Wann beenden wir endlich die Party der Rüstungskonzerne?
Aktienkurse der Waffenhersteller explodieren. Kriege treiben das Rüstungsrad an. Über den fatalen, steuerfinanzierten Geldsegen – und Feigheit. Einordnung.
Umfragen zeigen uns, dass viele Menschen in Europa und Amerika zunehmend besorgt sind über Kriege und militärische Eskalationen. Nach einer Erhebung in den USA haben zum Beispiel 84 Prozent der Befragten Angst davor, dass das eigene Land in den Nahost-Konflikt hineingezogen werden könnte.
Und diese Studie wurde im November letzten Jahres veröffentlicht, also vor der jüngsten Verschärfung im Zuge der militärischen Schläge von Israel und dem Iran.
Kauft Aktien von Lockheed-Martin!
Nachdem am Wochenende 300 Raketen und Drohnen vom Iran als Vergeltung auf den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Syrien Richtung Israel gestartet worden waren (wobei fast alle abgefangen wurden und sie kaum Schaden anrichteten), läuteten überall in westlichen Staaten die Alarmglocken.
Doch nicht jeder hat Angst, Sorgen und will Zurückhaltung, wenn es um Krieg geht.
Am Montagmorgen stufte der JP-Morgan-Analyst Seth Seifman, so Nick Gleveland-Stout auf Responsible Statecraft, die Einschätzung der US-Bank für Lockheed Martin, den Hersteller der israelischen F-35-Kampfjets, von "Halten" auf "Kaufen" hinauf und setzte ein höheres Kursziel für die Aktie fest. Er sagt, dass die Entwicklung gut für das Geschäft sei:
Was wir sagen können, ist, dass die Welt gefährlich ist, und obwohl das keine hinreichende Bedingung für eine "Outperformance" von Rüstungsaktien ist, stellt es eine potenzielle Quelle der Steigerung dar, insbesondere wenn die Aktien unterbewertet sind.
"Wo Krieg ist, kann man Geld verdienen"
Die britische Investmentbank Liberum Capital glaubt daran, dass ein begrenzter Militärschlag Israels den Aktienmarkt um fünf bis zehn Prozent "korrigieren" würde, während es den Dollar stärkt. Die kurzfristigen Gewinner wären Öl- und Gas-Aktien sowie die der Rüstungsunternehmen.
Der Finanzjournalist Jacob Wolisnky bringt den Sachverhalt in einem Artikel über Aktiengeschäfte im Verteidigungsbereich derart auf den Punkt: "Wo Krieg ist, kann man Geld verdienen".
Die zunehmenden geopolitischen Spannungen im Nahen Osten und der seit zwei Jahren andauernde Krieg in der Ukraine bringen Anleger dazu, ihre Portfolios mit Aktien aus dem Verteidigungsbereich abzuschirmen, während Regierungen ihre Verteidigungshaushalte mit Plänen stützen, die die militärischen Lagervorräte aufstocken sollen und die Fahrzeug- und Flugzeug-Flotten für lange Strecken modernisieren. Es gibt vielleicht keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, im Rüstungsgeschäft tätig zu sein.
Das gilt auch für Deutschland – der zweitgrößte Waffenexporteur Israels und der Ukraine hinter den USA –, wo die Ausgaben des Staats für das Militär signifikant angestiegen sind.
Deutsches Militärbudget: Steigerung um 90 Prozent
Der deutsche Verteidigungshaushalt wurde im Vergleich zu den Budgets der anderen Ministerien in den letzten Jahren am stärksten aufgestockt, von 38,5 auf jetzt 51,95 Milliarden Euro. Dazu kommen noch 20 Milliarden aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr für 2024. Also insgesamt werden für Verteidigung 72 Milliarden ausgegeben.
Das ist eine Steigerung von fast 90 Prozent in nur fünf Jahren.
In den USA ist man beim Pentagon- und Sicherheitsbudget längst in der Stratosphäre, die kein Maß, keine Grenzen kennt. 1,4 Billionen Dollar der Steuerzahler-Gelder, Tendenz steigend, werden pro Jahr für Militär- und Sicherheitsausgaben bereitgestellt (davon 900 Milliarden für das Verteidigungsministerium). 62 Cents von jedem gezahlten Steuer-Dollar, der frei verfügbar vom US-Kongress ausgegeben wird, endet bei Streitkräften, Militärbasen, