Viel zu wenig: 104 Liter Regen pro Quadratmeter
Dieser Sommer ist auf dem Weg, ein neues Extremkapitel zu schreiben: Weil es so wenig geregnet hat wie nie zuvor, fehlt Deutschlands Flüssen das Wasser.
Es sind nur noch zwei kleine Rinnsaale, die am Wehr in Neubrück über die Schließklappen plätschern: Die Spree, Deutschlands zehntlängster Fluss, führt derzeit so wenig Wasser, dass się praktisch strömungslos ist. "Vor der Schleuse stinkt das Wasser richtig, es bilden sich mancherorts sogar Blasen", sagt Andre Rössel, ein Sachse, der hier gerade Erholung im Paddelboot sucht.
Die allerdings ist seit Wochenanfang eingeschränkt: Am Pegel in Leibsch werden Ausgangs des Unterspreewaldes derzeit nur noch 0,79 Kubikmeter Wasser pro Sekunde gemessen, weshalb "Phase 3" des Konzeptes zur Wasserbewirtschaftung in Kraft trat. Das bedeutet: Manche Spreeschleuse ist jetzt geschlossen, Wasserwanderer müssen dort umtragen. Einige Fließe im Spreewald werden deshalb trocken fallen, Fischsterben inklusive.
Erhöhte Giftkonzentration bei Niedrigwasser
Das sorgt derzeit an der Oder für Schlagzeilen: Der Wasserpegel liegt in Frankfurt an der Oder nur noch Zentimeter über dem historischen Niedrigwasserstand von 77 Zentimetern aus dem Jahr 2015. Noch immer ist nicht klar, welche Chemikalien zum massiven Fischsterben geführt haben. Klar ist unterdessen, dass der geringe Wasserstand die Katastrophe beflügelte: Das Gift wirkte so in höherer Konzentration, dutzende Tonnen Fischkadaver wurden bislang geborgen.
"Wenn Du mich siehst, dann weine!" Diese Aufschrift trägt der Deciner Hungerstein, eines der ältesten hydrologischen Denkmäler an der Elbe in Tschechien, der dieser Tage wieder trocken gefallen ist. Stromabwärts sieht es nicht besser aus, die Schifffahrt ist auf Deutschlands drittgrößten Strom vielerorts zum Erliegen gekommen, nicht einmal jene Fähren, die in manch ländlichem Gebiet die Verbindung sichern, können überall noch verkehren.
Noch schlimmer erwischt hat es die Weser: Auf mehr als 200 Kilometern herrscht Niedrigwasser - von Höxter bis nach Bremen. Am Rhein wurde am Dienstag erstmals der Pegelstand Null ausgerufen – am Niederrhein in Emmerich nahe der Grenze zu den Niederlanden.
Dass hier noch Schiffe fahren können, liegt lediglich an der ausgebaggerten Fahrrinne, in der sich jetzt das gesamte Flusswasser konzentriert: Die war am Montag noch mit knapp zwei Metern Wasser gefüllt. Am Main und an der Donau wird ein Fischsterben befürchtet, für einige Arten wird es schon ab 21 Grad Wassertemperatur lebensgefährlich, ab 25 Grad sterben Fische wie Äschen, Forellen oder Saiblinge, das Landesamt für Umwelt hat Alarmpläne ausgearbeitet.
Es droht ein neuer Sommer der Extreme! "Im Juli fiel mit rund 35 Litern pro Quadratmeter weniger als die Hälfte des Monatsniederschlags der Referenzperiode 1961 bis 1990", analysierte der Deutsche Wetterdienst. Daran hat sich auch im August bislang nichts geändert. Bislang fiel in diesem meteoroligischen Sommer noch weniger Regen als in den Dürresommern 2018 und 2019 - im Flächenmittel nur 104 Liter Regen pro Quadratmeter, normal wären 245 Liter.
Das Problem ist aber nicht nur fehlender Regen: Der diesjährige Juli war mit seinen Hitzewellen nach Erhebung des Erdbeobachtungsprogramms Copernicus der EU auch einer der wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Hitze verleitet die Flora mehr Wasser zu verdunsten, Bäume beispielsweise kühlen sich dadurch ab, dass się mehr Wasser über die Spaltöffnungen ihrer Blätter in die Umgebung abgeben. Das aber sorgt defür, dass noch weniger verfügbares Wasser in der Landschaft ist.
Für manche Regionen kann das existentiell werden. Zwei Drittel des Trinkwassers, dass durch die Berliner Leitungen fließt, stammt aus dem Uferfiltrat der Spree. Deshalb gibt es ein Abkommen zwischen Brandenburg und Berlin, nach dem pro Sekunde acht Kubikmeter Spreewasser über die Landesgrenze fließen sollen. Um so etwas zu gewährleisten, wurde unter anderem gerade das Wehr in Neubrück für 11,5 Millionen Euro neu gebaut.
Wasserversorgung Berlins in Zukunft nur durch Meerwasserentsalzung?
Ziel war es, im Winter und Frühjahr mehr Wasser aufzustauen, damit es eine Reserve für den Sommer gibt. Aber wie soll diese ausreichen, wenn – wie derzeit – nur 0,79 Kubikmeter Wasser pro Sekunde nachfließen? In der schnell wachsenden Hauptstadt werden Pläne geprüft, Berlin über eine Meerwasserentsalzungsamlage an der Ostsee zu versorgen.
Vorerst beschränken sich die existentiellen Sorgen auf die Wirtschaft. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Anlagen in der chemischen oder Stahlindustrie abgeschaltet werden, Mineralöle und Baustoffe ihr Ziel nicht erreichen oder Großraum- und Schwertransporte nicht mehr durchgeführt werden können", sagte Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssten sich darauf einstellen, dass solche Trockenperioden künftig nicht mehr nur Ausnahmen, sondern die Regel sind.
Tatsächlich sagen Klimamodelle voraus, dass die mitteleuropäischen Sommer trockener werden und Wetterextreme zunehmen. Und die Wissenschaft belegt, dass wir uns bereits jetzt am oberen Rand der Modellvorhersagen befinden.
Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ergab: Durch die globale Erwärmung wird es wahrscheinlicher, dass Wetterlagen in den Sommermonaten auf der Nordhalbkugel länger anhalten, was dann zu mehr extremen Wetterereignissen führt. So wie in diesem Sommer, in dem über weiten Teilen Europas eine Wetterlage anhält, die seit Monaten warme Luft aus dem Mittelmeerraum zu uns führt, feuchte Westwinde werden dagegen von einem Hochdruckgebiet über dem Kontinent blockiert.
Dabei ist die Situation in Deutschland keine einmalige. Nach Erhebung der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC), einem Thinktank der Brüsseler EU-Kommission, sind aktuell 44 Prozent der EU-Fläche und Großbritanniens von extremer Trockenheit betroffen. Hotspots sind Italiens Po-Ebene sowie Teile Spaniens, Englands und Portugals.
Für die kommenden Tage immerhin ist Regen angekündigt, "allerdings mit Überflutungsgefahr", wie der Deutsche Wetterdienst warnt. Denn das ist die andere Seite der Medaille: Weil warme Luft mehr Wasserdampf speichern kann, nehmen auch die extremen Regenfälle zu.
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