Versammlungsverbote: Wenn Grundrechte vorbeugend eingeschrÀnkt werden
Im Fall propalÀstinensischer Versammlungen Mitte Mai bestÀtigten auch Gerichte die Verbote. Symbolbild: ID_249 auf Pixabay (Public Domain)
Verbote von Demos mit PalĂ€stina-Bezug abzulehnen, setzt keine Sympathie fĂŒr Parolen voraus, die dort vielleicht (!) gerufen werden
"Versammlungsfreiheit gilt auch fĂŒr PalĂ€stinenser" lautete die Ăberschrift eines Beitrags des Juristen Ralf Michaels [1] auf dem Verfassungsblog [2], der sich aus einer zivilgesellschaftlichen Perspektive kritisch mit Grundrechtseingriffen auch in den LĂ€ndern befasst, die sich selbst als der freie Westen definieren.
Anlass des Beitrags war das Verbot von gleich fĂŒnf angemeldeten Demonstrationen aus den propalĂ€stinensischen Spektrum Mitte Mai in Berlin. FĂŒr den Juristen besonders bemerkenswert, wurden diese Verbote auch durch Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte [3] bestĂ€tigt. Die Versammlungsbehörde hat die Veranstaltungen unter Berufung auf "zu erwartende GewalttĂ€tigkeiten sowie volksverhetzende und antisemitische ĂuĂerungen" untersagt. Der Verlauf frĂŒherer Ă€hnlicher Veranstaltungen rechtfertigt nach Auffassung des Gerichts diese Gefahrenprognose.
FĂŒr den Juristen Michaels handelt es sich um eine bedenkliche Entwicklung:
Die Berliner Polizei erkennt durchaus an, dass PalĂ€stinenser verĂ€rgert sind; sie meint, in der jetzigen angespannten Lage in Nahost sei "fortlaufend mit VorfĂ€llen zu rechnen, die den Zorn hier lebender PalĂ€stinenser hervorrufen können. Erstaunlicherweise sieht sie aber genau in diesem Anlass fĂŒr Demonstrationen zugleich einen Anlass fĂŒr deren Verbot.
Die Verbindung mit dem historischen "Nakba-Tag", so die Polizei, dĂŒrfte im Zusammengang mit den aktuellen Ereignissen im Westjordanland, im Ostteil Jerusalems und dem Gaza-Streifen zu einer massiven VerstĂ€rkung der Emotionalisierung fĂŒhren. Aber das ist ja genau der Anlass fĂŒr die Demonstration. Wer nichts auszusetzen hat, demonstriert ja auch nicht.
Ralf Michaels, Verfassungsblog
TatsĂ€chlich könnte diese BegrĂŒndung TĂŒr und Tor fĂŒr weitere Kundgebungs- und Demonstrationsverbote ebnen. TatsĂ€chlich sind die AnlĂ€sse meistens Ereignisse, die eine Gruppe von Menschen ablehnt. Sie wollten ihren Protest und ihre Wut auf die StraĂe tragen; und genau das könnte dann eben zur Prognose fĂŒhren, dass womöglich fragwĂŒrdige Parolen gerufen werden oder Transparente gezeigt werden, die politisch von vielen mit Recht verurteilt werden.
Ist das dann aber ein Grund fĂŒr ein Versammlungsverbot? Nicht nur Michaels hat da seine Zweifel und sieht in einem Beitrag fĂŒr die Berliner Zeitung sogar die Verfassung pervertiert [4]. Auch Politiker der Linkspartei kritisierten das Verbot [5]. In der taz schreibt Lea Fauth von einem falschen VerstĂ€ndnis der Grundrechte [6]. Dabei betont sie â was sehr wichtig ist â, dass sie keinesfalls mit den Aussagen und Parolen ĂŒbereinstimmt, die auf den verbotenen Demonstrationen gerufen worden wĂ€ren.
Sie findet es aber rechtsstaatlich höchst bedenklich, wenn schon die Möglichkeit, dass solche Parolen gerufen werden, dazu fĂŒhrt, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausgesetzt wird.
Im Zweifel fĂŒr die Grundrechte
In der Vergangenheit wurden von der Polizei erlassene Demoverbote beispielsweise gegen Neonazis mehrfach mit dem Verweis auf die hohe Bedeutung des Versammlungsrechts von der Justiz gekippt. Gelegentlich haben in der Vergangenheit auch Gruppen der auĂerparlamentarischen Linken von einer Justiz profitiert, die im Zweifelsfall fĂŒr die Grundrechte eingetreten sind und Verbote oder Auflagen der Ordnungsbehörden fĂŒr rechtswidrig erklĂ€rt haben.
