Vom Habeck-Hype zur Baerbock-Blase?

Robert Habeck und Annalena Baerbock. Bild: Grüne.de

Die inhaltlichen Aussichten der Öko-Partei gut vier Monate vor der Wahl – eine Mängelanzeige

Ja grün ist die Heide, die Heide ist grün,
Aber rot sind die Rosen, wenn sie da blühn.

Roy Black

Folgt auf den Habeck-Hype, der zwei Jahre vor der Pandemie die Kommentatoren erquickte, jetzt ein nachhaltiger Baerbock-Boom? Oder verspielt die grüne Kanzlerkandidatin bereits in den ersten Wochen den Umfragen-Vorsprung?

Einiges deutet gerade auf die zweite Variante. Zuerst war da vor 14 Tagen das von Baerbock öffentlich geradezu geforderte, inhaltlich unsinnige Parteiausschlussverfahren gegen den unbequemen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, dann am vorigen Wochenende die völlig überflüssige Ankündigung, man wolle Kurzstreckenflüge abschaffen.

Ein mindestens taktischer Fehler. Denn warum muss die "Kanzlerkandidatin" Baerbock ungefragt eine Debatte über Kurzstreckenflüge vom Zaun brechen? Sie hat dann zwar schon irgendwo auch dazu gesagt, dass Bahnfahrten für Familien billig sein sollten oder möglichst noch billiger werden. Aber das hat natürlich kein Medium in die Schlagzeilen gesetzt, auch nicht jene Zeitungen, die den Grünen freundlich gesonnen sind.

"So gewinnen die Grünen keine Sympathien"

Die Schlagzeile der Pressemitteilung der Grünen hätte niemals dem Sinn nach lauten dürfen: "Kurzstreckenflüge abschaffen", sondern sie hätte lauten müssen: "Bahnfahrten für Familien sollen billiger werden" – das wäre die richtige Schlagzeile. Und dann hätte man unter ferner liefen irgendwann im dritten Absatz dazu schreiben können, dass Kurzstreckenflüge nicht billiger sein dürfen als... Und das hieße dann, dass sie de facto so teuer werden müssen, dass sie damit de facto abgeschafft werden. Auch dies ist etwas, das man zumindest in Teilen dem Markt überlassen kann – und wer hier nun "liberale Ideologie!" schreit, der hat den Schuss nicht gehört.

"So gewinnen die Grünen keine Sympathien" weiß auch "die alte Tante Zeit", und folgert "wenig durchdachte Symbolpolitik ist kontraproduktiv". Schon wieder machen die Grünen Wahlkampfhilfe für ihre Gegner, und erinnert alle Wähler nun wieder an ihre Tradition als Verbots- und Bevormundungspartei. In der Western-Sprache ausgedrückt: Sie schießt sich selbst ins Knie.

Das Gleiche mit dem Antrag von 300 Grünen um die Streichung des Begriffs "Deutschland" im Wahlprogramm. Sachlich gut begründet – "Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit. Und nicht Deutschland" – kommt die Debatte zur Unzeit.

Kleinere Haltungsfehler von Baerbock kommen hinzu: Dass sie von Ludwig Erhard noch nichts gehört hat, teilt sie mit ihren potenziellen Wählern. Eine Empfehlung fürs Kanzleramt ist es nicht.

Die ersten Mai-Umfragen zeigen: Die Grünen beginnen ihren Vorsprung gegenüber der Union gerade schon wieder zu verlieren, in der Bewertung der Persönlichkeiten – "Wen wünschen Sie sich als Kanzler?" – hat Armin Laschet Annalena Baerbock in dieser Woche bereits überholt. Fast möchte man Mitleid mit den Grünen haben."Wir wollen mitregieren" Aber mit welchem Ziel?

Vor gut drei Jahren traten Robert Habeck und Annalena Baerbock den gemeinsamen Vorsitz der Grünen an. Seitdem ist ihnen vieles gelungen: Die Öffnung der Partei zur Mitte der Gesellschaft wurde geleistet, auch wurde das Versprechen erfüllt, Politik für eine größere Breite der deutschen Gesellschaft zu machen. Die Grünen haben sich für die klassischen Wählerschichten der Union geöffnet und sind damit umgekehrt für langjährige Unionswähler – oder zumindest für ihre Ehefrauen und ihre Kinder – wählbar geworden.

Zugleich aber ist der Preis dieser Öffnung hoch; dieser Weg führt auch ins Diffuse. Besonders unter der Corona-Pandemie ist das deutlich geworden. Den Grünen fehlen die Themen. Ihr Hauptthema lautet: "Wir wollen mitregieren." Aber wozu? Mit welchem Ziel?

