Verseuchter Krieg: Werden Ukrainer mit toxischer Uranmunition allein gelassen?

Ein britischer Challenger-2-Panzer, der u.a. mit DU-Munition ausgestattet ist, brennt nahe Saporischschja im Süden der Ukraine. Bild: Declassified UK / X

USA wollen auch DU-Geschosse an Kiew liefern. Ein zerstörter britischer Panzer mit Uran-Munition zeigt, dass Ukrainer vor Kontamination nicht geschützt werden. Kriegsverbrechen?

Die Vereinigten Staaten haben nun öffentlich angekündigt, der Ukraine Munition mit abgereichertem Uran (DU) zu liefern, um die Offensive des russischen Militärs abzuwehren, was von Moskau scharf verurteilt wird.

Der geplante Transfer, der Teil eines in der vergangenen Woche vorgestellten US-Hilfspakets in Höhe von einer Milliarde US-Dollar für Kiew ist, hat auch Fragen zu den möglichen Auswirkungen von abgereichertem Uran auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine aufgeworfen.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden verteidigt die Lieferung. Ein Sprecher des Weißen Hauses erklärte, die Munition stelle "keine radioaktive Gefahr" dar.

Sie ist einfach dichter als herkömmliche Panzermunition. Aber es gibt keine krebserregende oder radioaktive Bedrohung durch Munition mit abgereichertem Uran,

… sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby.

Die russische Botschaft in Washington verurteilte den Schritt der Biden-Regierung als "ein Zeichen der Unmenschlichkeit", verbunden mit "unkalkulierbaren Auswirkungen", während Russland weiter die Ukraine mit Krieg überzieht und selbst die weithin geächteten Streubomben einsetzt.

Zugleich warnt John Laforge, Co-Direktor von Nukewatch, vor den Folgen des Waffeneinsatzes in der Ukraine:

Wenn diese Geschosse im Ukraine-Krieg eingesetzt werden, werden der Boden, das Wasser, die landwirtschaftlichen Ernten und das Vieh des umkämpften Gebiets wahrscheinlich mit Uran und anderen radioaktiven Stoffen kontaminiert, die in der panzerbrechenden Munition enthalten sind. Wenn DU die Hülle eines Panzers durchschlägt, wird es zu einem Aerosol aus Staub oder gasförmigen Partikeln, die eingeatmet und mit dem Wind über weite Strecken getragen werden können.

Die USA folgen mit ihrer Ankündigung Großbritannien. Das Land hatte bereits Anfang des Jahres die Ukraine mit DU-Geschossen beliefert. Farhan Haq, der Sprecher des UN-Generalsekretärs, verurteilte die Entscheidung.

Das britische Nachrichtenportal Declassified UK berichtet jetzt, dass einer der 14 Challenger-2-Panzer, der Uranmunition enthält und abfeuern kann, in Kämpfen mit russischen Einheiten zerstört wurde.

Das schwelende Wrack wurde in der Nähe von Robotyne gefilmt, einem vom Krieg zerstörten Dorf in der Oblast Saporischschja. Aus dem zerstörten Panzer quoll schwarzer Rauch, als Ukrainer aus einem Auto mit zerbrochener Windschutzscheibe den Panzer filmten, während sie gegen den Wind daran vorbeifuhren.

Damit werden offensichtlich die Vorsichtsmaßnahmen, wie sie von der britischen Armee bei DU-Munition empfohlen werden, nicht angewendet. In militärischen Notfallplänen wird vor den toxischen Aerosolen gewarnt, die beim Verbrennen von Uran-Geschossen bei einer Temperatur über 500 Grad Celsius freigesetzt werden und der Rauch radioaktive Partikel enthalten kann.

Es sollte daher eine Schutzzone von 300 Metern errichtet werden, in die Zivilisten nicht eindringen dürfen und Soldaten Atemschutzmasken tragen müssen. Zudem sollten Gegenden evakuiert werden, in die Winde den Rauch wehen. Jeder, der potenziell die toxische Luft eingeatmet hat, soll unmittelbar in ein Krankenhaus gebracht werden, wobei die Ärzte über die Verseuchung mit Uran informiert werden müssen.

Ferner sollte das Militär vor Ort über radiologische Überwachungsgeräte verfügen. Die Beseitigung der Wrackteile könne "große Mengen kontaminierter Erde enthalten", heißt es. Doug Weir vom Conflict and Environment Observatory erklärte gegenüber Declassified:

Man geht davon aus, dass die Challenger 2 bis zu 52 Schuss Munition tragen können, in diesem Fall war ein Teil davon wahrscheinlich Charm3-DU-Munition. Frühere Fälle von Fahrzeugbränden deuten darauf hin, dass sich entflammbares DU entzünden und brennen kann, wenn das Feuer intensiv genug ist. Fahrzeuge, bei denen der Verdacht besteht, dass sie mit DU-Oxiden kontaminiert sind, müssen gekennzeichnet und entsprechend behandelt werden, um eine weitere Verbreitung in der Umwelt oder eine Verseuchung von Menschen, die mit ihnen in Kontakt kommen, zu vermeiden. Auch die Umgebung des Fahrzeugs kann kontaminiert werden.

