Vorbild Australien: Mindestalter für Social Media zum Wohle der Kinder

Handys mit TikTok, Instagram und X beeinflussen Kindergehirn

Australien könnte weltweit Vorreiter werden: Geplant ist ein Mindestalter für Soziale Medien zum Schutz der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.

Die Generation Z zeigt deutliche Anzeichen einer gravierend sich verschlechternden psychischen Gesundheit. Auf der Liste der Gründe findet sich neben den Konsequenzen der Corona-Maßnahmen besonders das Smartphone.

Generation Angst

Der US-amerikanische Sozialpsychologe Jonathan Haidt, der schon mit "The Righteous Mind" und "The Coddling of the American Mind" zwei wegweisende Bücher über aktuelle gesellschaftliche Phänomene geschrieben hat (Polarisierung der Gesellschaft und die Folgen von Cancel Culture auf die Universitäten) hat in jüngster Vergangenheit vielleicht das grundlegende Buch zu den Auswirkungen der sozialen Medien auf Kinder und Jugendliche verfasst.

"Generation Angst" präsentiert im ersten Kapitel zahlreiche Belege für die verheerenden Auswirkungen sozialer Medien auf Kinder und Jugendliche. Auf der Website zum Buch findet sich die Übersicht der grundlegenden Studien, die ständig aktualisiert wird.

Haidt präsentiert dramatische Ergebnisse für die USA (im Vergleich zum Jahr 2010):

  • Schwere Depressionen nehmen bei Teenagern um 145 Prozent zu.
  • Angststörungen bei Studierenden nehmen um 134 Prozent zu.
  • Notaufnahme wegen Selbstverletzungen nehmen bei Mädchen um 188 Prozent zu (bei Jungen um 48 Prozent)
  • Suizidraten nehmen bei Mädchen um 167 Prozent, bei Jungen um 91 Prozent zu.

Die erste Generation der US-Amerikaner, die mit dem Smartphones (und dem gesamten Internet) in die Hand durch die Pubertät ging, wurde ängstlicher, depressiver, selbstverletzender und suizidaler. (…) Die Flutwelle von Angststörungen, Depressionen und Selbstverletzungen traf Mädchen schlimmer als Jungen, und am schlimmsten traf sie Mädchen unter dreizehn Jahren.

Jonathan Haidt

Die massiv negativen Auswirkungen finden sich auch in anderen Industrieländern. Dabei können zahlreiche Studien eine Zusammenhang zwischen Smartphonenutzung und psychischen Erkrankungen nachweisen.

Digitales Detox

Ein anderer Ansatz, um die Gefahren sozialer Medien für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu beweisen, sind Studien, die den positiven Effekt starker Reduzierung täglicher Nutzung sozialer Medien untersuchen.

Beispielsweise musste eine Probandengruppe einen Monat auf soziale Medien verzichten. Sie trafen sich daraufhin häufiger mit Freunden und Bekannten in der realen Welt, fühlten sich glücklicher und langweilten sich weniger. Nach dem Ende des Experiments kehrten diejenigen, die einen Monat abstinent gelebt hatten, nur langsam zu ihrer Gewohnheit zurück und verbrachten auch dann noch deutlich weniger Zeit in den sozialen Medien.

Die radikale Kritik an die Adresse von Big Tech, die ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht gerecht werden, blieb nicht ohne Antwort. Auf seinem Substack-Kanal nimmt Jonathan Haidt hierzu regelmäßig Stellung und veröffentlicht neue Analysen.

Erste Schritte

Das letzte Kapitel von "Generation Angst" gibt eine ganze Reihe von konstruktiven Vorschlägen, wie der Umgang mit dem Smartphone und sozialen Medien so geregelt werden kann, dass Gesundheit und Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen oberstes Ziel sind. Seine Anregungen treffen auf einen fruchtbaren Boden.

In Großbritannien zeigen sich nun die ersten Reaktionen auf Haidts Buch.

Im Februar dieses Jahres gründeten Clare Fernyhough und Daisy Greenwell eine WhatsApp-Gruppe, um über ihre Angst der Folgen sozialer Medien auf ihre Kinder zu diskutieren und Lösungen zu finden. Innerhalb von 24 Stunden war die Gruppe bereits auf 1.000 Personen angewachsen und WhatsApp-Gruppen gründeten sich in 60 Orten des Landes.

