Vom braven Bürger zum braunen Würger

Extremismus der Mitte statt Hufeisen: Ein polemischer Kommentar, der den Erfurter Pakt zwischen bürgerlichen Kräften und den Faschisten der Höcke-AfD zu erklären versucht

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Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.

Max Horkheimer

Es ist, also ob eine lang anschwellende, braune Eiterbeute endlich aufgeplatzt wäre. Das, was über lange Zeit am Stammtisch und im Hinterzimmer gärte, tritt nun offen zutage - und es ist wirklich kein schöner Anblick. Der in Teilen der bürgerlichen Mitte über Jahre ansteigende Druck, endlich mit dem im Aufstieg befindlichen Faschismus offen zu paktieren, fand in Erfurt seinen eruptiven Durchbruch an die Oberfläche der politischen Auseinandersetzung.

Die aus der braunen Ministerpräsidentenwahl resultierende Blamage der bürgerlichen Mitte, die in einem krassen Widerspruch zu der offiziösen Selbstwahrnehmung der Bundesrepublik steht, ist keinem parlamentarischen Betriebsunfall oder einer Koordinierungspanne geschuldet, sondern einem bewusst in Kauf genommenen Tabubruch, der sich - hoffentlich! - als eine Fehlkalkulation erweisen wird.

Halb zog es sie, halb sanken sie dahin - doch letztendlich wollten sie es, wie etwa Die Zeit in einem Stimmungsbild der braun anlaufenden politischen "Mitte" ausführte. An der Basis der Thüringer Union sei die faktische Koalition von CDU, FDP und AfD wie eine "Befreiung von Fesseln" wahrgenommen worden, während die nach bundesweiten Protesten erfolgte Rücktrittsankündigung Kemmerichs die für die Neue Rechte übliche Opferpose auslöste und man sich laut CDU-Parlamentariern an "DDR-Zeiten" erinnert sah.

Der Rücktritt der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dürfte auch durch das Scheitern ihrer Intervention in Thüringen motiviert sein, bei der sie ihre ostdeutschen Kameraden zur Vernunft bringen wollte, wie die Hamburger Zeitung ausführte:

Eigentlich will Kramp-Karrenbauer die Fraktion ins Gebet nehmen. Den Thüringern klarmachen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Ihnen klarmachen, wie dieser Fehler zu korrigieren sei: durch Neuwahlen. Doch, so berichten es Teilnehmer der Sitzung, und so dringt es immer wieder aus dem Saal: In Wahrheit passiert das Gegenteil. In Wahrheit wird Kramp-Karrenbauer attackiert.

Die Zeit

Offensichtlich war es die Mehrheit der Thüringer CDU-Abgeordneten, die sich "empört" über die Einmischung Berlins und Merkels in die bürgerlich-braune Koalitionsbildung in Erfurt zeigte. Längst wurde dort offene Forderungen nach eine schwarz-braunen Koalition laut. Ähnliche Überlegungen, eine Braunfront aufzubauen, wurden auch von CDU-Kameraden in Sachsen-Anhalt öffentlich ventiliert, wie auch von den Bräunlingen der sogenannten "Werte Union" um den ehemaligen Verfassungsschutzchef Maaßen. Inzwischen sind in diesen Kreisen kaum noch Berührungsängste zu Rechtsextremen und Nazis vorhanden, wie es der Pressesprecher der Werte Union jüngst demonstrierte.

Zur Klarstellung: Die Thüringer AfD unter ihrem Führer Björn Höcke ist eine rechtsextreme Partei, die von einem gerichtsnotorischen Faschisten geführt wird, der sich als Goebbels-Imitator versucht und dem Bürgerkrieg das Wort redet. Es wäre folglich eine Verharmlosung des Faschismus, den Herr Höcke personifiziert, hier noch von einer rechtspopulistischen Formation zu schreiben.

Halten die Dämme?

Und trotzdem scheint ungewiss, ob der Dammbruch von Erfurt im Zuge der öffentlichen Auseinandersetzungen wieder revidiert werden kann, ob die durch Erfurt geöffneten Schleusen, durch die sich nun die braune Flut ergießt, noch geschlossen werden können.

Nach der ersten großen Empörungswelle, nach massiven bundesweiten Protesten, scheint die übliche, seit Jahren - eigentlich seit der Sarrazin-Debatte - erfolgreich praktizierte Taktik der Neuen Rechten auch bei diesem letzten zivilisatorischen Tabubruch, begangen wenige Tage nach den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee, zu greifen: Auf den bürgerlich-braunen Tabubruch folgt die übliche Opferpose, anschließend die Prägung des öffentlichen Diskurses, bei der die Normalisierung des zuvor Undenkbaren forciert wird, um so eine zunehmende Enthemmung zu befördern, die den nächsten Zivilisationsbruch ermöglicht, etc.

Auch diesmal kam die übliche Talkshowrunde, die nach einem jeden AfD-Skandal diesen öffentlich verdaut, nicht ohne die üblichen AfDler aus, die die Diskussionen erfolgreich prägten. Auch diesmal konnte der aufschäumende Faschismus, der schon vor den Toren der mit faschistischen Seilschaften durchsetzten Staatsmacht steht, im öffentlichen Diskurs nicht marginalisiert werden. Wiederum musste man mit Faschisten reden, anstatt über Faschisten - über die wirksamsten Methoden zur Marginalisierung der braunen Brut - zu reden.

