Verbote von Hamas und Samidoun: Keine Solidarität mit Antisemiten
Teile der Linken verabschieden sich von reflexhafter Palästina-Solidarität. Das ist angesichts der Hamas-Pogrome in Israel eine gute Nachricht. Was zu hoffen bleibt.
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute neben einem Hamas-Betätigungsverbot auch das Verbot des palästinensischen Netzwerks Samidoun ankündigte, war keine Überraschung. Schließlich wird es schon länger gefordert, weil aus den Reihen der Organisation immer wieder das Existenzrecht Israels in Frage gestellt wurde.
In den letzten Monaten hatten sich neben einem Teil der Linken auch Linksliberale dagegen ausgesprochen, dass mehrere Demonstrationen, an denen Samidoun-Aktivisten beteiligt waren, mit der Begründung verboten wurden, dass dort israelfeindliche Parolen verbreitet werden könnten.
Nachdem Scholz mit seiner Rede im Bundestag das Verbot der Organisation jetzt zur Chefsache gemacht hat, hätte man vermuten können, dass die Unterstützung für das Netzwerk noch wächst. Da ist es schon überraschend, dass die strömungsübergreifende linke Solidaritätsorganisation Rote Hilfe nun ihre Kampagne gegen die Ausweisung des Samidoun-Sprechers Zaid Abdulnasser beendet hat.
An seiner individuellen Bedrohungslage als Geflüchteter und Schutzbedürftiger als palästinensischer Syrer hat sich nichts geändert. Solidarität heißt für uns, dass keine Person wegen ihrer politischen Aktivitäten seine individuellen Grundrechte verlieren darf. Doch selbstverständlich gibt es auch bei uns Grenzen der Solidarität, wenn linke Grundprinzipien verletzt werden.
Die Prinzipien, die uns dabei in unserer politischen und finanziellen Solidarität leiten, sind: Das Eintreten für die Ziele der Arbeiter:innenbewegung, die internationale Solidarität, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische und gewerkschaftliche Kampf sowie der Kampf gegen Antisemitismus, Militarismus und Krieg. Diese Prinzipien definieren auch unsere Grenzen. Samidoun hat diese eindeutig verletzt. Daher erklären wir die Unterstützung der Kampagne mit sofortiger Wirkung für beendet.
Erklärung der Roten Hilfe
Auf den ersten Blick ist die Aufkündigung der Solidarität erstaunlich in einem Augenblick, in dem ein Organisationsverbot näher rückt. Zudem könnte man auch argumentieren, dass die Kampagne gegen eine Ausweisung des Samidoun-Sprechers nicht bedeuten muss, dass auch ein Strafverfahren gegen ihn Deutschland abgelehnt wird.
Mit dem Kampf gegen Ausweisungen soll mitunter auch nur eine Doppelbestrafung aufgrund der ethnischen Herkunft und einer ausländischen Staatsbürgerschaft verhindert werden.
Bruch mit reflexhafter Unterstützung der vermeintlich Schwachen
Trotzdem ist die Erklärung der Roten Hilfe vom emanzipatorischen Standpunkt aus zu begrüßen. Es ist ein Bruch mit der fast reflexhaften Unterstützung der vermeintlich Schwachen im Nahostkonflikt, nach deren Lesart an allen Ereignissen dort immer nur Israel die Schuld trägt - eine Position, die die israelischen Journalisten Adi Schwartz und Einat Wilf in ihrem Buch "Der Kampf um Rückkehr" überzeugend kritisierten.
Sie legen in dem Buch dar, wie im Nahen Osten palästinensische Flüchtlinge in der vierten Generation erzeugt werden, um damit eine Lösung des Nahostkonflikts zu verhindern. Schwartz und Wilf zeigen auf, wie seit Jahren die Verletzung der Rechte der im Flüchtlingsstatus gehaltenen Menschen in vielen arabischen Staaten wie Syrien, Jordanien und dem Libanon ignoriert wird.
Trotzdem gelang es der pro-palästinensischen Propaganda, den Schuldigen immer nur in Israel sehen. Ein Teil der Linken in vielen Ländern folgte diesen Verdikt fast reflexartig. Einige linke Gruppen redeten auch noch wenige Stunden nach dem Eindringen der Hamas auf israelischen Gebiet vom Erwachen des palästinensischen Volkes, das sich erhoben habe.
Höchstens deren anfängliche Uninformiertheit über den wahren Charakter des islamistischen Überfalls kann hier als mildernder Umstand gelten. Die wahre Dimension der größten Massaker an Jüdinnen und Juden an einem Tag nach dem Ende des NS-Regimes wurde erst nach Tagen bekannt. In der taz schreibt ein Korrespondent aus Israel über einen der von den Islamisten überfallenen Kibbuzim:
Neben drei sorgsam abgestellten Kinderfahrrädern liegen sechs Leichensäcke. Mehr als hundert Kibbuz- Bewohner wurden ermordet, wie mehrere von der Nachrichtenagentur afp befragte israelische Militärs bestätigen, manche sprechen sogar von 150 toten Zivilisten. In dem Teil des Kibbuz, in dem die jungen Erwachsenen lebten, sind die kleinen Häuser ausgebrannt.
