Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Seite 4: Alle haben weggesehen

Die Staatsanwaltschaft Detmold erhob im Mai 2019 Anklage gegen Andreas V. Der Vorwurf: 293 Fälle des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Besitz von kinderpornografischem Material. Mario S., der sich 2010 eine Parzelle auf dem Campingplatz angemietet hatte, wurde wegen 162 Taten an 17 Kindern, denen er ebenfalls sexualisierte Gewalt angetan und sie dabei gefilmt haben soll, angeklagt. Nach Recherchen von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung, sollen fast 20 Jahren lang an verschiedenen Orten Kinder Opfer sexualisierter Gewalt durch diesen Täter geworden sein. In der lippischen Trutzburg konnte er ungestört weiter Kinder foltern.

Möglich wurde das, weil offenbar niemand so genau hinsah, oder es niemand sehen wollte. Laut NDR kam seine Affinität zu Kindern offenbar niemandem komisch vor. Im Gegenteil, so beschreibt es der norddeutsche Sender:

"Ein Bild, an das sich viele Camper im Nachhinein erinnern: Mario S., der auf einem Rasenmähertraktor über den weitläufigen Campingplatz fährt. Im Anhänger: fröhliche Mädchen und Jungen. Vor seiner Parzelle, sagen Zeugen, hätten immer Kinderräder in verschiedenen Größen geparkt. Eine Mutter beschreibt ihn als "Kindermagnet", immer seien Kinder um ihn gewesen.

Bevor er selbst eine Parzelle anmietete, habe sich Mario S. einen Wohnwagen mit einem langjährigen Freund geteilt. Auch dessen Enkelkinder sollen mehrfach zum Opfer von Mario S. geworden sein. Die anderen Jungen und Mädchen, die er missbrauchte, waren ebenfalls Kinder von Freunden, Bekannten und Camping-Nachbarn. Diese Kinder brachten nach einiger Zeit häufig ihre Geschwister oder Freunde mit - so fand Mario S. offenbar stets neue Opfer. Die Staatsanwaltschaft wirft S. auch den sexuellen Missbrauch eines geistig behinderten Jungen vor."

Möglich wurde das unfassbare Verbrechen von Lügde, weil Hinweise sowohl von den zuständigen Behörden und der Polizei nicht ernst genommen wurden, weil Kindern unhaltbare Zustände zugemutet werden, möglicherweise weil das weniger Arbeit macht als neue Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen, und weil betroffene Kinder keine Anlaufstellen haben. Mit Süßigkeiten und Besuchen im Freibad wurden sie gefügig gemacht und bei Laune gehalten. Erst als ein Mädchen sich ihrer Mutter anvertraute und diese Anzeige erstattete, wurde die Pflegetochter gerettet. Bis Andreas V. verhaftet wurde, vergingen Wochen, fünf weitere, bis Mario S. verhaftet wurde. Niemand weiß, ob und falls ja, wie viele Kinder in dieser Zeit noch Opfer des Trios wurden. Da das ganze Ausmaß des Leids der Kinder erst 2019 ans Licht kam, sind diese Taten in der eingangs erwähnten PKS 2019 gelistet. Niemand kann sagen, wie viele Lügdes unentdeckt blieben und bleiben werden.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Sebastian Fiedler, Vorsitzender des "Bundes Deutscher Kriminalbeamter" erklärte im Juni 2020 in der ZDF-Sendung "Markus Lanz", dass inklusive Dunkelfeld von mehr als 100 Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder pro Tag ausgegangen werden müsse. Betroffene seien Säuglinge, Kleinkinder, Schulkinder und Jugendliche. Mittlerweile, so Fiedler, würden sogar Kinder in der Absicht gezeugt, ihnen sexualisierte Gewalt anzutun. Die Kinder und Jugendlichen würden häufig sediert, penetriert, ihnen würden Gegenstände in alle verfügbaren Körperöffnungen geschoben, von nahen Verwandten, den eigenen Vätern, häufig den Stiefvätern, sie würden an Außenstehende quasi zur freien Verfügung vermittelt. Nicht selten mit Wissen der Mütter.

In Zeiten der weltweiten Vernetzung durch das Internet und den Fortschritt der technischen Möglichkeiten hat sexualisierte Folter an Kindern inzwischen pandemische Ausmaße angenommen. Mehr als 100 vermutete Fälle pro Tag allein in Deutschland lassen darauf schließen, dass wir es mit einem zeitgenössischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu tun haben. Die Folgen dieser Verbrechen werden wir erst in vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zu spüren bekommen. Die Delikte reichen vom Anschauen von Bildern von Kindern und Jugendlichen, häufig unbekleidet, sogenannter Posings, bis hin zu brutaler Gewalt, die den Kindern angetan und gefilmt wird.

Zum Teil sind sie Opfer interaktiver Gewalttaten per Webcam. Das heißt, an einem Bildschirm sitzt eine erwachsene Person, meistens ein Mann, der einer anderen erwachsenen Person per Internet Anweisungen erteilt, wie das jeweilige Opfer zu quälen ist. Die andere Person führt die Handlungen aus und die erste Person ergötzt sich per Webcam daran. Dieser Form der sexualisierten Folter sind somit keine Grenzen gesetzt. Es ist dabei egal, ob die beiden Täter unmittelbare Nachbarn sind, oder einer von beiden in Stade vor seiner Webcam sitzt und ein anderer beispielsweise in Asien die Taten vor laufender Kamera ausführt - oder umgekehrt.

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