Weder Bürgerrechte noch Bildungspolitik

Die Grünen vermögen es vor allem nach wie vor nicht, die Schwächen der FDP als einer klassischen Bürgerrechtspartei auszugleichen. Weder in der Frage des Datenschutzes noch in der Frage von Digitalisierung noch bezüglich eines Verbraucherschutzes (insbesondere in Zeiten der Digitalisierung des Handelns, der Transnationalisierung von Verbraucherrechten und -ansprüchen in Zeiten globaler Wirtschaftskonzerne) oder mit Blick auf eine Verkehrsreform haben sich die Grünen bislang in irgendeiner Weise profilieren können.

Auch zum Thema Bildung haben die Grünen so gut wie gar nichts zu sagen. Was soll sich an den Universitäten ändern? Wie werden junge Menschen fürs 21. Jahrhundert vorbereitet? Welche Bildungsinhalte sind wichtig? Wie soll berufliche Fortbildung auf allen Ebenen, also nicht nur an der Universität in Zukunft gestaltet werden?

Das wichtigste Thema scheint es hier für die Grünen tatsächlich zu sein, mehr Frauen zu Professorinnen zu machen und an den Universitäten gendergerechte Sprache einzuführen. Auch das hat beides mit Zukunftspolitik nicht das Geringste zu tun - es ist allenfalls Klientelpolitik.

Mehr Regulierung, mehr Vorschriften, mehr Bürokratie

Das einzige Alleinstellungsmerkmal der Grünen ist ihre Klimapolitik. Auch dieses Thema ist den Grünen mehr oder weniger in den Schoß gefallen. Aber sie haben es aufgegriffen. Klimawende, Klimawende, Klimawende - so tönt es nun immer wieder aus der grünen Parteizentrale. Die Krise zeige, dass "unser angestammtes Wirtschaftssystem so nicht mehr funktioniert" steht im Parteiprogramm.

Wachstum dürfe nicht mehr Selbstzweck sein. Die Fridays-for-Future-Bewegung findet man ganz toll und einigen ihrer Aktivisten bietet man sichere Listenplätze. Sobald es konkret wird, wird es aber auch auf diesem Feld bei den Grünen lasch und schwammig - und auch wenn man sich die Forderungen der Fridays-Fundamentalisten nicht zu eigen macht, muss man konstatieren, dass Fridays for Future eine ganze Menge an den Grünen zu kritisieren haben.

Denn wie genau soll eine grüne Klimawende eigentlich aussehen? Ein wenig hat man den Eindruck, es geht immer noch vor allem darum, die Mülltrennung und das Dosenpfand zu perfektionieren, die Verspargelung der Landschaft mit Windkrafträdern zu vervollständigen, und ansonsten kommt der Strom nach wie vor aus der Steckdose. Irgendwie will man "Nachhaltigkeit" (= grünes Neusprech für "Wachstum") mit "Gerechtigkeit" verbinden.

Ein paar Bemerkungen zu E-Autos, ein paar Bemerkungen zu mehr Wärmedämmung von Gebäuden - aber vom politischen Grundansatz her sind die Grünen altmodisch und sozialdemokratisch: Mehr Regulierung, mehr Vorschriften, mehr Bürokratie. Weder Selbstverantwortung der Bürger noch marktwirtschaftliche Regulierung nehmen im grünen Programm einen größeren Platz ein. Das Wort Freiheit kommt im Programm immer nur unter "ferner liefen" vor.

Während die Grüne Partei früher das Emanzipatorische in den Vordergrund gestellt hat, muten Teile des Programms heute paternalistisch an. Aus dem Motto "Wir ermöglichen dir deine freie Entfaltung" ist ein "Wir regeln das für dich" geworden.

Der Grundansatz auf vielen Einzelfeldern lautet: Gegängelt und bevormundet wird noch immer. Es trifft nun allerdings nicht mehr die einzelnen Bürger, sondern Konzerne und Institutionen. Immer wieder zeigen die Grünen, sobald ihre Politik konkret wird, eine starke Tendenz zur Verbotspartei und zur Vorschriftspartei. Kein Wunder, dass sie sich mit der CDU mindestens so gut verstehen wie mit der SPD.

Konfliktscheu ohne Ecken und Kanten

Ansonsten? Außenpolitik? Fehlanzeige. Man hat irgendwie etwas gegen Russland, insbesondere ist man gegen "Nord Stream 2"; man ist für die Nato, aber nicht so richtig. Und man ist gegen den Syrien-Krieg, das aber wirklich.

Kulturpolitik? Fehlanzeige. Außer dass die Regierung irgendwas schlecht macht und man mehr Multikultistoffe im Kino und auf Theaterbühnen und mehr Diversität unter den Kulturschaffenden fördern möchte.

