Viele Tote bei Fluchtboot-Tragödie: Wären sie Ukrainer, würden sie noch leben

Seite 2: Jubel für die Hardliner

Die Reaktion auf den Kompromiss aus Griechenland dürfte das Glaubwürdigkeitsproblem der Grünen und der SPD in Deutschland bezüglich des von ihnen propagierten Schutzes der Menschenrechte weiter verstärken. Der Immigrationsminister von Mitsotakis, Notis Mitarakis, feiert: "Die Einigung über den neuen Migrationspakt ist wichtig für die Inselbewohner und eine Rechtfertigung für Griechenland!".

Der Kompromiss nützt seiner Partei, die eine massive Erweiterung des Grenzzauns an der Landesgrenze in Angriff nahm und dafür von der Opposition im Wahlkampf kritisiert wurde.

Von Anfang an setzte sich die Nea Demokratia zwei grundlegende und messbare Ziele für die Steuerung der Einwanderung: Die erhebliche Reduzierung der Zuwanderungsströme und die drastische Begrenzung der Auswirkungen der Einwanderungskrise auf die lokalen Gemeinschaften. Beides ist ihr gelungen,

… jubelt Mitarakis, der noch im Mai wegen mutmaßlich illegaler Pushbacks an der griechischen Seegrenze am Pranger stand. Mitarakis wirft den Kritikern der "Festung Europa" Populismus vor.

Die Position der Nea Demokratia zum Schutz nationaler und europäischer Grenzen bleibt stabil. Es ist unsere Verpflichtung, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, die Einwanderung unter Kontrolle zu bringen, die Taten der Syriza-Regierung hinter uns zu lassen und mit Projekten auf den Populismus der Pasok zu reagieren.

Die Regierung Mitsotakis setze bereits im Wahlkampf 2019 das Narrativ von sicheren Außengrenzen und einer Law-and-Order-Politik ein. Sie löste im Mai durch ihre Weigerung zu einer Koalitionsregierung die erneuten Wahlen aus und strebt am 25. Juni mit dem dann geltenden Bonuswahlsystem, das der stimmenstärksten Partei Extrasitze im Parlament beschert, nach einer satten Regierungsmehrheit.

Abgeschottete, gefängnisähnliche Lager statt Moria

Mitsotakis griff den Kompromiss am vergangenen Wochenende bei seiner Wahlkampftour auf der Inselgruppe in der Ägäis, den Dodekanes, auf. "Die Politik, die Grenzen unseres Landes zu schützen, wird ohne Abstriche fortgesetzt", versprach er den Insulanern. Die Abschottung der EU setzt er als eine seiner Erfolgsgeschichten offensiv ein.

Während Mitsotakis Regierungszeit wurden auf den griechischen Grenzinseln gefängnisähnliche Lager eingerichtet. Elendslager wie das 2020 abgebrannte Moria auf Lesbos, über die Omid Nouripour, Co-Vorsitzender Bündnis 90/Die Grünen, in der ARD philosophierte, gehören der Vergangenheit an.

Statt Moria gibt es auf Lesbos das mit EU-Mitteln geförderte Containerlager auf dem ehemaligen Militärübungsgelände Kara Tepe. In solchen Lagern leben die Geflüchteten von den übrigen Inselbewohnern abgeschirmt.

Auch die Hilfsorganisationen, die versuchen Push-Backs zu dokumentieren und die Wahrung der Menschenrechte zu überwachen, sehen sich einem verstärkten Druck seitens der Regierung ausgesetzt. Viele von ihnen kommen mit dem restriktiven, von der Regierung Mitsotakis auferlegtem Regelwerk nicht klar und verstoßen gegen einzelne Bestimmungen.

Der oberste Finanzstaatsanwalt in Athen, Charalambos Vourliotis, ermittelt aktuell gegen vierzig der hundert in Griechenland zugelassenen NGOs. Einer der prominentesten griechischen Menschenrechtler, Panayiote Dimitras, sieht sich dem Vorwurf der "Geldwäsche" ausgesetzt, weil er nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Spendengelder nicht im gesetzlichen Rahmen ausgegeben haben soll.

Dimitras‘ Vermögen wurde beschlagnahmt. Zudem soll Dimitras "Immigranten das Eindringen ins Land erleichtert haben", ein Vorwurf, der gemäß den geltenden Gesetzen all jene trifft, die Geflüchteten in irgendeiner Art und Weise Hilfe leisten.

Ebenso wie Dimitras, dem zahlreiche Menschenrechtler aus dem In- und Ausland solidarisch zur Seite stehen, sieht sich auch Tommy Olsen von Aegean Boat Report gleichen Anklagen ausgesetzt. Beide hatten Pushbacks dokumentiert und vermuten, dass die Anklagen einschüchternd wirken sollen.

Das Schicksal unbegleiteter behinderter Minderjähriger

Bundesinnenministerin Nancy Faeser verteidigt ihre Zustimmung zum Kompromiss mit dem Argument, sie habe Schlimmeres verhindert. Tatsächlich gibt es auch nach dem Kompromiss Schicksale, die mit dem bisher gültigen Konsens zu Menschenrechten kaum vereinbar sind.

Minderjährige Geflüchtete mit Behinderung oder psychischer Krankheit verlieren in Griechenland wegen einer Gesetzeslücke am Tag ihres 18. Geburtstags jeglichen Schutz. Sie sind dann auf sich allein gestellt.

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