Wie weit sind die Schleusentore schon offen? Eine Blitzumfrage der ARD, in Auftrag gegeben in Reaktion auf Erfurt, gab erste Indizien auf das faschistische Potenzial in den Parteien der bundesrepublikanischen "Mitte": Rund ein Drittel der CDU-Anhänger kann sich inzwischen eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Bei der FDP sind es hingegen schon 75 Prozent, die eine Zusammenarbeit mit Faschisten nicht ausschließen wollen.

Auf den ersten Blick mag das Ergebnis überraschen. Keine andere politische Partei der Bundesrepublik verkörpert den Anspruch stärker, die Mitte der Gesellschaft zu repräsentieren, als die FDP. Doch es waren gerade liberale Politiker wie Wolfgang Kubicki, die in ersten Stellungnahmen - als die bundesweite Welle der Empörung noch nicht in Gang gekommen war - die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten Thüringens durch FDP, CDU und AfD als einen "großen Erfolg" der "demokratischen Mitte" feiern wollten.

Ähnlich verhielt es mit dem FDP-Chef Christian Lindner, der in ersten Reaktionen bemüht war, die liberalfaschistische Erfurter Wahl öffentlich zu verteidigen. Laut Medienberichten soll Lindner im Vorfeld der Abstimmung grünes Licht für die Wahl Kemmerichs durch die AfD gegeben haben.

Die Schlussfolgerung liegt somit nahe, dass die FDP-Führung den Tabubruch von Erfurt suchte, um Koalitionen zwischen der bürgerlichen Mitte und Faschisten zu normalisieren - und sich schlicht verkalkulierte, da die Öffentlichkeit noch nicht "soweit" ist, um diesen letzten zivilisatorischen Dammbruch zu akzeptieren. Der liberale Machtdrang hat die Wahrnehmungsfähigkeit der liberalen Alphamännchen schlicht "übermannt".

Den Liberalfaschismus in seinem Lauf...

Indes war es mehr als Machtstreben und Postengeilheit, gekoppelt mit einem schier schrankenlosen, amöbenhaften Opportunismus, das den brügerlich-braunen Schulterschluss von Erfurt ermöglichte. Gerade die FDP als die Partei des braven, leistungstragenden Bürgers kann eine lange Ahnenreihe waschechter brauner Würger in ihren Reihen vorweisen, die eine Zeit lang kurz davor standen, den liberalen Laden komplett zu übernehmen.

Im sogenannten Naumann-Kreis - benannt nach Werner Naumann, dem ehemaligen Staatssekretär von Reichspropagandaminister Goebbels - organisierten sich Anfang der 1950er Jahre viele Altnazis in der FDP, um die Partei zu unterwandern und zu einer NS-Kampftruppe umzuformen. Dementsprechend sahen auch die FDP-Parteitage der 50er Jahre auch aus.

… hält nur die Besatzungsmacht auf

Diese Nazi-Verschwörung traf in der liberalen Partei auf solch fruchtbaren Boden, dass erst eine Intervention der britischen Besatzungsmacht den totalen Durchmarsch der Altnazis stoppen konnte. Die von Nazis unterwanderte FDP tat sich in den Fünzigern folglich mit Forderungen nach einem Schlussstrich unter die Entnazifizierung und nach einem Ende der "Aufarbeitung" des NS-Terrors hervor. Im liberalen Sinne liberal zu sein, bedeutete somit in den 1950er Jahren vor allem, für die liberalen Freiheitsrechte der Massenmörder und Menschenschinder zu kämpfen, die Nazideutschland hervorgebracht hat.

Der "nationalliberale" Flügel war auch nach den Säuberungen der Alliierten in der FDP präsent, doch trat er verstärkt erst seit dem Ende der sozial-liberalen Koalition zutage. Insbesondere der FDP-Politiker Jürgen Möllemann agierte zu Beginn des 21. Jahrhunderts als rechtspopulistischer Provokateur am rechten Rand der Liberalen, um mit antisemitischen Ressentiments auf Stimmenfang zu gehen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete Möllemann 2002 als einen Antisemiten. Im Rahmen der von ihm ausgearbeiteten Strategie 18 wollte Mölleman, der 2003 bei einem Unfall ums Leben kam, die FDP als eine rechtspopulistische Kraft - ähnlich der österreichischen FPÖ - aufbauen und ihren Stimmenanteil von sechs auf 18 Prozent verdreifachen.

Die braunen Wurzeln der FDP spiegeln dabei nur die allgemein in der Bundesrepublik gegebenen personellen NS-Kontinuitäten in Parteien und Staatsapparat. Auch in der CDU wirkten viele ehemalige Nazis in Spitzenpositionen - bis sie größtenteils schlicht in Rente gingen und erst danach die "Aufarbeitung" der braunen Vergangenheit ihrer Ämter einsetzen konnte, woran etwa der Tagesspiegel erinnerte:

Rund 65 hohe Funktionsträger der CDU, 20 der CSU und 35 Politiker der FDP, waren Mitglieder der NSDAP, ehe sie ihre Ämter in der bundesrepublikanischen Demokratie antraten, als Bürgermeister, Landtagsabgeordnete, Bundestagsabgeordnete, Fraktionsvorsitzende, Ministerpräsidenten, stellvertretende Ministerpräsidenten und hochrangige Diplomaten.

