Wagenknecht-Partei: Jetzt kann ihr nur noch Claus Weselsky gefährlich werden

Harald Neuber

Wagenknecht, hier noch als Linke, 2021. Bild: Die Linke, CC BY 2.0

450 Delegierte wollen nach Berlin, aber der Bahnstreik behindert sie. Gründungsparteitag mit großen Plänen. Was das BSW vorhat und wer dabei ist.

Sahra Wagenknecht hat lange gezögert, heute aber ist es soweit: Nach der eher formellen Gründung am 8. Januar findet in Berlin die öffentliche Konstituierung der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) statt. Mindestens neun Stunden soll das Treffen der 450 Delegierten im ehemaligen DDR-Kino Kosmos in Berlin-Friedrichshain laut Programm dauern, wahrscheinlich länger.

BSW-Parteitag: Am historischen Tag soll alles glattgehen

Wagenknecht und ihren Mitstreitern ist ein Coup gelungen, das zeigen die Umfragewerte. Das Gründungsevent ist den Umständen entsprechend gut vorbereitet. Dafür hat eine Art digitaler Vorparteitag am vergangenen Wochenende gesorgt. Bei dem Online-Treffen waren bereits viele Details abgestimmt worden. Heute soll alles glattgehen.

Sorgen dürften der Namensgeberin des BSW und den Organisatoren nur eine Sache bereiten: Der Streik der Eisenbahnergewerkschaft GDL mit ihrem Chef Claus Weselsky. "Bitte kümmert euch um eine alternative Reisemöglichkeit", appellierten der BSW-Generalsekretär Christian Leye und die Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali Anfang der Woche an die Delegierten. Viele von ihnen reisen aus entlegenen Teilen der Republik an.

Reiseplanung im Fokus: BSW-Delegierte und Fernverkehr

Sie sollten, so hieß es in einer Rundmail, Mitfahrgelegenheiten organisieren oder auf Fernbusse zurückzugreifen. So beginnt der Start in der neuen Partei für viele Landesbeauftragte mit der Koordination von Reisegruppen.

Wer es nach Berlin schafft, wird wohl viel Zuversicht erleben. Bereits Ende der zweiten Januarwoche hatte das ZDF-Politbarometer vermeldet, rund 20 Prozent der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger können sich vorstellen, für das BSW zu stimmen.

Das Ergebnis deute darauf hin, dass das Wagenknecht-Bündnis bei den anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg einen deutlichen Einfluss haben könnte, meinte der Sender.

Vergangene Woche dann fragte das Meinungsforschungsinstitut Insa im Auftrag der Bild am Sonntag den bundesweiten Zuspruch für das BSW erstmals regulär neben anderen Parteien ab – und kam auf stattliche sieben Prozent. In Brandenburg kommt die neue Wagenknecht-Partei in Umfragen derzeit aus dem Stand auf 13 Prozent, in Thüringen auf bis zu 17 Prozent.

Erste Herausforderung: BSW und die Europa-Wahl

Viele Beobachter warten daher mit Spannung auf die Europa-Wahl. Sie wird der erste Test für das Wagenknecht-Bündnis. Der Entwurf für das Europawahlprogramm umfasst 26 Seiten. Das Dokument soll heute in Berlin diskutiert werden. Eine Reihe von Kernforderungen zielen auf eine tiefgreifende Neuausrichtung der EU-Politik ab.

Wagenknechts Vision: Neuausrichtung der EU-Politik

Besonders hervorgehoben wird die Kritik an der aktuellen EU-Struktur, die laut BSW der europäischen Idee schadet. Das Programm fordert eine stärkere Entscheidungsgewalt für EU-Mitgliedsstaaten und kritisiert die "abgehobene Politik" der EU-Technokraten sowie deren "ausufernde Regelungswut".

Ein zentrales Motto des Wahlprogramms, "Weniger ist mehr", bezieht sich auch auf die Anzahl der EU-Mitgliedsländer. Das BSW spricht sich gegen eine Erweiterung der EU aus, insbesondere gegen die Aufnahme der Ukraine, Moldaus und Georgiens.

BSW-Standpunkt: Konflikt Ukraine und EU-Erweiterung

In Bezug auf den Konflikt in der Ukraine fordert das BSW den Stopp aller Rüstungsexporte in das Land, um Russland zu Verhandlungen zu motivieren. Eine neue europäische Friedensordnung solle langfristig auch Russland einschließen.

Weitere Themen des Programms sind die Reform der EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik, eine kritische Auseinandersetzung mit der "Cancel Culture" in der EU und die Forderung nach einer unabhängigen digitalen Infrastruktur in Europa.

Fabio De Masi: Neuer Kurs durch BSW im Europawahlkampf

"Ich erhoffe mir ein Signal des Aufbruchs gegen die fatale Politik der Ampel", sagte Fabio De Masi am Freitag auf Telepolis-Anfrage. Der 43-jährige Finanzexperte soll das BSW im Europawahlkampf mit anführen. Seine neue Partei stehe "für einen investierenden Staat, der die wahren Leistungsträger nicht im Stich lässt", sagt er, und:

Wir sind eine Alternative zur Ampel, die das Land vor die Wand kürzt und einer außen- und energiepolitischen Schocktherapie unterzieht und die Unterstützung für den ökologischen Umbau der Wirtschaft entzieht.

