Vom Leninisten zum Superdeutschen? Jürgen Elsässers radikaler Wandel

Jürgen Elsässer

Jürgen Elsässer, 2017 auf der Compact Konferenz. Bild: knipsdesign / Shutterstock.com

Erst linksextrem, dann rechter Wortführer. Wie der Compact-Gründer die Hufeisentheorie infrage stellt. Ein kritischer Blick auf seine Vergangenheit.

Es könnte so scheinen, als biete die Vita des Herausgebers des unlängst verbotenen rechtsradikalen Magazins Compact Futter für die Hufeisentheorie: Diese kennt bekanntermaßen zwei verwerfliche Extreme und den guten dicken Bauch der verfassungsgemäßen Mitte.

Pro-amerikanischer Bellizismus

Jürgen Elsässer sei mal linksextrem gewesen, so konnte man lesen, nun habe es ihn auf die andere Seite der Extreme verschlagen, um laut Innenministerium ein "zentrales Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene" zu leiten.

Auch der Historiker und Jungle World-Autor Volker Weiß, Verfasser des Bestsellers "Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes", stellte Elsässer als einen "nach weit rechts gewendeten ehemaligen Leninisten" dar. Das ist nur die halbe Wahrheit.

Leninist im strikten Sinne war Jürgen Elsässer als Mitglied des Kommunistischen Bundes in Stuttgart in den 1970er und 80er Jahren. Tatsächlich ist er aber niemand geringeres als der mutmaßliche Erfinder des Antideutschtums der 90er Jahre.

Dieser Teil der nach der Wiedervereinigung entstandenen Linken, die mit der Hamburger konkret unter dem leitenden Herausgeber Herman L. Gremliza ihr Publikationsorgan fand, warnte zuerst vor einem "Vierten Reich", um sich dann einer bedingungslosen Unterstützung Israels sowie einem pro-amerikanischen Bellizismus zu verschreiben, der sich in der Bejahung des war on terror und des Irakkriegs 2003 zeigte.

Alles traditionell Linke wurde abgelehnt: vom DDR-Sozialismus über linksgewerkschaftliches Engagement bis zu einem antiimperialistischen Internationalismus.

Dass diese Szene nicht tot ist, sondern quicklebendig, zeigte eine Veranstaltung am Freitag, den 2. August in der Humboldt-Universität zu Berlin, auf der zwei Protagonisten ihre Weltsicht 250 meist jungen und andächtig lauschenden Studierenden nahebringen konnten.

Ein Teilnehmer stellte dann auch die sinnvolle Frage: "Warum habt ihr nicht Jürgen Elsässer eingeladen? Der hätte vieles zu erzählen gehabt."

Elsässer und die Jungle World

Ob Jürgen Elsässer oder der Hamburger DJ und Poptheoretiker Günther Jacob die Selbstbeschreibung "antideutsch" für einen Teil der Nachwiedervereinigungslinken erfanden, ist umstritten. Elsässer war entscheidender Impulsgeber für die Gründung der Berliner Wochenzeitung Jungle World im Jahr 1997, die bis heute strikt proisraelisch und antikommunistisch positioniert ist.

Der Verfassungsschutz informiert zwar ebenfalls immer von den Wandlungen dieser Szene, scheint sie aber kaum als Gefahr für den deutschen Verfassungsstaat zu erachten.

Tatsächlich bezog sich Jürgen Elsässer als Antideutscher noch im Jahre 1999 positiv auf die Zuschreibung "linksliberal" und erklärte, dass er den Historiker Andrei S. Markovits, den langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden in Deutschland Ignatz Bubis, den Publizisten Michel Friedman und grünen Kritiker Micha Brumlik als "politische Freunde aus der Walser-Debatte" ansehe.

Schließlich erschien allen Fünfen Martin Walser als Nazi-ähnlich. Kritik des angeblichen linken Antisemitismus, des angeblichen Antiamerikanismus, angeblich linksvölkischer Um- und Urtriebe boten die gemeinsame politische Plattform. Die liberale Mitte des Hufeisens hatte er also auch kennengelernt und durchlaufen.

In vielem erscheint Elsässers Compact-Phraseologie wie ein glatter und einfacher Sprung exakt auf die Position, die er in seiner antideutschen Hochphase rund um 1995 vehement kritisierte, zuweilen aber auch erst konstruieren musste.