Tagesspiegel

Es ist keine Übertreibung, wenn konstatiert wird, dass die frühe Bundesrepublik maßgeblich von ehemaligen Nazis aufgebaut worden ist (Parteien der Mitte: Null Toleranz gegenüber Nazis?), die laut der Süddeutschen Zeitung einfach "überall" waren. Sie prägten "ihren" Staat, was ja auch die Rechtsblindheit der deutschen Justiz und die Anfälligkeit des Staatsapparates der Bundesrepublik für rechte und rechtsterroristische Umtriebe partiell erklärt. Die alten braunen Wurzeln der Bundesrepublik treten in Wechselwirkung mit den sich formierenden Tentakeln neuer brauner Seilschaften und Rackets in Polizei und Justiz.

Extremismus der Mitte

Die konkrete historische Ausformung des Staatsapparates wie der Parteienlandschaft der Bundesrepublik, in der Nazis eine wichtige Rolle spielten, kann aber den Hang des deutschen Liberalen und Konservativen zur Kollaboration mit dem Faschismus nur bedingt erklären.

Es müssen auch ideologische Anknüpfungspunkte oder Überschneidungen gegeben sein, die unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen - zumeist in Reaktion auf politische, ökonomische oder ökologische Krisenschübe - die Mutation des braven Bürgers zum rechten Würger begünstigen.

Die Liberalen repräsentieren wie keine andere Partei den Neoliberalismus, der seit den 1980er Jahren eigentlich in allen kapitalistischen Kernländern eine politische Hegemonie ausbilden konnte. Es ist gerade diese hegemoniale neoliberale Ideologie, die in den vergangenen drei Dekaden die weltanschauliche "Mitte" der meisten spätkapitalistischen Gesellschaften okkupierte - und die in ihrem krisenbedingten Auflösungs- und Zersetzungsprozess auch die Brutstätte der Neuen Rechten und des Faschismus im 21. Jahrhundert bildet, indem sie "verwildert" und ins weltanschauliche Extrem getrieben wird.

In der Tat dürften sich etliche FDPler und AfDler aus denselben ideologischen Kaderschmieden des Neoliberalismus kennen, die sie gemeinsam durchliefen. Christian Lindner war bis 2015 Mitglied der extrem neoliberalen Hayek-Gesellschaft, in der längst AfD-Sympathisanten tonangebend sind. Die Süddeutsche bezeichnete den neoliberalen Thinktank gar als das "Mistbeet" der AfD.

Die Hayek-Gesellschaft hat sich der Propagierung "marktradikaler Ideen" verschrieben und spielt eine führende Rolle bei der "ideologischen Ausrichtung und Koordinierung einer Vielzahl neoliberaler Denkfabriken und Netzwerke", schreibt Lobbywatch. Es bestünden "enge Beziehungen" auch "zur Alternative für Deutschland". Neben Alice Weidel sind in der Hayek Gesellschaft die berüchtigte Beatrix von Storch sowie der AfD-Mann Peter Boehringer organisiert, der im Bundestag als Vorsitzender des Haushaltsausschusses tätig ist.

Die Überschneidungen zwischen Neoliberalismus und der Neuen Rechten werden auch anhand praktischer Politik evident. Wie eng AfD mit der FDP etwa bei der Ablehnung sozialpolitischer Maßnahmen beieinander liegen, macht der Kampf der AfD gegen den Berliner Mietendeckel klar. Die Führungsriege der AfD will nun gerichtlich gegen diesen vorgehen. Bei der Anhängerschaft der FDP und AfD ist die Ablehnung dieser bundesweit populären Regelung am höchsten.

Die Behauptung der AfD, eine "bürgerliche Partei" zu sein, ist auch beim Blick auf ihr Führungspersonal nicht von der Hand zu weisen. Das Personal der Neuen Rechten stammt ja keinesfalls von den "Rändern" der Gesellschaft. Es sind honorige, gutbürgerliche Gestalten, ehemalige CDU-Politiker (Gauland), Lehrer (Höcke), Unternehmensberaterinnen (Weidel) oder Figuren aus der Oberschicht wie die Lobbyistin Beatrix von Storch, die das mediale Erscheinungsbild der AfD prägen.

Entgegen dem Gerede von den rechten wie linken Rändern des politischen Spektrums, die angeblich die "Mitte" der Gesellschaft bedrohten, scheint es somit gerade die bürgerliche Mitte der Gesellschaft zu sein, die eben jenen Rechtsextremismus ausschwitzt, der sich gegen die bürgerliche Demokratie wendet.

Der Begriff des Extremismus der Mitte, der im Folgenden präzisiert werden soll, kann diesen Prozess der krisenbedingten Faschisierung des braven Bürgers erhellen - dies im Gegensatz zu der Extremismustheorie, die rechts und links gleichsetzt und von der Neuen Rechten wie von ihren potenziellen liberal-konservativen Koalitionspartner gern propagiert wird.