Kampf gegen rechts? Eigentlich auch Fehlanzeige. Natürlich hat man etwas gegen rechts und findet Rechte ohnehin doof und schlimm. Auch hier will man dann den starken Staat und mehr Geld für den Verfassungsschutz. Den Kampf gegen Ausländerhass und Rechtsextremismus muss man den Grünen inhaltlich unbedingt abnehmen. Aber es geht auch auf diesem Feld nicht um Glaubensbekenntnisse, sondern es geht darum, wie effektiv die Grünen hier Politik machen.

Wo ist die Innen- und Justizpolitik der Grünen, die sich der Polizei annimmt, sie besser ausstattet, ihr Rückendeckung im Kampf gegen Rechtsaußen gibt, und Konzepte hat, um die Polizeibehörden von rechtsextremen schwarzen Schafen zu säubern?

Wo bleibt der "Rheinische Kapitalismus 2.0"

Damit es mit der Umweltpolitik konkret wird, gibt es auf der einen Seite die Lippenbekenntnisse für ganz viel Umweltschutz und ganz viel Artenschutz. Auf der anderen Seite gibt es eine tatsächliche Konfliktscheue im Kampf für die Demonstrationsfreiheit von Umweltaktivisten, und eine ähnliche Konfliktscheu im Kampf gegen den Ausbau traditioneller Verkehrswege, insbesondere Landstraßen und Autobahnen.

Verkehrspolitik ist überhaupt ein weiteres trauriges Kapitel der Grünen-Politikagenda. Weit entfernt sind die Grünen von ihren alten Ideen einer grundsätzlichen Verkehrswende - denn die hieße Abwendung von der Auto-Klientelpolitik und Abwendung von allen Gefälligkeiten für die Autoindustrie; Abwendung von dem alten Modell des rheinischen Kapitalismus, der die Bundesrepublik zugegebenermaßen sehr weit geführt hat.

Vielleicht könnte man dieses Modell erneuern, indem man einen "Rheinischen Kapitalismus 2.0" skizziert, also Industriepolitik betreibt, aber für andere Industrien – nicht mehr für Autos und Lufthansa. Hier am ehesten stehen die Grünen teilweise schon tatsächlich für Neues. Aber nichts wird konsequent betrieben.

Am Ende des Tages lautet das Fazit: Die Grünen geben sich vor allem in taktischen Fragen extrem lernfähig. Sie schmirgeln sich alle Ecken und Kanten ab. Sie machen bessere CDU-Politik, aber sie machen keine andere Politik mehr.

Grüne Pandemiebekämpfung: Partei der Sicherheit, nicht des Mutes

Alles das kulminiert in der katastrophalen Corona-Politik der Partei. Corona-Politik für die Grünen heißt, bei Talkshows mit besorgtem Göring-Eckardt-Blick in die Runde zu schauen.

Wo eine Oppositionspartei – gerade und ganz besonders eine sich selbst als "bürgerlich" charakterisierende Partei aus der Mitte der Gesellschaft, nicht aus ihren Rändern links und rechts – der Regierung auf die Finger schauen und gelegentlich auch auf diese Finger klopfen müsste, und wo eine Oppositionspartei Alternativen aufzeigen müsste, da sind die Grünen zur Partei der Alternativlosigkeit mutiert. Sie wollen alles genauso machen, wie Mutti Merkel es seit März 2020 macht, nur strenger, schärfer, noch vorsichtiger, noch pedantischer.

Gesundheitspolitik im Grünen Verständnis heißt Meckern über das Grundsätzliche, und ansonsten zusehen, dass die Intensivbettenplätze nicht überlaufen, und trotzdem nicht so viel kosten. Es heißt Verständnis zu haben für das von Jens Spahn verantwortete Testdesaster und Impfversagen; es heißt auch Verständnis zu haben für die EU-Regulierungswut, die im Effekt nicht nur dazu führt, dass EU-Bürger später geimpft werden, als die übrigen Menschen aus der kompletten entwickelten Welt, sondern auch dazu, dass deswegen mehr EU-Bürger sterben, als in allen übrigen Teilen entwickelten Welt.

Ansonsten heißt Corona-Politik für die Grünen seit vergangenem Sommer ab und zu "Grundschule!" zu rufen oder "Kitas!". Das ist zwar nicht falsch, aber das ist viel zu wenig.

Corona ist zum generellen Lackmustest geworden – das hat man schon für alles Mögliche festgestellt. Und auch für die Grünen wird das deutlich.

Corona zeigt: Die Grünen sind keine Partei der Freiheit, auch nicht eines neuen Verständnisses von Freiheit; die Grünen sind eine Verbotspartei und Vorschriftenpartei, sie sind eine Partei der Sicherheit und der Vorsicht, nicht des Mutes, nicht des Risikos.

Dass sie das alles nicht sind, ist nicht schlecht für die Grünen. Aber es ist schlecht für die Bundesrepublik Deutschland.

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