Verbotene Sowjet-Symbole am 8. Mai: Geschichtsrevisionisten am Ziel ihrer Träume

Seite 2: Distanz zu den Rechten in der Ukraine – kein Thema

Mit dem Verbot der Sowjetfahne und einem allgegenwärtigen Andrij Melnyk, der sich von Nazis in Vergangenheit und Gegenwart nicht distanzieren will, hat die Junge Freiheit, was sie immer wollte. Aber es war nicht ihr Verdienst. Eine bürgerliche Gesellschaft, die zumindest am 8. Mai verbal die Perspektive der deutschen Opfer zulassen müsste, hat mit den Ukraine-Krieg die Chance erkannt, sich dieses Ballasts zu entledigen.

Sonst hätte es einen starken Druck auf die Zivilbevölkerung geben müssen, Melnyk eben wegen seiner mangelnden Distanz zu alten und neuen Nazis auszuladen. Es war Roman Schack, der in der linkspluralistischen Tageszeitung Neues Deutschland in einem Offenen Brief an Melnyk schrieb:

Ihre betrübliche Bewunderung für Stephan Bandera, dessen Anhänger in Ihrer Geburtsstadt Lwiw 1941 – und nicht nur dort und dann – die schlimmsten Massaker an der jüdischen, später der polnischen Bevölkerung anrichteten, ist sicher das düsterste Beispiel. Selbst jene Medien, die sich ansonsten gegen „jeden Antisemitismus“ positionieren, lassen Ihnen das durchgehen.

Roman Schack, Neues Deutschland, an den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk

Doch Schacks Hoffnung, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland das ebenso sieht, ist trügerisch. Es ist eher zu beobachten, dass Melnyk der Türöffner ist, der auch vielen in Deutschland wieder ein unverkrampftes Verhältnis zur eigenen Verbrechensgeschichte ermöglichen könnte.

Da wird in diesen Tagen offen erklärt, dass Deutschland schon längst schwere Waffen wie Haubitzen an die Ukraine liefert. Hat man eine Stimme aus dem realpolitischen Lager der Grünen oder SPD gehört, die einfordert, dass die Bedingung für solche Waffenlieferung an die Ukraine sein muss, dass keine Waffen an die Kameradschaften des Asow-Regiments gehen dürfen, die Bandera-Gedenkorte abgebaut werden und sich die Ukraine insgesamt von alten und neuen Nazis distanziert?

In der Regel ist ja Deutschland unermüdlich dabei, auch europäischen Nachbarländern Lektionen in Demokratie und Vergangenheitsbewältigung zu geben. Woher rührt also das Schweigen im Fall der Ukraine?

Die Antwort hat ohne viel moralisierendes Brimborium Tobias Fella, Referent für Sicherheitspolitik am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft, gegeben. Es geht um die deutschen Interessen, die in der Ukraine auch mit schweren Waffen sowie mit Asow-Regiment und Bandera im Marschgepäck verteidigt werden sollen. Als Gründe nennt Fella in der taz:

Berlin hat mit dem russischen Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 mit seiner Russlandpolitik einen Schiffbruch erlitten, der über Jahre fortwirken wird. Viele Mittel- und Osteuropäer sehen in Deutschland einen egoistischen Akteur, der eine krude materialistische Politik mit der Rhetorik eines moralisch überlegenen Reserve-Christus kombiniert. Infolgedessen hat sich der deutsche Gestaltungsspielraum in Europa verringert. Polen oder das Baltikum könnten sich dazu veranlasst sehen, ihre Sicherheitsgarantien direkter mit den USA oder Großbritannien, abseits von Nato und EU, abzusprechen.

Tobias Fella, taz

Wie manche Ex-Antideutsche Deutschland lieben lernen

Diese nüchterne Sprache der Analytiker deutscher Interessen hebt sich wohltuend ab von der Kriegslyrik, die ausgerechnet manche Zeitgenossen befallen zu haben scheint, die sich einst mit dem sehr weit gefassten Label der Antideutschen besonders kritisch mit der deutschen Volksgemeinschaft und dem Naziregime auseinandersetzen wollten.

Dabei muss man immer betonen, dass es sich dabei nie um eine feste Organisation, sondern um eine Strömung mit sehr unterschiedlicher politischer Ausrichtung handelte. Es sind auch nur einige, die sich dann besonders lautstark als verlorene Söhne zur einst geschmähten Nation bekennen.

"Ich bin Deutscher" - lautet der Titel der Biographie des Ex-Antideutschen Jürgen Elsässer, von dem nun schon lange bekannt ist, dass er heute mit den Argumenten, die er einst gegen Staat und Nation vorbrachte, die Querfront vorantreiben will.