Phil Miller, leitender Reporter von Declassified, warnt davor, dass die umkämpften Kriegsgebiete in der Ukraine durch die toxische Munition über Jahre verseucht werden können.

Man wird nicht in der Lage sein, diese Art von Dekontaminierung für einige Zeit durchzuführen, und es wird durch das Vorhandensein anderer Munition, wie Streubomben, von denen wir wissen, dass sie eine hohe Fehlerquote haben, weiter erschwert, was es für diese Entminungsteams schwierig machen kann, hineinzugehen. In anderen Konflikten, vor allem im Irak, haben wir gesehen, dass die Panzerwracks noch viele Jahre nach dem Konflikt auf dem Schlachtfeld liegen blieben. Kinder spielen darauf, weil sie sie für eine Art Klettergerüst halten, und sie können mit abgereichertem Uran kontaminiert werden, was zu sehr seltenen Formen von Krebs führt.

Gerichte: Verbindung zwischen DU-Munition und Schädigungen

Im Irak-Krieg blockierte Washington zunächst den Zugang internationaler Experten, die die toxischen Kampfgebiete dokumentieren und entseuchen wollten. Aufgrund des öffentlichen Drucks begannen die Besatzungsmächte USA und Großbritannien schließlich, einige Gebiete zu dekontaminieren, auch wenn die Mission unterausgestattet blieb und es selbst an Alpha-Detektoren mangelte.

Im Ukraine-Krieg scheint man nun jegliche Verantwortung zum Schutz der Bevölkerung zurückzuweisen. So sollen die Abschussorte, an denen DU-Munition verwendet wird, nicht bekannt gegeben werden. Großbritannien, so Miller, habe auch klargestellt, dass man nicht bei Dekontaminationsprojekten helfen werde.

Es scheint also in den letzten 20 Jahren eine Verschiebung, eine Verhärtung der Einstellungen stattgefunden zu haben, auch wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse eine größere Besorgnis sowie stärkere Betonung der Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit dieser Art von Munition zum Ausdruck bringen.

Uranmunition wurde in Ex-Jugoslawien, im Irak und Syrien von den USA eingesetzt. Seitdem hat es immer wieder eine Reihe von Hinweisen gegeben, dass Soldaten, die DU-Munition verschießen, und Zivilisten, die in Gegenden leben, in denen die Geschosse eingesetzt wurden, gesundheitliche Schäden davontragen. Darunter zählen erhöhte Krebsraten, Fehl- und Missgeburten und das sogenannte Golfkriegssyndrom.

Nach dem Einsatz von DU-Waffen durch die Nato im Kosovo 1999 forderte der Europarat ein weltweites Verbot der Herstellung, der Erprobung, des Einsatzes und des Verkaufs von DU-Waffen, mit der Begründung, dass die DU-Verseuchung "langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensqualität in Südosteuropa haben würde, die sich auf künftige Generationen auswirken". Die Forderung wurde nicht beachtet.

Der Leiter eines Gutachtens der US-Armee für abgereichertes Uran im Golfkrieg 1991 sagte zehn Jahre später, dass der fortgesetzte Einsatz solcher Waffen ein "Kriegsverbrechen" sei, das sofort beendet werden müsse. Die Unterkommission der Vereinten Nationen für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bezeichnete 2002 den Einsatz von abgereichertem Uran als "unmenschlich" und als Verletzung von Verträgen wie den Haager Konventionen, die den Einsatz von "Gift oder vergifteten Waffen" ausdrücklich verbieten.

Auch wenn es weiter Debatten über die Gefährlichkeit von Uran-Geschossen gibt, zeigen die wissenschaftlichen und Regierungsstudien auf – vor allem aus der jüngeren Zeit, während die alarmierendsten vom US-Militär selbst kommen –, dass es keinen sicheren Gebrauch von DU-Munition gibt und große Vorsicht geboten ist.

Darüber hinaus belegen Gerichtsurteile, dass Richter einen Zusammenhang sehen zwischen Uranmunition und den daraus entstandenen Schädigungen. In Großbritannien erhielten zum Beispiel mindestens zwei Soldaten, die im Irak dienten, Recht, dass das Uran sie verseucht habe. In einem Fall ging es um Geburten von Kindern mit Deformationen, im anderen um den Tod eines 39-Jährigen an Krebs. Es mussten Entschädigungen gezahlt werden.

In Italien gibt es über 300 Fälle, in denen Gerichte Veteranen oder deren Hinterbliebenen Entschädigungen für Krebserkrankungen zugesprochen haben, die auf die Exposition mit abgereichertem Uran zurückgeführt werden können. 8.000 ehemalige italienische Soldaten sollen aufgrund von Uranmunition an Krebs leiden.