Am Ende der ersten Woche waren es 10.000 Menschen und Gruppen in 75 Orten. Nach zwei Monaten waren es sogar 75.000 Menschen. Ihr gemeinsames Ziel: Jugendliche sollen erst mit 14 Jahren ein Smartphone erhalten und erst zwei Jahre später Zugang zu Sozialen Medien.

In diesem Zusammenhang sollte man auch ein anderes bemerkenswertes Phänomen erwähnen: Wie Thea Petrik auf Telepolis schreibt, hat ein Smartphone-Verbot in der Schule "messbare positive Effekte – vorwiegend auf das soziale Wohlbefinden, in geringerem Maß aber auch auf die Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler."

Juristische Schritte

Seit Kurzem werden auch rechtliche Schritte eingeleitet, um Kinder und Jugendliche besser vor sozialen Medien zu schützen. Mitte Mai berichtete Die Tagesschau:

Die Europäische Kommission eröffnet wegen des Verdachts auf Verstöße gegen den Jugendschutz ein Verfahren gegen den Facebook- und Instagram-Mutterkonzern Meta. Es gebe die Befürchtung, dass die Social-Media-Dienste so konzipiert seien, dass sie bei Kindern ein Suchtverhalten auslösen könnten.

Auch in Kalifornien ist die Justiz tätig. Heise online berichtet:

Ein kalifornischer Bundesrichter wies am Montag das Argument von Meta zurück, Abschnitt 230 des Communications Decency Act schütze das Unternehmen vor einer Haftung. In einer Klage gegen Meta Platforms Inc. wird dem Unternehmen vorgeworfen, durch die Gestaltung und bestimmte Funktionsweisen seiner Plattformen Instagram und Facebook die psychische und physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu schädigen.

Australien als möglicher Vorreiter

Jonathan Haidt gibt zu bedenken:

Es dauert lange, sich an neue Dinge anzupassen. Es brauchte Zeit, sich an Junk-Food, Zigaretten, Heroin, Morphin und alle möglichen anderen Drogen zu gewöhnen, und eines der Hauptmerkmale dieser Anpassung ist, dass wir nicht zulassen, dass Kinder es tun.

Es gibt Gründe, warum wir dazu neigen, den Zugang zu Sex, Gewalt und Sucht bei Kindern einzuschränken. Deshalb lassen wir Kinder nicht um Geld spielen, in Stripclubs oder Bordelle gehen. Man muss ein bestimmtes Alter haben, um die legalen Bordelle in Deutschland zu betreten, aber ein neunjähriges Kind kann einfach so auf Pornhub gehen.

Wenn Sie fragen, ob wir uns nur noch nicht an das Internet angepasst haben, dann antworte ich, dass die Art, wie wir uns anpassen, ist, dass wir sagen: keine Smartphones vor dem Alter von 14 Jahren, keine sozialen Medien vor 16, handyfreie Schulen und mehr freies Spiel. Wenn wir diese Dinge beachten, dann denke ich, dass wir mit Smartphones leben könnten.

Australien könnte das erste Land der Welt sein, das sozialen Medien gesetzliche Schranken auferlegt. Die australische Regierung plant die Einführung eines Mindestalters für die Nutzung Sozialer Medien. Dies soll zwischen 13 und 16 Jahren liegen (Die Liberale Partei, die sich in der Opposition befindet, erklärte, dass sie innerhalb von 100 Tagen nach ihrer Wahl ein Verbot der Nutzung sozialer Medien durch Jugendliche unter 16 Jahren einführen würde).

Zudem kündigte die Regierung einen 3,8 Millionen Euro teuren Test an, der ein System zur Verhinderung des Zugangs zu pornografischen Websites und zur Beschränkung der Nutzung sozialer Medien durch jüngere Nutzer testen soll. Dieser soll noch diese Woche beginnen. Es bewegt sich etwas im Widerstand gegen die Macht sozialer Medien und für den Schutz der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.


Cover "Hilfe, ich bin ein Mensch!"

Von Andreas und Georg von Westphalen ist im Westend Verlag die Graphic Novel "Hilfe, ich bin ein Mensch!" neu erschienen.

248 Seiten
ISBN 978-3864893759
24,00 €