Das hat dann bedeutet, dass auch AufmĂ€rsche von rechten Gruppierungen nicht verboten waren, was aber antifaschistische Gruppen nicht daran hinderte, lautstark auch in Sicht- und Hörweite dagegen zu protestieren. TatsĂ€chlich ist es aus emanzipatorischer Perspektive begrĂŒĂenswert, wenn nicht alle Kundgebungen und Demonstrationen vom Staat verboten werden. Aber klar muss auch sein, dass es kein Recht auf Demonstrationen und Kundgebungen ohne Gegenproteste gibt.
Die Rechten haben dann die Möglichkeit, ihre Kundgebung durchzufĂŒhren, mĂŒssen aber damit leben, dass die Ablehnung ihrer Politik auch lautstark hörbar ist. Das ist auch die Position von Lea Fauth, die in der taz schreibt:
In einem Land, wo Meinungsfreiheit herrscht, ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft, sich derart menschenverachtenden Demonstrationen in den Weg zu stellen. Zahlreiche Antifa-Gruppen aber auch lose vernetzte Menschen tun das immer wieder mit bemerkenswerter Ausdauer. Als die rechtsextreme Partei "III. Weg" am 3. Oktober 2020 in Berlin-Hohenschönhausen einen Aufmarsch unternehmen wollte, gab es so viele und groĂe Sitzblockaden auf der Demoroute, dass die Neonazis umkehren mussten. Ihre Reden auf einem Platz wurden mit lauten Protestrufen gestört.
Lea Fauth, taz
Das weitgehende Schweigen der gesellschaftlichen Linken
Es gibt doch in Berlin israelischsolidarische Menschen, die auch regressivem Antizionismus, wenn er sich auf der StraĂe zeigt, mit Parolen und Transparenten entgegentreten können. Es wĂ€re also begrĂŒĂenswert gewesen, wenn die Demonstrationen aus dem propalĂ€stiensischen Milieu hĂ€tten stattfinden können, aber eben auch mit Protest von israelsolidarischen Menschen konfrontiert worden wĂ€re.
Durch die Verbote aber wird eine solche Auseinandersetzung autoritĂ€r durch die Staatsapparate verhindert. Und das in Berlin, wo erst im letzten Jahr das Versammlungsgesetz reformiert wurde und viel von einer Liberalisierung [7] die Rede war. Im Zweifel fĂŒr die Grundrechte sollte die Devise sein.
Nur wenige Tage vor den Verboten der propalĂ€stinensischen Kundgebungen und Demonstrationen wurden die Verbote russischer, sowjetischer und ukrainischer Fahnen im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Sieges ĂŒber den deutschen Faschismus [8] rigide durchgesetzt. AuffĂ€llig ist, dass es erfreulicherweise Proteste von kritischen Juristen und liberalen Medien gibt, aber ein GroĂteil der gesellschaftlichen Linken still bleibt, was der Publizist Daniel Bax in der Wochenzeitung Freitag kritisch anmerkt [9].
Galt da nicht mal der Grundsatz, dass man den Kampf gegen reaktionĂ€re Ideologie, seien es Neonazis oder auch Antisemitismus in Form eines regressiven Antizionismus, selbst erledigen muss und nicht auf die Staatsapparate vertrauen sollte? Ist also das weitgehende Schweigen der gesellschaftlichen Linken zu den Demoverboten vielleicht eine Folge der merkwĂŒrdigen StaatsglĂ€ubigkeit, die der Politologe Joachim Hirsch bereits in der Corona-Frage kritisierte [10], die aber bei einem GroĂteil der Linken auch im Ukraine-Krieg zu bemerken ist?
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mpipriv.de/rmichaels
[2] https://verfassungsblog.de/versammlungsfreiheit-gilt-auch-fur-palastinenser/
[3] https://www.berlin.de/gerichte/oberverwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2022/pressemitteilung.1206532.php
[4] https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/staatsrechtler-das-verbot-der-palaestinademos-pervertiert-versammlungsfreiheit-li.227922?pid=true
[5] https://taz.de/Verbot-von-pro-palaestinensischen-Demos/!5854483/
[6] https://taz.de/Nach-Verbot-von-Pro-Palaestina-Demos/!5852524/
[7] https://Mittelinksfraktion/themen/th/justiz-und-rechtspolitik/liberales-versammlungsgesetz-beschlossen/
[8] https://www.heise.de/tp/features/Verbotene-Sowjet-Symbole-am-8-Mai-Geschichtsrevisionisten-am-Ziel-ihrer-Traeume-7078353.html?seite=all
[9] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/eigenartige-stille-nach-verbot-von-nakba-demos-in-berlin
[10] http://wp.links-netz.de/?p=520
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