Von Silberrücken zu Silberhaaren: Warum alte Männer die Macht lieben

Gorilla vor Parlament

Gorilla. Bild: Simages.com / Shutterstock.com / Grafik: TP

Sie sind dominant, erfahren und lassen ungern los. In der Politik nennt man sie „Silberrücken“ – wie die mächtigen Gorilla-Anführer. Doch woher kommt diese Parallele?

Muskelbepackte männliche Gorillas werden bis zu 230 Kilogramm schwer und erscheinen durch einen ausgeprägten Scheitelkamm noch etwas größer, als sie ohnehin sind. Bei reifen Männchen wird das Rückenfell silbergrau, sie werden vom Schwarzrücken zum Silberrücken.

Wenn sie sich die Führung einer Gruppe von bis zu 30 Tieren erkämpft haben, sind sie dominante Silberrücken und genießen ein fast ausschließliches Paarungsprivileg mit den zahlreichen Weibchen der Gruppe. Dafür sorgen sie auch für Sicherheit, regeln Konflikte und finden die besten Futterplätze.

Wie bei anderen Primaten auch sind sie anerkannte Führungskräfte, müssen sich aber gelegentlich gegen jüngere oder stärkere Konkurrenten durchsetzen. Wenn sich das ziemlich menschlich anhört, ist es das auch. Deshalb werden erfahrene Politiker oder Wirtschaftsführer auch gern ironisch als Silberrücken bezeichnet. In der Regel haben sie ebenfalls ein reifes oder gesetztes Alter erreicht.

Und wie die aktuellen Ermittlungen gegen den verstorbenen ägyptisch-britischen Kaufhauskönig Al Fayed von Harrods gerade zeigen, neigen viele von ihnen wie die Gorillas zum vermeintlichen Paarungsprivileg mit den jüngeren Weibchen ihres Imperiums.

In der Politik bezeichnet man die Führung durch alte Männer als Gerontokratie, abgeleitet vom altgriechischen Wort „geron“ für einen alten Mann. Das hatte im antiken Griechenland bereits eine lange Tradition.

Neben der Volksversammlung „Apella“, in der nur Männer stimmberechtigt waren, hatte Sparta einen Ältestenrat als zentrales politisches Organ, die „Gerusia“. Ihre 28 Mitglieder mussten mindestens 60 Jahre alt sein und kriegserfahren. Mit den beiden Königen zusammen hatten sie die Gesetzesinitiative und konnten Beschlüsse der Volksversammlung annehmen oder ablehnen.

In Stammesgesellschaften wie den nordamerikanischen Indianern gab es ähnliche Formen von Ältestenräten, in einigen afrikanischen Staaten auf dem Lande bis heute. Der Ältestenrat des Deutschen Bundestages hat keine untere Altersgrenze, gewählt werden aber meistens langjährig erfahrene Abgeordnete.

Im Bundestag liegt das Durchschnittsalter bei 47 Jahren, im Europaparlament bei 50. Fast gleichauf liegt es in Großbritannien und Frankreich, in den USA dagegen deutlich höher, im Kongress bei 58 und im Senat bei 64.

Die immer noch Schlagzeilen produzierende Nancy Pelosi ist 84, drei Jahre älter als Präsident Joe Biden, der mit seinen tatterigen Auftritten das Vertrauen in die Geronten bedroht und in Kürze für seinen Nachfolger, den mit 78 kaum jüngeren Silberrücken Donald Trump, das Weiße Haus räumen wird.

Weibliche Silberrücken gibt es bei den Gorillas nicht, in der Politik aber schon. Unvergesslich bleibt Maggie Thatcher aus Großbritannien, und in Deutschland feilt gerade unsere Altkanzlerin Angela Merkel mit ihren Memoiren an einem Silberrücken-Denkmal.

Man muss ihr zugestehen, dass sie die eigene und weitgehend auch die anderen Parteien über 16 lange Kanzlerjahre dominiert hat. Dass sie mit Konkurrenten geradezu wie ein dominanter Silberrücken aus dem Urwald umgehen konnte, dürfte der aktuelle Kanzlerkandidat der Union nicht vergessen haben. Ihr Image wurde aber durch den Spitznamen „Mutti“ deutlich milder getönt. Wenn das ein Schachzug ihrer PR-Berater gewesen ist, darf man ihn als genial bezeichnen, deutlich besser als Helmut Kohls Birne.

Hierarchien und Gewalt

Ähnlich wie bei den Gorillas und vielen anderen Tierarten, die Männchen durch Größe, Kraft und Aggressivität dominieren, unterscheiden sich auch Männer und Frauen unter uns Menschen. Männer sind im Durchschnitt sieben Prozent größer und 15 Prozent schwerer als Frauen, bei Mord und Totschlag übertreffen sie Frauen sogar im Verhältnis 10 zu eins.

Deshalb sind Spielarten des Patriarchats der Primaten, unserer Vorfahren, auch in menschlichen Gemeinschaften weitverbreitet, einhergehend mit Dominanz und Unterordnung. In politischen, geschäftlichen und vielen anderen hierarchisch organisierten Konstellationen wird dem Chef, Vorgesetzten, Befehlshaber oder König respektvoll bis unterwürfig begegnet.

Wer einmal selbst einen Karrieresprung in solchen Systemen erlebt, hat eine Vorstellung davon, wie schnell Kollegen zu „Untergebenen“ werden und sich umgehend anpassen.