"Die Palästinenser zündeten sie an, um die Bewohner nach draußen zu zwingen", sagt der Offizier Barak. Dann hätten die Angreifer mit Maschinengewehren auf sie geschossen. "Aber viele starben lieber im Feuer, statt von den Terroristen getötet zu werden. Wir haben viele Leichen in den Häusern gefunden", berichtet der 24-Jährige.
Joris Fioriti, taz
Ähnliche Szenen spielten sich beim Überfall auf das Rave-Festival im Süden Israels ab. Die Feiernden waren völlig hilf- und wehrlos, als ihre Mörder dort eintrafen. Sie hatten auf Schutz durch die israelische Polizei verzichtet. Es ist kein Zufall, dass viele israelische Kommentatoren bei den Mordtaten der Islamisten an die Verbrechen der Nazis denken. Das ist keine Propaganda, sondern liegt in der Art der Verbrechen. Die Menschen wurden nur gequält, verletzt und ermordet, weil sie Juden waren. Hier hat sich ein islamistischer Vernichtungs-Antisemitismus Bahn gebrochen.
Bankrotterklärung der palästinensischen Linken
Das muss für alle, die sich noch irgendwie auf links und emanzipatorisch halten, ein Grund sein, innezuhalten und nicht sofort wieder damit zu beginnen, aufzuzählen, wo überall Israel Fehler gemacht hat. Daher ist die Erklärung der Roten Hilfe ein positiver Schritt.
Denn Samidoun hat bisher die Verbrechen der Islamisten mit keinem Wort kritisiert. Dabei steht diese Organisation der PFLP, einer vorgeblich marxistischen palästinensischen Organisation nahe, die lange Zeit immer wieder betonte, dass sie für einen israelischen Staat kämpfe, in dem alle Teile der Bevölkerung, auch die jüdische, friedlich zusammenleben sollen.
Wenn die PFLP diesen Anspruch ernst nehmen würde, müsste sie die islamistischen Verbrechen unmissverständlich verurteilen. Denn wer kann noch glauben, dass nach den antisemitischen Pogromen der letzten Tage im Süden Israels, noch ein jüdischer Israeli noch einen Funken Vertrauen in die Propaganda einer Organisation haben kann, die vom friedlichen Zusammenleben redet, aber die Massaker nicht nur nicht verurteilt, sondern sie noch als großartigen Aufstand der unterdrückten Palästinenser darstellt?
Diese Verirrung der palästinensischen Linken hat eine lange Vorgeschichte. In den 1970er-Jahren betonten palästinensische Linke immer, ihr Kampf richte sich nicht gegen Juden, sondern angeblich nur gegen Zionisten. In der Praxis wurde diese Unterscheidung nie durchgehalten. Mit dem Erstarken des Islamismus im arabischen Raum und den palästinensischen Gebieten wurde die Selbstaufgabe eines Großteils dieser Linken dort deutlich.
"Befreit Gaza von der Hamas" hätte die linke Parole sein müssen
Dabei hätten die palästinensischen Linken aus Eigeninteresse die ersten sein müssen, die diese vom Iran unterstützen Islamisten bekämpfen müssen. Denn sie verfolgen alle Linken, Feministinnen und Liberalen, wo sie die Möglichkeit dazu haben. Das zeigt sich am Gaza-Streifen besonders gut. Bevor sie ihn zu einer Basis gegen Israel ausbauten, haben sie alle, die irgendwie in Opposition zu ihrem menschenverachtenden Programm standen, verfolgt.
Erinnert sich noch jemand an eine Gruppe junger Menschen, die sich in Gaza vor einigen Jahren gegen die Hamas-Propaganda wandten und bald das Gebiet verlassen mussten? Eigentlich hätte die Parole "Befreit Gaza von der Hamas" für alle Linken eine Selbstverständlichkeit sein müssen – aus eigener Betroffenheit und auch der palästinensischen. Sie hätten statt dessen auch mit den Linken und Liberalen in Israel kooperieren im Kampf gegen die islamistische Konterrevolution kooperieren müssen.
Es ist auch eine Folge dieses Versagens, dass die israelische Armee nun mit der Kraft ihres Militärs versuchen wird, Gaza von der Hamas zu befreien. Dabei werden wieder viele, auch unschuldige Menschen sterben und sofort wird wieder Israel die alleinige Schuld gegeben. Dabei ist die Hamas der Grund, die sich nie für die Bedürfnisse der Menschen im Gaza interessierte. Für sie war und ist es nur eine Basis für ihren antisemitischen Kampf.
Es wäre zu hoffen, dass die Pogrome der Hamas bei bisher nicht lernfähigen Teilen der Linken auch in Deutschland zum Umdenken führen. Die kurze Erklärung der Roten Hilfe ist daher eine gute Nachricht. Sie ist keine Unterwerfung unter die deutsche Staatsräson, sondern folgt einem linken Minimalkonsens, der viel zu oft gebrochen wurde: Es kann keine Kooperation mit Antisemiten geben.