Wir sind aber auch eine Alternative zur Linken, die sich mit ihrem Fokus auf urbane Milieus und Lifestyle Themen überflüssig gemacht hat, ebenso wie zur AfD, die außer Ressentiments keine Lösungen für die Probleme in Deutschland anzubieten hat.

Fabio De Masi, BSW

Wagenknecht und Ex-Linke: Neuanfang mit BSW

De Masi, Wagenknecht, Mohamed Ali – sie und andere versuchen heute einen Neuanfang, sie alle haben die Linkspartei hinter sich gelassen. Zurück bleiben konfliktreiche Jahre in der "Linken", die auch nach der Trennung mit Wagenknecht hadert.

Sie "sondert sich aus und versucht, Leute mitzunehmen, was ich moralisch und politisch falsch finde", sagte der ehemalige Partei- und Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi, als sich die Trennung Ende vergangenen Jahres abzeichnete. Andere Linke äußerten sich krasser.

Linke in der Krise: Spaltung durch BSW

Tatsächlich ist die "Linke" das eigentliche Opfer der Spaltung. In den Umfragen liegt sie bundesweit meist bei drei bis vier Prozent. Das ist deutlich weniger, als das BSW erwarten kann. Das Ruder herumzureißen, wird für die Linkspartei schwierig.

Wagenknecht rangiert in einer Umfrage zu den "wichtigsten Politikern in Deutschland nach Sympathie und Leistung im Januar 2024" im Mittelfeld der Top Ten. Von den Linken taucht dort niemand auf.

Wahlkampfstrategien: Linke und BSW im Duell

Ob die Menschenrechtsaktivistin Carola Rackete die Linken bei der Europa-Wahl zum Erfolg führen kann, scheint mehr als fraglich. Die 36-jährige Aktivistin führt die Kandidatenliste der Neosozialisten als Parteilose an, ist aber selbst in der Linken umstritten, vor allem im Osten der Republik.

All das bedeutet auch: Verliert die Linke weiter Wahlen, wird eine Wechselbewegung zum BSW einsetzen. Bisher hat sich dazu nur der harte Kern um Wagenknecht entschieden. All diejenigen, deren Jobs vom Wahlerfolg der Partei abhängen oder die schlichtweg etwas politisch erreichen wollen, könnten das BSW als Alternative sehen. Die Opportunisten und Pragmatiker, könnte man sagen.

Zukunft des BSW: Kandidaten und Wahlkampfstrategien

In den vergangenen Wochen war in Medienberichten spekuliert worden, ob auch der Ex-Linke und Wirtschaftspolitiker Klaus Ernst von Berlin nach Brüssel wechseln will. Einige andere Namen sind schon bekannt. So will neben De Masi auch der einstige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Andreas Geisel als Spitzenkandidaten des BSW in den Wahlkampf ziehen.

Um Platz drei bewirbt sich der Ex-Diplomat Michael von der Schulenburg. Unter den Mitgliedern aus der Hauptstadt will die frühere Berliner Linke-Abgeordnete Jutta Matuschek antreten.

Grundsätzlich ist das BSW sehr verschwiegen, es gibt eine Abmachung für die Kandidatenliste: Jeder entscheidet selbst, ob sein Name im Voraus bekannt wird. Bislang hält man sich fast ausnahmslos daran, die Euphorie des Neuanfangs schweißt zusammen.

"Ich kandidiere ganz sicher nicht fürs Europaparlament", sagt Klaus Ernst unserer Partnerredaktion der Berliner Zeitung. "Aber ich freue mich, dass wir mit Friedrich Pürner und Patrick Rostek zwei Mitglieder aus Bayern haben, die sich um einen Listenplatz bewerben."

Pürner war einst Gesundheitsamtsleiter von Aichach, er machte sich als Kritiker der bayrischen Corona-Politik einen Namen. Rostek ist Sekretär der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Niederbayern.

BSW-Parteitag: Diese Politiker werden reden

Der öffentliche Personenverkehr wird den Gründungsparteitag auch abseits des GDL-Streiks beschäftigen. "Wir fordern einen Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und die Förderung emissionsarmer Produktionsketten", heißt es im Entwurf für das Europawahlprogramm.

Unter den Rednern im DDR-Kino Kosmos sind neben Wagenknecht und Mohamed Ali unter anderem die EU-Spitzenkandidaten De Masi und Geisel. Die Publizistin Daniela Dahn, die bereits Wagenknechts Sammlungsbewegung Aufstehen unterstützte, wird ebenfalls sprechen.

Das Schlusswort kommt von Wagenknechts Ehemann, dem früheren SPD- und Linke-Chef Oskar Lafontaine. Zu Mittag gibt es laut Tagungsunterlagen "Pasta mit Bolognese" und "Pasta mit Grillgemüse in einer fruchtigen Tomatensoße (vegan)".