Patriarchat und Religion

In unserer Epoche wird das Patriarchat vielleicht stärker hinterfragt als jemals zuvor. Dabei geht es nicht nur um die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frauen, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, sondern generell um hierarchische Strukturen und Mechanismen. Besonders betroffen ist die katholische Kirche, deren patriarchalischer, hierarchischer und gerontokratischer Aufbau allzu offensichtlich ist.

Ihre Oberhäupter, die Päpste in Rom, seit Jahrhunderten alle in fortgeschrittenem Alter, gelten als Stellvertreter Gottes auf Erden. Die stark von der Kirche beeinflusste europäische Kunstgeschichte hat Gott immer intensiver als alten Mann mit langem weißgrauem Bart dargestellt, obwohl die biblische Tradition seine bildliche Darstellung untersagt hatte.

In der Geschichte bleibt der intensive politische Machtanspruch der Kirche mit dem Gang nach Canossa des deutschen Kaisers Heinrich IV. im Gedächtnis, in der italienischen Tradition noch drastischer als Demütigung Heinrichs, „l’humiliazione di Canossa“ bezeichnet.

Mit dem alten Mann als Gottesbild in der bildenden Kunst und im Volksglauben stellt sich die Frage nach dem patriarchalischen Gottesbegriff in der christlichen Theologie. Angebetet wird „ER“ als „Vater unser“, er hat seinen Sohn Jesus Christus als Mensch in die Welt geschickt, er kann zürnen und bestrafen wie ein strenger Vater, aber er sorgt auch für das Wohlergehen der Menschen und tröstet sie als „Kinder Gottes“ mit der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tode im Himmel.

Bis auf den Teufel, der ein gefallener Engel ist, und die wenigen männlichen Erzengel sind die Engel in der christlichen Bilderwelt überwiegend weiblich.

Der monotheistische Gott und genetische Entwicklungslinien

Der amerikanische Biologe und Psychologe Prof. David P. Barash hat die Frage gestellt, ob die drei monotheistischen Religionen den Gottesbegriff nicht auf die „alpha-male-silverback“-Formel verkürzt haben. Denn die altorientalische und die europäische Götterwelt der Antike hatten männliche und weibliche Götter mit den unterschiedlichsten Wirkungsbereichen, dabei auch verzweigte Familienstrukturen mit Töchtern und Söhnen und zahlreichen amourösen Affären.

Das frühe Judentum als Ursprung des abrahamitischen Monotheismus kannte neben Jahwe, dem Gott Israels, noch die syrisch-kanaanäische Göttin Aschera, die vom 8. bis 6. vorchristlichen Jahrhundert als Gefährtin Jahwes verehrt wurde. In der Bibel wird sie als Göttin mit ihrem eigenen Kult mehrfach erwähnt, allerdings von den Propheten zunehmend kritisch. Die Könige Israels, Ahab (9. Jahrhundert v. Chr.) und Manasse (7. Jahrhundert v. Chr.), errichteten noch Altäre für Aschera und wurden von den monotheistischen Propheten entsprechend kritisiert und mit Strafen Gottes bedroht.

Das biblische Bilderverbot, das eine Vermenschlichung Gottes verhindern sollte, wurde vom Christentum, das sich langsam gegen die spätantike polytheistische Götterwelt durchsetzte, immer mehr aufgeweicht. Gott wurde zum alten Mann und von den früheren weiblichen Gottheiten blieben nur eine Reihe von Heiligen und die Marienverehrung als Mutter Gottes.

Monotheismus und Gewalt

Den Bogen vom Silberrücken zu religiös motivierter Gewalt schlug 2015 der texanische Psychologieprofessor Hector A. Garcia mit dem Buch „Alpha God – The Psychology of Religious Violence and Oppression“.

Garcia ist ein Experte für die evolutionsbiologischen Wurzeln von Gewalt in Krieg, Politik und Religion sowie die psychologische Betreuung von traumatisierten Kriegsveteranen. Sein Alpha-Gott hat wie der dominante Gorilla neben den fürsorglichen Attributen, vorwiegend Furcht einflößende Aspekte für seine Gläubigen. Er fordert Verehrung und Gehorsam ausschließlich für sich selbst.

„Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“ lautet das erste der Zehn Gebote. Den Ungläubigen drohen Strafen bis zum physischen Untergang und ewige Verdammnis. Die Höllenstrafe, wenn auch mit Unterschieden, droht in allen drei monotheistischen Religionen und Gottesfurcht wurde von der jeweiligen Priesterschaft und der weltlichen Politik gern zur internen Disziplinierung genutzt.

Die externen Folgen des Missbrauchs von Religion waren allerdings weitaus tödlicher. Die zwangsweise Missionierung als Teil des europäischen Kolonialismus und die Konfessionskriege liegen weit zurück, aber die einseitige Interpretation des Koran im Jihadismus und seine Bekämpfung fordern weiterhin zahllose Todesopfer.

All diese Gewaltorgien dürften weitgehend auf das Konto unserer Primatengene zurückgehen. Obwohl sich die evolutionären Entwicklungslinien bereits vor 10 Millionen Jahren getrennt haben, stimmen unsere Gene noch zu 98,5 Prozent mit denen der Gorillas überein.

Das relativiert wenigstens beim Thema Gewalt den Bezug zu einem Furcht einflößenden Alpha-Gott. Schwer widerlegbar bleiben dagegen die beschriebenen Ableitungen zur Gerontokratie und gesellschaftlichen Hierarchisierung in den drei monotheistischen Weltreligionen.

Die gegenwärtige politische Ausbreitung autoritärer Regime zuungunsten der Demokratien hat wenig mit Religion zu tun, aber umso mehr mit hierarchischen Strukturen und erfahrenen Anführern in meist fortgeschrittenem Alter.