Als eine Krisenreaktion begriffen erklärt der Begriff des Extremismus der Mitte sowohl die Genese der neurechten Ideologie, wie auch ihren Erfolg: Bei ihrer politischen und ideologischen Formierung griff die Neue Rechte auf Anschauungen, Wertvorstellungen und ideologische Versatzstücke zurück, die im Mainstream der betroffenen Gesellschaften herrschen. Dieser Prozess des krisenbedingten "Ins-Extrem-Treiben" bestehender Ideologie bildet auch die Grundlage des politischen Erfolgs der Neuen Rechten - es ist kein Bruch und kein Umdenken notwendig, man verbleibt im eingefahrenen ideologischen Gleis.

Diese Mittelschichtideologie, deren Ausformung maßgeblich von der neoliberalen Hegemonie der vergangenen drei Jahrzehnte geprägt wurde, wird in Reaktion auf die Krisendynamik zugespitzt und ins weltanschauliche Extrem getrieben. Es sind somit keine "äußeren", der bürgerlichen Mitte entgegengesetzte Kräfte, die nun viele zivilisatorische Standards infrage stellen. Die krisenbedingt verunsicherte Mitte brütet die Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen ganz in Eigenregie aus.

Der Begriff des Extremismus kann die Grundlagen dieser Krisenideologie - die im Bestehenden und scheinbar "Alltäglichen" wurzelt - aber nur dann erhellen, wenn er ernst genommen und nicht nur als eine rein formale Begriffshülse verwendet wird, mit der in totalitarismustheoretischer Diktion Kräfte an den Rändern des politischen Spektrums belegt werden, die dann gleichgesetzt werden.

Stattdessen gilt es, die Grundzüge der weltanschaulichen Wahnsysteme des europäischen Rechtspopulismus nachzuzeichnen, um so die Kontinuität zwischen neoliberaler und rechtspopulistischer Ideologie aufzuzeigen. Was konkret wird von der Rechten ins Extrem getrieben?

Erst bei dieser Auseinandersetzung mit dem konkreten Inhalt der neurechten Ideologie - sowie deren Verwurzlung im Mainstream der spätbürgerlichen Gesellschaften - wird der besagte Begriff des Extremismus der Mitte voll verständlich.

Sozialdarwinismus: Das braun-gelbe Band

Diese Tendenz zur Ausbildung eines buchstäblichen "Extremismus der Mitte" spiegelt sich somit vor allem in der Ideologie, die von diesen rechtsextremen oder rechtspopulistischen Bewegungen transportiert wird. Welche ideologischen Vorstellungen, die der Neoliberalismus in den vergangenen Jahrzehnten in der bürgerlichen "Mitte" einpflanzte, werden also von der Neuen Rechten zugespitzt und ins Extrem getrieben?

Zuallererst ist hier das Konkurrenzdenken mitsamt Sozialdarwinismus zu nennen, das der Neoliberalismus forcierte und gesamtgesellschaftlich entgrenzte - und das von der Neuen Rechten in Reaktion auf Eurokrise und Flüchtlingskrise mit einem kulturalistischen oder rassistischen Überbau versehen wird.

Das Survival of the Fittest findet in der Ideologie der Neuen Rechten nicht nur zwischen den Marktsubjekten statt, wie vom Neoliberalismus propagiert, sondern auch zwischen Kulturen, Religionen oder gar - in seiner Extremform - "Rassen". Aufbauen kann die AfD dabei auf den Hetzkampagnen der Massenmedien, die etwa während der Eurokrise daran arbeiteten, die Krisenursachen zu personalisieren ("faule Griechen/Italiener").

Es findet somit faktisch eine Verselbstständigung dieser medial geschürten Ressentiments statt, die in den unkontrollierbaren Wahnräumen des Internets eine Eigendynamik entwickelten, die AfD, Pegida und co. zugute kommt. Die Krise scheint immer von außen durch bösartig agierende Gruppen in die anscheinend widerspruchslose Leistungs- oder Volksgemeinschaft hineingetragen zu werden. Die Neue Rechte praktiziert Hetze in Permanenz, während der Neoliberalismus Ressentiments immer nur als Mittel zum Zweck einsetzte, etwa um Hartz IV durch Hetze gegen angebliche "Sozialschmarotzer" zu legitimieren.

Diese Personifizierung der sozialen Folgen der Krise des Spätkapitalismus geht somit sowohl bei Neoliberalismus wie Neonationalismus mit einer Naturalisierung des Kapitalismus einher. Schon die frühere britische Premierministerin Margret Thatcher begründete ihre neoliberalen Reformen mit der Macht des Faktischen: "There is no Alternative" (TINA-Prinzip).

Die Personifizierung der Ursachen der gegenwärtigen Systemkrise baut folglich auf der Naturalisierung der spätkapitalistischen Gesellschaften auf: Diese erscheinen dem Neoliberalismus (Markt) und Neonationalismus (Nation) - mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung - als natürlicher Ausdruck der menschlichen Natur. Die Krisenschübe der vergangenen Dekaden führen folglich zur üblichen Sündenbocksuche, da der Kapitalismus in der neoliberalen Weltwahrnehmung natürlich und alternativlos ist.

