Von der Leyen: "Russland muss zahlen"
Ukraine-Krieg: EU-Kommissionspräsidentin fordert ein Sondertribunal für russische Kriegsverbrechen und will eingefrorenes russisches Vermögen für Ukraine verwenden.
In scharfen Worten verurteilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Invasion habe zu "Tod, Zerstörung und unsagbarem Leid geführt", Russland müsse nun "für seine schrecklichen Verbrechen zahlen, auch für sein Verbrechen der Aggression gegen einen souveränen Staat", heißt es gleich zu Beginn ihrer Erklärung zur Rechenschaftspflicht Russlands und zur Verwendung eingefrorener russischer Vermögenswerte.
Der Titel kündigt bereits an, dass es um mehr als eine verbale Verurteilung geht. Von der Leyen will, dass Taten folgen: Russland müsse zahlen. Vor einem internationalen Gericht, einem Sondergericht, das erst noch geschaffen werden soll, und Russland müsse für die Kriegsschäden in der Ukraine aufkommen – mit Geld, das über Sanktionen eingefroren wurde.
Russland müsse für seine Verbrechen zahlen, daher schlage die EU "neben der weiteren Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofs" die Einrichtung eines Fachgerichts vor. Dieses soll von den Vereinten Nationen unterstützt werden. Die Aufgabe bestünde laut von der Leyen darin, das "russische Verbrechen der Aggression untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen".
Die EU-Kommission sei bereit, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, um eine "möglichst breite internationale Unterstützung für dieses Fachgericht" zu erhalten.
Laut New York Times machte sich der ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gestern Abend für den Vorschlag stark, ein internationales Sondertribunal einzurichten. "Am selben Tag, an dem die Justizminister der G7 einen Vorschlag zur Einrichtung eines Kriegsverbrechertribunals in Berlin erörterten und die First Lady der Ukraine den britischen Gesetzgebern den Fall vortrug."
Die internationale Unterstützung wird also schon auf den Weg gebracht, wie weit sie trägt, ob bis zur Einrichtung eines solchen Fachgerichts, ist allerdings noch nicht abzusehen, da es, wie immer, wenn auch die UN im Spiel ist, es um eine größere Staatengemeinschaft geht, als um Nato-Staaten, die EU und befreundete Länder.
Eine wichtige Rolle bei dem aktuell erstarkenden Ruf nach einer Verurteilung russischer Kriegsverbrechen werden die russischen Luftangriffe auf ukrainische Versorgungseinrichtungen spielen, weil sie auf Kosten der Zivilbevölkerung gehen und zu Beginn des Winters besonders bitter sind. Möglich auch, dass man mit der Androhung eines internationalen Strafgerichts Russland militärisch zu mehr Zurückhaltung bringen will?
"Sie müssen der Ukraine Schadensersatz leisten"
Längere Zeit hielt man die Pläne, das über Sanktionsverfügungen eingefrorene russische Staatsvermögen, das in europäischen Banken eingelagert ist, wie auch das beschlagtnahmte Vermögen von russischen Superreichen, zum Wiederaufbau der Ukraine heranzuziehen, für ein bloße Drohung.
Mit solchen Spekulationen räumt die EU-Kommissionspräsidentin jetzt auf. Russland müsse auch für die von ihm verursachte Zerstörung finanziell aufkommen, erklärt von der Leyen. Die EU habe die Mittel, um "Russland und seine Oligarchen" für den Schaden der Ukraine, geschätzte 600 Milliarden Euro, aufkommen zu lassen. Sie "müssen der Ukraine dafür Schadensersatz leisten und die Kosten für den Wiederaufbau des Landes tragen".
Wir haben die Reserven der russischen Zentralbank in Höhe von 300 Milliarden Euro blockiert und das Geld russischer Oligarchen in Höhe von 19 Milliarden Euro eingefroren. Kurzfristig könnten wir gemeinsam mit unseren Partnern eine Struktur schaffen, um diese Mittel zu verwalten und zu investieren. Dann würden wir die Erlöse für die Ukraine verwenden. Und sobald die Sanktionen aufgehoben sind, sollten diese Mittel verwendet werden, damit Russland den Schaden, der der Ukraine entstanden ist, vollständig ersetzt.
Ursula von der Leyen
Hier ist von einer "Struktur" die Rede, um die Mittel zu "verwalten" und zu "investieren". In einem Satz am Ende der Erklärung ist es ein "internationales Abkommen", das ermöglichen soll, was von der Leyen im obigen Zitat ankündigt.
Beides, "Struktur" wie "Abkommen", ist ziemlich vage für einen solch großen Wurf. Das Verfügen über fremdes Staatsvermögen nach eigenen Einschätzungen dürfte juristisch Anspruchsvolles an Begründungen abverlangen, gerade angesichts dessen, wie wichtig Eigentumsfragen in der westlichen Staaten- und Wertegemeinschaft bewertet werden.
Und gewiss nicht nur da, wie schon an der Diskussion über die Sanktionen deutlich wurde:
Das Einfrieren russischer Forderungen und der Ausschluss russischer Banken von Swift, dem in Belgien ansässigen Dienstleister zur Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungen, treffen vor allem den Westen selbst. Erschüttert wird das Vertrauen nichtwestlicher Länder auf die Verlässlichkeit grenzüberschreitender Transaktionen.
Heribert Dieter, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)
Wie wird die Internationale Gemeinschaft aussehen, die ein Verfahren unterstützt, das, wie von der EU-Kommisionspräsidentin vorgeschlagen, die Macht von US- und EU-Sanktionen noch einmal erheblich vergrößert?