwende, Wiedereinführung der Wehrpflicht und Aufrüstung die Rede ist, sollte man sich im Klaren sein, dass der Preis für Deutschland rasant noch wesentlich höher ausfallen kann.
Wenn die Bundesrepublik selbst bei so elementaren Fragen wie der Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen auf dem europäischen Kontinent nicht in der Lage ist, ihre nationalen Interessen durchzusetzen, ist sie wenig mehr als ein Bauer auf dem geopolitischen Schachbrett der USA. Und Bauern können geopfert werden. Die Ukraine ist das beste Beispiel.