Die zunehmenden Krisentendenzen können folglich nicht auf innere Widersprüche der spätkapitalistischen Gesellschaften zurückgeführt werden - wie etwa die Krise der Arbeitsgesellschaft oder der ökologisch verheerende Wachstumswahn des Kapitals, sondern werden im schädlichen Wirken der Krisenopfer verortet.

Die negativen Folgen der widersprüchlichen kapitalistischen Vergesellschaftung können so vom Neoliberalismus und Neonationalismus externalisiert werden: Sie erscheinen als negatives Wesensmerkmal einer Gruppe (Sozialschmarotzer, Flüchtlinge, etc.), mit der entsprechend zu verfahren ist. Der Neoliberalismus machte im Zuge der Personifizierung von Krisenprozessen das Marktsubjekt für das "Scheitern" am Markt verantwortlich, der Neonationalismus verfährt genauso mit ganzen Nationen oder Regionen.

Neoliberaler Standortnationalismus

Dabei bediente sich der Neoliberalismus schon immer gerne des Nationalismus, um seine gesellschaftliche Legitimität zu erhöhen. Thatcher konnte ihre neoliberale Agenda erst im Gefolge des Falkland-Krieges voll durchsetzen. In der Bundesrepublik wurde in Wechselwirkung mit der Agenda-Politik ebenfalls ein anscheinend unverkrampfter Patriotismus forciert, der seinen Durchbruch während der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland erlebte.

Die nationale Identitätsproduktion diente auch als ideologischer Kleister, der die zunehmenden sozialen Gegensätze in der neoliberalen Krisenperiode überdecken sollte. Eine zentrale Rolle spielte hierbei der Standortnationalismus: Die globalisierte Weltwirtschaft als eine Art Kampfschauplatz der nationalen Standorte wahrgenommen, wobei die Exporterfolge der Deutschland AG als Ausweis der nationalen Überlegenheit begriffen wurden - und als Quelle von Ressentiments dienten.

Hieran, an das neoliberale Bild des im globalen Kampf stehenden nationalen Standortes, kann der Neo-Nationalismus nahtlos anknüpfen - und den Schritt ins Extrem weitergehen. Der qualitative ideologische Umbruch zwischen Neoliberalismus und Neo-Nationalismus vollzieht sich vor allem entlang der Haltung zur Globalisierung, die von der Neuen Rechten als Urquell aller krisenbedingten Übel, als Werk einer Verschwörerclique von "Globalisten" imaginiert wird.

Dabei befördern die durch die strukturelle Überproduktionskrise des Spätkapitalismus global tatsächlich zunehmenden Tendenzen zum Protektionismus diesen Abschottungswahn der Neuen Rechten zusätzlich.

Dieses Andocken des Rechtspopulismus an den neoliberalen Standortdiskurs - bei dem das Standortdenken mit kulturalistischen oder rassistischen Ressentiments angereichert wird - äußert sich aber vor allem in einer verstärkten Hetze gegen alle Menschen im In- und Ausland, die als "unnütze" Kostenfaktoren wahrgenommen werden.

Der moderne Rechtspopulist agiert somit wie ein Neoliberaler auf Aufputschmitteln, der die hinlänglich bekannte neoliberale Polemik gegen die "Loser" und die "Unterschicht" abermals um eine rassistische Komponente erweitert.

Zeithistorischer Rückblick: Neoliberalismus als Brutstätte der Neuen Rechten

Der Neonationalismus ist somit ein ideologisches Verwesungsprodukt des in Zerfall befindlichen neoliberalen Zeitalters mit seinen krisenbedingt zunehmenden sozioökonomischen Widersprüchen.

Dies soll am konkreten historischen Krisenverlauf in der Bundesrepublik kurz skizziert werden. Charakteristisch für den Neoliberalismus sind dessen sogenannte Reformen, die als Reaktion auf wirtschaftliche Stagnationstendenzen implementiert werden.

So war es in der Bundesrepublik als dem vormals "kranken Mann Europas" ("Economist", 1999) die Agenda 2010 samt den Hartz-IV-Arbeitsgesetzen, mit denen das Nachkriegsmodell der sozialen Marktwirtschaft endgültig zu Grabe getragen wurde - und die zur Ausrichtung der Gesamtgesellschaft als "Deutschland AG" entlang des betriebswirtschaftlichen Kalküls führte.

Die mit drakonischen Einschnitten bei Sozialleistungen, breiter Prekarisierung, weitgehender Entrechtung von Arbeitslosen und krasser sozialer Spaltung einhergehende Hebung der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands schien tatsächlich erfolgreich, sie führte ja zur Erringung von Exportweltmeisterschaften, von denen gerade Konzerne wie Siemens profitierten.

Doch zugleich lastet Hartz IV wie ein Alb über der deutschen Arbeitsgesellschaft. Die beständig mitschwingende Drohung mit totaler Verelendung hat die Machtverhältnisse zugunsten der Unternehmer verschoben. Die zunehmende Verdichtung und Entgrenzung des Arbeitslebens ließ nicht nur die Zahl der arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen explodieren, sie verfestigte auch autoritäre Tendenzen bei vielen Lohnabhängigen, wie etwa der Sozialpsychologe Oliver Decker ausführt:

Die ständige Orientierung auf wirtschaftliche Ziele - präziser: die Forderung nach Unterwerfung unter ihre Prämissen - verstärkt einen autoritären Kreislauf.