Gefährlicher ist da schon die Rehabilitierung der deutschen Nation durch den Publizisten und Historiker Oliver M. Piecha, der bisher vor allem durch seine präzise Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und dem islamistischen Regime im Iran bekannt war.

Alte Konzepte mit neuem Elan

Unter dem Titel "Das Ende des Zeitalters der Sekurität" bringt Piecha in einem Online-Vortrag des "Rosa Salons Trier" viele Elemente eines neuen deutschen Nationalismus in Stellung, der NS-Geschichte endgültig entsorgt hat und sich daran macht, die Konzepte des deutschen Imperialismus mit neuen Elan in Angriff nehmen.

Piecha nimmt selbst Bezug auf das Ende des Naziregimes, wenn er schreibt: "Putins Krieg bringt die Geschichte zurück auf die Tagesordnung. (…) Die wiedergekehrte Geschichte ist unbarmherzig, zu viele Berichte über das Wüten der russischen Soldaten verweisen auf Erzählungen, von denen man immer behauptete, dass nur alte Nazis sie gerne erzählten. Denn wer solche Geschichten zu berichten hatte, konnte nur ein Reaktionär sein".

Damit nimmt Piecha Bezug auf den Untergang des Naziregimes, der für überzeugte Angehörige der deutschen Volksgemeinschaft sicher nicht angenehm war. Das leugneten auch die Deutschlandkritiker nicht. Ihre Antwort lautete: "Deutsche Täter sind keine Opfer." Mit Piecha fühlt sich ein Publizist, der zumindest zum weiteren Umfeld dieser deutschlandkritischen Strömung gehörte, sich plötzlich in die deutschen Täter ein. Er ist es, der Berlin 1945 mit Mariupol 2022 kurzschließt. Natürlich verliert Piecha auch kein kritisches Wort über das Asow-Regiment und Bandera.

Ode auf Selenskyj im Führerstand

Vielmehr liefert er eine fast schon peinliche Kitsch-Elogie auf den ukrainischen Präsidenten: "Heute steht Wolodymyr Selenskyj im Führerstand der Lokomotive, und wer mit ihm ist, macht alles richtig. Selenkyjs Reden sind von unglaublicher Präzision und Konsequenz, die Botschaften der ukrainischen Propaganda voller Pathos und Witz. Die Gesichter der Menschen, ihre Körperhaltung, die tanzenden Soldaten und der gefasste Ernst der Untersuchungsbeamten an den Massengräbern – so was kann man im Detail gar nicht planen, hier drückt sich eine kollektive Stimmung aus."

Wie kommt ein eigentlich sachlich argumentierender Publizist dazu, einen solchen Kitsch öffentlich zu verbreiten? Die Antwort findet man, wenn die Gedichte und Lyrik derer liest, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs ihre Liebe zu Deutschland auszudrücken versuchten. Doch die Parallelen sind noch augenfälliger, wenn Piecha über eine Welt räsoniert, in der geschichtlich nichts mehr passiert ist.

Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine sei ein Fenster geöffnet worden und die Realität habe wieder Einzug galten. Das war auch das Gefühl eines Teils der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Jugend im Vorfeld des Ersten Weltkriegs. Dieses Gefühl wurde zur Schwungmasse eines neuen deutschen Nationalismus, der sich nach der deutschen Niederlage 1918 in den Freikorps und später in der NSDAP manifestierte.

Neue deutsche Realität

Piecha macht auch deutlich, was zu der neuen Realität gehört, die er abfeiert: ein wehrfähiges deutsches Militär, eine Gesellschaft, die sich nicht mehr über Gendersternchen und feministische Außenpolitik streitet und die deutsche Geschichte endgültig entsorgt. „Heutzutage nennt die halbe Welt Putin einen Nazi und die russischen Soldaten gelten im Netz als Orks. Niemand fragt die deutschen Patenteinhaber, ob der Hitler-Putin-Vergleich genehm ist.“

Dann ist man endlich in einer Welt, in der die Berater von Selenskyj mit den Worten: "Die Jungs von Asow werden dort rauskommen und sie (die russischen Soldaten P.N.) verbrennen" nicht mehr auf Ablehnung, sondern auf Sympathie stößt. Diese Drohung mit einem Kriegsverbrechen, verübt von einer Nazi-Kameradschaft, und das Schweigen dazu in Deutschland, das steht vielleicht besonders für den 8. und 9. Mai 2022.

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