Wahlkampf gefährdet Unterstützung der Ukraine
Ukraine-Krieg: Joe Biden muss Rücksichten auf die Republikaner nehmen. Mateusz Morawiecki stellt Stopp von Waffenlieferungen in Aussicht. Selenskyj bekommt keine ATAMCS-Raketen. Update.
Wolodymyr Selenskyj besuchte gestern das Weiße Haus und Gastgeber Joe Biden hatte ein Paket für ihn vorbereitet: Waffen und Munition im Wert von 325 Millionen US-Dollar, wie Reuters vorab berichtete.
Streumunition für Haubitzen stünden auf der Liste, verriet der Nachrichtenagentur eine (!) anonyme Quelle aus Regierungskreisen, aber keine ATACMS.
Man gehe zwar davon aus, dass die Lieferung von neue Waffen angekündigt werde, aber die Lieferung der ATACMS-Raketen mit einer Reichweite von etwa 300 Kilometern sei noch in der Diskussion. Das Paket werde noch bearbeitet und könne sich noch ändern, wird der Beamte von Reuters zitiert.
Rätselraten beendet. Update.
Ob Biden sich trotz seiner Bedenken dazu entschließt, den Wunsch der Ukraine zu erfüllen, war gestern das große Rätselraten - bis der Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, schließlich gegenüber Reportern erklärte, dass Biden das "ATACMS jetzt nicht zur Verfügung stellen würde" (New York Times) . Mit dem Trost: Das Thema sei aber nicht vom Tisch.
Vor gut einer Woche hatte ein Bericht von ABC-News für großes Aufsehen gesorgt, der US-Regierungsvertreter damit zitierte, dass die Raketen kommen werden. Doch lautete da schon die offizielle Erklärung vom Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, dass es "gegenwärtig keine Entscheidung über ATACMS" gebe.
Daran hatte sich in die Nacht auf Donnerstag, den 21. September, nichts geändert: Man sei noch immer in Gesprächen über das ATACMS", bekräftigte Kirby. Mit dem Zusatz: "Sie sind also nicht vom Tisch.". Der Zusatz war offenbar nötig, da Fox News wissen wollte, warum die Regierung der Ukraine nicht mehr helfen wollte.
Ein Fox News-Journalist verbreitete am Mittwoch eine Insider-Info auf X-Twitter, wonach ihm Quellen aus Regierungskreisen gesteckt hätten, dass es so bald keine ATACMS für die Ukraine geben werde. Bestätigt wurde das aber nicht.
Bis dann gestern am Spätnachmittag MEZ der Zusatz "Sie sind nicht vom Tisch" von Sullivan ganz offizell für einen weiteren Aufschub verwendet wurde. Bis auf Weiteres werden keine ATACMS-Raketen in die Ukraine geliefert.
Milliarden-Hilfspaket von Republikanern abhängig
Die Unterstützung der Ukraine ist ein Wahlkampfthema in den USA. Biden plant ein sehr viel größeres Hilfspaket für die Ukraine, in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar.
Das müsste aber anders als das 325 Millionen-Paket durch den Kongress und dazu braucht er die Unterstützung der Republikaner. Die gibt es nicht für eine Sache, die keinen Erfolg verspricht.
So hängt einiges auch von der Debatte ab, wie die Offensive der Ukraine verläuft und welches Risiko die USA mit der Lieferung teurer Waffensystem eingehen soll. Die Bevölkerung reagiert darauf und in Zeiten wirtschaftlicher Probleme besonders.
Das Hilfspaket mit den großen Ausgaben kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Umfragen eine wachsende Kriegsmüdigkeit in der US-amerikanischen Öffentlichkeit feststellen, die sich auf die Probleme im eigenen Land konzentriert.
New York Times
Nervöse Unterstützer
Von der US-Entscheidung hängt auch Unterstützung verbündeter Länder, vorneweg Deutschland, de facto ab. Auch wenn von der deutschen Regierung beteuert wird, dass die Diskussion darüber, ob Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine geliefert werden, unabhängig getroffen würde, wird das nicht die ganze politische Wahrheit sein.
Die Staats- und Regierungschefs der Alliierten in Europa und anderswo beobachten nervös, ob sich die Vereinigten Staaten von ihrer Führungsrolle in der internationalen Koalition zur Unterstützung der Ukraine zurückziehen werden, während Analysten sagen, dass der russische Präsident Wladimir W. Putin darauf setzt, dass er den Westen aussitzen kann.
New York Times
Wie nervös die Lage unter den Unterstützern der Ukraine ist, machte ausgerechnet Polen deutlich: Ministerpräsident Mateusz Morawiecki antwortete aktuell zur Unterstützung der Ukraine angesichts des Getreidestreits: "Wir liefern schon keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine, sondern rüsten uns selbst mit den modernsten Waffen aus." (Tagesschau)
Das sei allerdings nicht so eindeutig, wie es aussieht, meinen Beobachter, wie die Tagesschau ergänzt. Es bleibt bei alledem ein Signal, das manche als "populistisch" einordnen: Dass die Unterstützung der Ukraine nicht mehr so unverbrüchlich garantiert ist, wenn es im eigenen Land eng wird und Wahlkampf ist.
Ein für die Ukraine unangenehmes Signal kam auch vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda, der die Ukraine mit einer Person am Ertrinken verglich, deren Rettung auch für den Retter gefährlich sei.
Nachtrag: Heute präzisierte der polnische Regierungssprecher Piotr Müller: "Im Zusammenhang mit Fragen zu Waffenlieferungen möchte ich Ihnen mitteilen, dass Polen nur zuvor vereinbarte Lieferungen von Munition und Rüstungsgütern ausführt. Einschließlich derjenigen, die sich aus unterzeichneten Verträgen mit der Ukraine ergeben.”