Oliver Decker

Sie führe zu einer "Identifikation mit der Ökonomie", so Decker, "wobei die Verzichtsforderungen zu ihren Gunsten in jene autoritäre Aggression münden, die sich gegen Schwächere Bahn bricht". Je stärker der zunehmende Druck auf den autoritär fixierten Lohnabhängigen lastet, desto größer sein Bedürfnis, schwächere Menschen genauso ausgepresst und ausgebeutet zu sehen.

Die neoliberale Verzichtspolitik fördert somit die autoritäre Aggression gegen die Krisenopfer, auf der rechtspopulistische wie rechtsextremistische Ideologien gleichermaßen beruhen. Evident wurde dies während der Sarrazin-Debatte, dem irren Urknall der Neuen Deutschen Rechten, als die mit der Agenda-Politik gerechtfertigte neoliberale Hetze gegen sozial marginalisierte Bevölkerungsschichten erstmals erfolgreich öffentlich mit rassistischen und sozialdarwinistischen Ressentiments angereichert wurde.

Das neoliberale Feindbild des schmarotzenden, faulen Arbeitslosen verschmolz hierbei mit dem rechten Wahnbild des ausländischen, islamischen Schmarotzers, dessen ökonomische Unterlegenheit quasi genetisch kodiert sei.

Der Übergang von neoliberaler zu rechtspopulistischer Hetze gegen die wirtschaftlich "Überflüssigen" kann in Deutschland anhand der öffentlichen Auseinandersetzungen bei der Durchsetzung der Agenda 2010 und während der Sarrazin-Debatte nachvollzogen werden.

Während die Legitimierung etwa der Hartz-IV-Arbeitsgesetze mit einer allgemeinen Polemik gegen "Sozialschmarotzer" und "Leistungsverweigerer" einherging, griff Sarrazin bereits auf rassistische und sozialdarwinistische Argumentationsmuster zurück, bei denen die Feindbilder des Sozialschmarotzers und des Ausländers verschmolzen, um das durch die Agendapolitik verursachte Elend zu rationalisieren.

Träger dieser ersten großen neurechten Hasswelle im Rahmen der "Sarrazin-Debatte" waren nicht etwa verarmte Bevölkerungsschichten, sondern die Mittelklasse als "Mitte" der Gesellschaft, die hier ihre Abstiegsängste nach dem Krisenausbruch in den Jahren 2007 bis 2009 in Hass und Ausgrenzungsreflexe transformierte. Der Begriff des Extremismus der Mitte ist folglich unabdingbar, um den Erfolg der Neuen Rechten und des Neo-Nationalismus als den Erben des Neoliberalismus zu verstehen.

Dies gilt auch für die weiteren Krisenschübe die nach der Sarrazin-Debatte, die ja in Reaktion auf Abstiegsängste infolge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise entbrannte. Die Eurokrise, begleitet von massiver Hetze gegen die südeuropäischen Krisenopfer, die der damalige Finanzmister Schäuble einem drakonischen neoliberalen Spardiktat unterwarf, bildete den konkreten Impuls zur Formierung der AfD.

Neoliberaler Hass auf ökonomisch unterlegene Konkurrenten amalgamierte damals mit Neurechtem Kulturalismus und Rassismus, der sich gegen die in der Krisenkonkurrenz unterlegenen Südeuropäer richtete. Die Flüchtlingskrise, ausgelöst durch den krisenbedingten Zusammenbruch vieler Staaten der Peripherie, trug wiederum maßgeblich zur zunehmenden Faschisierung der AfD, sowie zur Ausbildung rechtsterroristischer Strukturen in- und außerhalb des deutschen Staatsapparates bei.

Perversion des Freiheitsbegriffs im Liberalismus

Letztendlich ist es aber die den Liberalismus seit seiner historischen Ausformung im 18. Jahrhundert prägende orwellsche Verzerrung der Idee von Freiheit, an die alter wie neuer Faschismus als eine terroristische Krisenform kapitalistischer Herrschaft anknüpfen können. Das, was das liberale Subjekt im Kern ausmacht, ist seine Fähigkeit, Verträge abzuschließen, um so auf den Markt als Marktsubjekt zu agieren.

Alle anderen liberalen Freiheiten leiten sich aus dieser Vertragsfreiheit ab. Freiheit im Liberalismus als Urform kapitalistischer Ideologie heißt letztendlich Marktfreiheit isolierter, in Konkurrenz befindlicher Marktsubjekte, also die Freiheit zum Kauf und Verkauf von Waren zwecks uferloser Akkumulation von Kapital.

Die Vertragsfreiheit ist älter als alle anderen "Freiheiten", derer sich das Bürgertum in Sonntagsreden gerne rühmt. Alle Insassen der kapitalistischen Tretmühle, vom Kapitalisten bis zum Tagelöhner, haben seit der gesamtgesellschaftlichen Durchsetzung des Kapitalismus im 18. Jahrhundert das gleiche Recht, auf dem Markt Waren zu kaufen und zu verkaufen, um hierdurch die eigene Reproduktion zu sichern.