Denn bei aller Kritik an Walsers Friedenspreisrede: Im Vergleich mit der heutigen rechten Agitation seines früheren Kritikers Elsässer, war der Schriftsteller Walser immer ein um unbequeme und doch kritische Selbstposition bemühter Zeitgenosse mit Abscheu vor dem Nazismus, der sich, wenn auch mit deutlich zu viel deutschem "Wir"-Bekenntnis, in den frühen Jahren der BRD mit Auschwitz und der deutschen Schuld auseinandersetze.

Elsässers antideutsche Phase währte gut zehn Jahre – inklusive liberaler "Bubis-Friedmann-Brumlik"-Episode. Er eröffnete seine publizistische Karriere in dieser Zeit mit einem Buch, das den Titel trug "Antisemitismus, das alte Gesicht des neuen Deutschland" und 1992 erschien. In den 90ern sollte er vor allem bei traditionellen Linken Antisemitismus ausmachen.

1995 warf er Dutschke noch "Antiamerikanismus" vor und dass er bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und des Holocaust versagt habe.

Damit lag er voll auf Linie der antideutschen Narration und befleißigt sich einer in besonderen Maße von antideutschen Publizisten gekonnt durchdeklinierten Methode: der Konstruktion von linken Antisemiten. Der damalige Elsässer hätte es heutzutage gut zu einem Antisemitismusbeauftragten bringen können.

Erlsässers erneute Wandlung mit dem Irakkrieg

Doch dann erfolgten die Anschläge von 9/11 und der Irakkrieg 2003. Während die antideutsche Szene den war on terror im Zeichen eines Pro-Amerikanismus befürwortete und ebenfalls beim Irakkrieg 2003 Gewehr bei Fuß stand, wand sich Elsässer von seinen ehemaligen Gefährten ab.

Nun vertrat er linksgewerkschaftliche, antifaschistische und friedenspolitische Positionen. Hätte es zu dieser Zeit die Bewegung rund um Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann namens "Aufstehen" gegeben, er hätte dort seine damaligen Positionen als organischer Intellektueller, medienbeflissener Altkader und Politprofi bestens einbringen können.

Dieser Elsässer wäre auch mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kompatibel gewesen. Allerdings eben nur dieser Elsässer des Jahres 2003. Betrachtet man die hoch selektive Aufnahmepolitik der neuen Wagenknechtpartei, so scheinen die Parteioberen solchen Kippfiguren allerdings einen Riegel vorschieben zu wollen.

Die Reise Elsässers ging weiter. 2007 veröffentlichte er ein linkspopulistisches Traktat "Angriff der Heuschrecken. Zerstörung der Nationen und globaler Krieg". Nach der Finanzkrise von 2008 gründete Elsässer die "Volksinitiative gegen das Finanzkapital" und die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit kommentierte:

Mit der neuen Organisation könnte ein neuer "Nationalbolschewismus" fröhliche Urständ feiern.

Hier verfolgte Elsässer tatsächlich einige kurze Jahre ein "Querfront"-Konzept, in dem er – antiamerikanisch motiviert – rechte Nationalisten, linksnationalistische Antiimperialisten und antiwestliche Muslime mit etatistischer Ausrichtung zusammenführen wollte.

Mal wieder erstarb jedoch dieser Querfrontbildungsversuch schnell an der mangelnden Beteiligung einzelner Linker. Die Rechten und Reaktionäre blieben unter sich.

Neues Publikum bei "Montagswachen"

Die Erde war im linken Milieu für Elsässer verbrannt, er fand ein neues Publikum. So fungierte der Volkstribun als gefragter Redner der von Lars Mährholz initiierten obskurantistischen Montagsmahnwachen, die sich ab März 2014 gegen die Zuspitzung der Kriegsgefahr aufgrund der internationalen Dimension des Syrienkriegs und des Ukrainekonflikts formierten.

Schließlich gründeten sich in Dresden die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) als islam- und fremdenfeindliche Bewegung mit dem Ziel eines generellen Einwanderungsstopps.

Jürgen Elsässer schloss sich wie der rechte Teil der Friedensmahnwachen dieser neuen Bewegung an. Die Pegida-Parolen gingen weit über das klassisch rechtsradikale Milieu hinaus und öffneten wie die Coronarebellenaufmärsche ab 2020 Räume für Publizität und Agitation, die Elsässer immer schon suchte.

Während der heutige Holocaust-Leugner Horst Mahler, der auch mal in der radikalen Linken seine Heimat hatte, ein einsamer Extremist wurde, der sich ins Jenseits der Rezeptionsfähigkeit und Respektabilität manövrierte, konnte der publikationssüchtige Volkstribun Jürgen Elsässer sich im rechtsradikalen Milieu neu entwerfen, fand Anhänger und Gefolgschaft und natürlich auch eine materielle Existenz, die als linker Publizist stets prekär war und ist.

