Viele Tote bei Fluchtboot-Tragödie: Wären sie Ukrainer, würden sie noch leben

Griechische Medien berichten fast nur noch über das Schiffsunglück. Bild: Screenshot griechische Medien

Ein Boot kentert mit Hunderten Fliehenden an Bord. Wie viele überlebt haben, ist noch unklar. Währenddessen wird der Zugang zur EU weiter erschwert – jedoch nicht für alle. Warum Griechenland so entscheidend ist.

Bei einem Bootsunglück 47 Seemeilen südwestlich vor der griechischen Hafenstadt Pylos auf dem Peloponnes ertranken in internationalen Gewässern mindestens 79 Fliehende. 104 Personen, die auf dem schiffbrüchigen Fischtrawler unterwegs waren, konnten gerettet werden.

Die offenbar menschenverachtenden Schleuser hatten im komplett überladenen Boot rund 750 Menschen auf engstem Raum eingepfercht. Es gab keine Rettungswesten. Frauen, Kinder und Ältere wurden im Schiffsrumpf und auch im Maschinenraum untergebracht. Es sollen sich nach Angaben von Überlebenden mehr als 100 Kinder an Bord befunden haben. Gerettet wurden nur Männer und Jugendliche im Alter von 15 bis 49 Jahren.

Der Trawler war bereits zwei Tage auf dem Weg von Libyen nach Italien. Hilfsangebote von griechischer Seite wurden vor der Havarie von den Schleusern abgelehnt. Sie hätten bedeutet, dass die Geflüchteten in Griechenland festgesetzt worden wären.

Das Schiff hatte von Tobruk in Libyen, aus dem vom Warlord Chalifa Haftar kontrollierten Gebiet abgelegt. Er wurde bereits frühzeitig von der Frontex erfasst und fotografiert. Es werden erheblich mehr Tote befürchtet.

Eine Bergung des Trawlers, der rund um den tiefsten Punkt des Mittelmeers (5000 m) sank, ist nicht möglich. Das Boot kenterte nach einem Ausfall der Maschinen und einer Panik an Bord. Es sank binnen 15 Minuten.

Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou reiste noch am Mittwoch an den Unglücksort. Politiker aller Parteien sagten ihre Wahlkampfauftritte ab und begaben sich an den Unglücksort. Die Interimsregierung ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Konzerte, das Endspiel um die Meisterschaft im Basketball und wahrscheinlich auch die Fernsehdebatte der Parteivorsitzenden wurden abgesagt.

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in der Region von Januar bis Dezember 2022 knapp 3800 Migranten umgekommen. Die tatsächliche Zahl der Todesfälle liege wahrscheinlich weit darüber. Seit 2014 seien, so der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk, über 26.000 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers ums Leben gekommen oder verschollen.

Mit Sicherheit ebenfalls eine deutliche Unterschätzung des wahren Dramas. Das gut recherchierende Projekt "Migrant Files" geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind – dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen.

Die Flucht nach Europa ist für Geflüchtete aus anderen Staaten lebensgefährlich – außer für diejenigen, die aus der Ukraine fliehen. Für Ukrainer hat Griechenland wie andere EU-Mitgliedsstaaten ein vereinfachtes Verfahren eingeführt.

Die Kriegsflüchtlinge können problemlos per Flugzeug oder mit dem Schiff über die Landesgrenzen einreisen. Sie erhalten umgehend sämtliche Sozialhilfen, die auf der Seite des Einwanderungsministeriums in mehrsprachiger Form präsentiert werden.

Die erneute Schiffstragödie von Flüchtenden im Mittelmeer vor der Küste Griechenlands findet statt vor dem Hintergrund des jüngst vereinbarten Asylkompromisses der EU. Der Kompromiss, eine Verschärfung der Verfahren, hat bei den bisher Regierenden in Griechenland ein Gefühl der Genugtuung und des Triumphs ausgelöst.

Die gegenüber Geflüchteten äußerst restriktive Regierung von Kyriakos Mitsotakis sieht sich bestätigt. Zustimmung kommt auch von der Interimsregierung, die nach der gescheiterten Regierungsbildung nach den Wahlen vom 21. Mai das Land bis zu den Wahlen am 25. Juni verwaltet. Die griechische Zeitung Parapolitika spricht von einem "Sieg für Griechenland".

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