Da die meisten Menschen unterm Kapital lohnabhängig sind, also nichts anderes als ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt feilbieten können, wandelt sich die liberale Vertragsfreiheit in einem subjektlosen, marktvermittelten Zwang zum Selbstverkauf auf dem Arbeitsmarkt. Ohne die Realisierung des Vertragszwangs, ohne die Veräußerung der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt geht der Lohnabhängige in letzter Konsequenz aller Rechte verlustig, auch des Rechts auf Leben. Wer Nichts auf dem Markt zu verkaufen hat, der ist ein Nichts, der hat eigentlich sein Lebensrecht verwirkt.

Wie diese tolle liberale Vertragsfreiheit sich historisch mit ihren 16-Strunden-Schichten und ihrer massenhafte Kinderarbeit entfaltete, kann an zeitgenössischen Darstellungen, etwa der "Lage der arbeitenden Klasse in England" von Friedrich Engels, nachvollzogen werden. Wer nichts auf dem Markt verkaufen konnte, wessen Arbeitskraft nicht nachgefragt wurde, dem stand es frei, zu verhungern.

An eben diese seine ruhmreiche, liberale Vergangenheit entgrenzter Menschenschinderei knüpfte der Neoliberalismus in Reaktion auf ökonomische Stagnationsperioden der Stagflationsperiode ab den 1980ern an. "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen". Das ist kein Nazispruch, sondern die vom SPD-Politiker Franz Müntefering artikulierte Logik, mit der die Hartz-IV-Arbeitsgesetze begründet worden sind, die - wie oben dargelegt - das sozialpolitische Fundament des Aufstiegs der Neuen Rechten legten.

Das schmierige, öffentlich kaum noch diskutierte Geheimnis der ehemaligen "rot-grünen" Koalition unter Schröder/Fischer besteht gerade darin, dass diese Parteien, die sich nun gerne als Hort des Antifaschismus gebärden, mit ihrer neoliberalen "Reformen" dem Faschismus des 21. Jahrhunderts in der Bundesrepublik den Weg ebneten.

Die Entrechtung all derjenigen Lohnabhängigen, die nicht mehr ihre Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen können, geht bei Hartz-IV nicht nur bis zum Zwangsarbeitsregime, das ja auch die Nazis im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes praktizierten - auch das Recht auf Leben stand über lange Jahre zur Disposition bei all den Menschen, die den sadistischen, oftmals völlig willkürlichen Schikanen des Amts nicht nachkommen konnten oder wollten. In der Bundesrepublik als einem der reichsten Länder der Welt sind Menschen buchstäblich in den Hungertod getrieben worden, weil sie nicht fähig waren, sich auf den Markt zu verkaufen.

Fazit: Die krisenbedingten Erschütterungen der spätkapitalistischen Arbeitsgesellschaft - Immobilienblasen, Eurokrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise - ließen in den vergangenen Dekaden deren liberale Fassade abblättern, zum Vorschein kommt der barbarische Kern kapitalistischer Vergesellschaftung.

Der ökonomisch Überflüssige wird entrechtet, in der Tendenz steht sein Lebensrecht zur Disposition. Sobald die perverse Pseudo-Freiheit, sich auf dem Markt feilbieten zu müssen, nicht mehr realisiert werden kann, werden alle anderen bürgerlichen Freiheiten zur Makulatur.

Kampf um die Hegemonie

Neben den dargelegten ideologischen und identitären Kontininuitätslinien, wie Sozialdarwinismus und Standortnationalismus, ist es somit diese liberale Marktfreiheit, die eigentlich nur die Einsicht in die Notwendigkeit der Unterwerfung unter die Sachzwänge der Kapitalverwertung meint, die in Krisenzeiten das zuverlässigste Bindeglied zwischen den angstschwitzenden braven Bürger und dem wutschnaubenden braunen Würger bildet.

Die "einfachen Wahrheiten", die der Neuen Rechten die Hoheit in den Talkrunden und an den Stammtischen bescheren, erscheinen dem Bürger gerade deswegen so selbstverständlich, weil sie das manifest machen, was an barbarischen Potenzial in Neoliberalismus schon latent akkumuliert wurde.

Aufbauend auf diesem breiten, gemeinsamen Fundament, kann die Neue Rechte im Rahmen einer erfolgreichen, an Gramsci angelehnten Hegemonialstrategie daran gehen, den in offene Verwesung übergehenden Neoliberalismus zu beerben.

Das geschieht, indem seine ideologischen und identitären Zerfallsprodukte übernommen und ins Extrem getrieben werden: Neoliberaler Sozialdarwinismus, Ressentimentproduktion gegen Marginalisierte, stupider Standortnationalismus in seiner Eigenschaft als sozialer Kleister, als Freiheit titulierte Unterwerfung unter die sich zuspitzenden Sachzwänge des Verwertungsprozesses bilden den neoliberalen Morast, in dem die Neue Rechte sich formierte.