Vom Antideutschen zum Superdeutschen

Es fällt schwer, rote Linien ideengeschichtlicher oder politideologischer Art bei Elsässer zu finden, die eine Kontinuität des Denkens und seiner Positionierungen stiften könnten. Elsässer war alles und sein Gegenteil. Dies zeigt sich am augenscheinlichsten in der Kehre vom Antideutschen zum Superdeutschen.

Elsässer teilte mit dem gesamten "antideutschen" Milieu von der Jungle World bis zu dem konkret-Herausgeber Herman L. Gremliza eine schwache politische Methode. Das entscheidende Kriterium lautete: Nazi oder Nicht-Nazi?

Nach deutscher Wiedervereinigung und dem Untergang der Sowjetunion waren diese heimatlosen Linken nur noch in der Lage, sich in diesem Manichäismus zu bewegen. 1999 erschien Elsässer die Außenpolitik der BRD als völkisch und nazigleich, die Gegenseite als antifaschistisch.

"Es ist für mich ein antifaschistischer Reflex, auf der Seite der Israelis und Juden wie der Jugoslawen und Serben zu stehen," tönte er.

Der liberale Historiker Markovits, der mit dem damaligen Elsässer vor allem in den Attacken auf eine angeblich antiamerikanische Linke einig war, antworte darauf schulterklopfend: "Sie sind ein World-War-II-guy; das ist mir im Prinzip sympathisch, ich bin eigentlich auch einer." Der vorgebliche "World-War-II-guy" lud allerdings 2019 zu einer "Compact-Geschichtskonferenz" unter dem Titel "Freispruch für Deutschland!" ein, die fordert:

• Schluss mit der Dämonisierung der Deutschen zum "Tätervolk" (Goldhagen);
• Schluss mit der Kollektivschuldlüge, die alle Deutschen für die Verbrechen der Nationalsozialisten in Geiselhaft nimmt – und sogar noch die Nachgeborenen ins Büßerhemd zwingt.

Dass diese Wendung kein Zufall ist, darüber gibt ein Brief von 1994 Aufschluss, den der dissidente DDR-Intellektuelle Wolfgang Harich an Elsässer persönlich schrieb. In dessen "verallgemeinertem Deutschenhass" sah der Philosoph nur einen Ausdruck seiner "Neigung zur Menschenverachtung". Harich schließt seinen Brief mit den Worten:

Ich kann Ihnen nicht den Vorwurf ersparen, dass der Deutschenhass bei Gremliza, bei Ihnen und auch bei anderen Ihrer Richtung mitunter Züge einer selbst faschistoiden Totschlagmentalität annimmt.

Das Fortwesen dieser faschistoiden Totschlagmentalität lies sich auch bei der Antideutschen-HU-Veranstaltung am 2. August 2024 beobachten. Die dort anwesenden Vertreter des "israelsolidarischen Antideutschtums" sind nicht in der Form wie Elsässer rechtsradikal geworden. In ihrer Israel-Unterstützung finden sie sich sogar im Mainstream deutscher Staatsräson wieder.

Einige Ex-Antideutsche haben sogar beachtliche Karrieren als Antisemitismusexperten oder Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung eingeschlagen. In Blättern wie der Jungle World betreiben sie immer noch ihr Linken-Bashing kombiniert mit pro-israelischer Propaganda.

Sie teilen mit Elsässer das alte antideutsche Ressentiment, das besser als Element neuer deutscher Ideologie zu bezeichnen ist: Im Geiste einer autoritären und elitären Politikform verachten sie die Geschichte der sozialistischen und internationalistischen Linken.

Mittels der Methode Gremliza/Elsässer werden die Palästinenser voller eurozentristischer Überheblichkeit vor die Folie der Nazis geschoben, um den verbrecherischen und illegitimen Krieg Israels gegen Gaza mindestens als Verteidigungskrieg, wenn nicht als antifaschistisch motiviert ausweisen zu können. Extreme Menschenfeindlichkeit, die sich nicht mittels eines schlichten Hufeisens abbilden lässt, kennt eben viele Gesichter.

Gerhard Hanloser hat 2019 eine Studie über die "Antideutschen" im Münsteraner Unrast-Verlag vorgelegt: Die andere Querfront. Skizzen des antideutschen Betrugs.