Polen: Vergiftetes Wasser, verlorenes Vertrauen
Fischsterben in der Oder: Polnische Regierung unter Druck.
"Ich könnte vor Wut schreien", so Polens Premierminister Mateusz Morawiecki angesichts der ökologischen Katastrophe in der Oder. Zwischen Kattowitz und Stettin sollen bereits 28 Tonnen verendeter Fische aus dem Fluss geborgen worden sein. Die Ursache ist noch nicht geklärt.
Unklar ist auch, ob sich Morawieckis Wut nicht auch gegen eigenes Versagen oder das seiner Regierungsmitarbeiter richtet.
Nach eigenen Angaben erfuhr der Nationalkonservative erst am 9. oder 10. August von den Zuständen. Doch schon am 26. Juli berichteten polnische Fischer im Raum der niederschlesischen Stadt Olawa (Ohlau) den Behörden über verendete Fische.
Skandal lange ausgeblendet
Die staatlich kontrollierten Medien der nationalkonservativen Regierung hielten sich lange mit der Berichterstattung zurück.
Verschleppt hätten auch die Behörden die Angelegenheit, so Vorwürfe von Fischern, Ökologen und der polnischen Opposition. Auch die Internationale Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung, die aus tschechischen, polnischen und deutschen Mitwirkenden besteht, soll nach polnischen Medienberichten nicht von Warschau benachrichtigt worden sein.
Erst vergangene Woche reagierten Regierungsvertreter mit Statements, wobei zu Anfang die Situation heruntergespielt wurde. Nun will der Staat als Akteur gesehen werden.
Das Verteidigungsministerium in Warschau hat das Militär sowie die Nationalgarde mit der Reinigung des Flusses betraut, zudem seien sie "in Bereitschaft für andere Aufgaben". Mittlerweile sind zwei Funktionäre aus den Umweltbehörden auf Geheiß aus Warschau entlassen worden.
Die Polen dürfen sich nicht mehr dem Ufer nähern, regional ist der Katastrophenfall beantragt worden. Das Finden des Verursachers wird zudem mit einer Geldsumme belohnt.
Mehrere Faktoren
Möglicherweise sind es mehrere Faktoren, die zum Sterben in dem Fluss führten, der in Tschechien entspringt. In der Umweltverwaltung des Kreis Märkisch-Oderland wurden vergangene Woche hohe Quecksilberwerte im Wasser berichtet. Später habe ein deutsches Labor hohe Salzgehalte im Flusswasser nachgewiesen.
Auch ein weiterer gefährlicher chemischer Stoff könnte gewirkt haben. Nach Angaben des polnischen "Umweltschutz-Inspektorats" sei schon Ende Juli Mesytilen in hoher Konzentration nachgewiesen worden, später jedoch nicht mehr. Offizielle Ergebnisse sollten laut Medien am Sonntag erscheinen.
Nach einem Krisentreffen der deutschen Umweltministerin Steffi Lemke mit ihrer polnischen Amtskollegin Anna Moskwa und dem polnischen Infrastrukturminister Andrzej Adamczyk in Stettin am gestrigen Sonntag antwortete Lemke auf die Frage nach der Ursache:
Es scheint tatsächlich so zu sein, dass es sich um chemische Substanzen aus industrieller Produktion handelt. Aber wir wissen das nicht abschließend.
Steffi Lemke
Unter den Verdächtigen ist auch die Papierfabrik Jack-Pol bei Olawa, wo die toten Fische erstmals gesichtet wurden. Der Besitzer wird derzeit mit Drohungen überschüttet, bestreitet aber, mit der Vergiftung etwas zu tun zu haben. Problematischer wäre es, wenn ein Chemiewerk des Konzerns Grupa Azoty belangt würde - hier ist der polnische Staat der Haupteigentümer.
Ansehen der Führung in Warschau gefährdet
Die ökologische Katastrophe scheint jedenfalls allumfassend - neben Fischen wurden in Polen auch verendete Biber und Vögel gefunden sowie tote Muscheln und Krebse. Letztere galten lange als Beweis für die Sauberkeit des Wassers. Damit könnte es nach Meinung der polnischen Gewässer-Expertin Alicja Pawelec für mehrere Jahrzehnte vorbei sein, sollte es sich wirklich um Quecksilber-Vergiftungen handeln. Polnische Behörden hatten dies aber am Sonntag ausgeschlossen.
Die Mitarbeiterin der Tierschutzorganisation WWF hatte in den Tagen davor im privaten Sender TVN24 den polnischen Behörden widersprochen, die erklärten, das Trinkwasser der Region sei nicht gefährdet. Nach Regenfällen könnte das Quecksilber auch in das Grundwasser dringen, so Pawelec.
Als Hinweis auf Quecksilber wurde gewertet, dass die Helfer, welche die toten Fische entsorgen, trotz Handschuhe Wunden an den Händen bekommen haben - Quecksilberverbindungen können gewöhnliche Schutzhandschuhe durchdringen. Auch in dem zentralpolnischen Fluss Ner sind tote Fische aufgetaucht.
Je länger die Aufklärung dauert, desto mehr wird das Ansehen der Führung in Warschau gefährdet, innen- wie außenpolitisch. Mittlerweile haben sich 33 Regionalpolitiker zusammen getan, die den Rücktritt des stellvertretenden Ministers für Infrastruktur fordern. Gregorz Witkowski hatte noch kürzlich angekündigt, in dem Fluss baden zu wollen und Aktivisten kritisiert, die Lage zu dramatisieren.
Dramatischer für die Region wäre es, wenn Deutschland Polen auf Schadensersatz verklagen würde.