Im Kern besteht diese neurechte Strategie aus fortwährenden zivilisatorischen Tabubrüchen, bei denen eben die Barbarei manifest gemacht wird, die latent schon in der neoliberal deformierten Gesellschaft schlummert und auf den Durchbruch an die Öffentlichkeit wartet. Deswegen folgt - seit Sarrazin schon - auf die Empörung über den "Tabubruch" eine reaktionäre Gegenbewegung, bei der Bräunlinge sich als Opfer politischer Korrektheit und als mutige Tabubrecher darstellen, die eigentlich nur aussprechen würden, was viele insgeheim dächten.

Das Manifest-Machen des latenten barbarischen Potenzials des Neoliberalismus bildet somit den Kern der Hegemonialstrategie der Neuen Rechten, die die vom Neoliberalismus in der Sozial- und Wirtschaftspolitik eingeleitete Rechtsverschiebung des politischen Spektrums in vielen anderen Bereichen fortsetzt.

Und das stimmt ja auch - viele denken so wie Sarrazin, Gauland, Höcke. Viele in der CDU und FDP sind der Meinung, das etwa Flüchtlinge an den Grenzen erschossen gehören, dass man stolz sein müsse auf die Leistungen der Wehrmacht, oder das die Zeit reif sei für eine Koalition mit Faschisten, da Deutschland in Gefahr sei.

Und die Gefahr muss von links kommen - auch wenn die Linke niemals harmloser war als heutzutage, wie ein kurzer Blick ins zeithistorische Archiv zeigen würde. Ein zentrales ideologisches Vehikel bei diesem reaktionären Hegemonialkampf, der einer bürgerlich-braunen Front vorarbeitet, bildet die Extremismustheorie mit ihrer Gleichsetzung von Links und Rechts.

Diese "Hufeisentheorie" geht mit dem Aufbau der Chimäre einer linksextremistischen Bedrohung einer in Wahrheit nach rechts abdriftenden Bundesrepublik einher, in der inzwischen der Rechtsterrorismus um sich greift. Dieses alte, schon in den 1950er Jahren von der CIA verbreitete Ideologem verdankt seine Popularität der Denkfaulheit, zu der es einlädt. Von konkreten politischen Inhalten, die zumeist entgegengesetzt sind, wird dabei abgesehen, um sich auf Äußerlichkeit zu kaprizieren.

Antifaschisten, die militant gegen Nazis vorgehen, sind somit die neuen Nazis, weil sie militant sind. Genauso kann die bieder-sozialdemokratische Linkspartei eines kreuzbraven Pilzsammlers wie Bodo Ramelow mit der AfD eines Faschisten wie Höcke gleichgesetzt werden. Die ersten Versuche der FDP, die Braunfront von Erfurt zu rechtfertigen, beruhten gerade auf dieser "Extremismustheorie", wonach man mit einem Kandidaten der Mitte Thüringen vor der roten Gefahr bewahrt habe.

Und eigentlich ist dies auch das Ziel des rechten Kampfes um gesellschaftliche Hegemonie - man will die "Mitte" okkupieren, um Faschismus zur Normalität zu machen. Eigentlich muss die Neue Rechte nur noch bis zum nächsten großen Krisenschub warten, bis auch die "Mitte" soweit sein wird, dies zu akzeptieren.

Ein Kardinalfehler der Linken in der Bundesrepublik bestand bislang darin, sich dieser rechten Diskursstrategie anzupassen, um so auf Zuspruch seitens der ressentimentgeladenen Wählerschaft zu hoffen. Auch Bodo Ramelow hat dahingehend seiner eigenen Abwahl vorgearbeitet, als er auf die Extremismustheorie rekurrierend Antifaschisten vorwarf, Nazi-Methoden anzuwenden.

Gegenstrategien zur Normalisierung der Neuen Rechten

Erfolgversprechende, progressive Gegenstrategien müssten somit vor allem darauf abzielen, eine "Normalisierung" der Neuen Rechten und des drohenden Faschismus im 21. Jahrhundert zu verhindern. Zum einen gilt es, die Marginalisierung des Personals sowie der Ideologie der AfD zu forcieren, vor allem in der Öffentlichkeit - falls dies überhaupt noch möglich ist.

Die Gleichsetzung von rechts und links, samt der absurden Konstruktion einer linksextremistischen Gefahr in der Bundesrepublik müsste hierbei entschieden bekämpft werden, da sie ein zentrales Element ist, mit dem die bürgerlich-braune Front operiert.

Letztendlich geht es um eine offene Konfrontation mit der Ideologie der Neuen Rechten, die nur in bei offensiver Auseinandersetzung noch zurückgedrängt werden könnte, indem dem barbarischen Unrat, der dort propagiert wird, der Schleier der Normalität entrissen wird.

Dies kann aber nur gelingen, wenn die krisengebeutelte spätkapitalistische Gesellschaft, deren Mitte den Faschismus ausbrütet, in die Kritik miteinbezogen wird, der antifaschistische Kampf somit mit einer Kritik des in Faschisierung befindlichen Kapitalismus gekoppelt wird, um emanzipatorische, postkapitalistische Alternativen zum Abstieg in faschistische Barbarei aufzuzeigen. Gerade in der gegenwärtigen Systemkrise gilt somit die Maxime: "Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen."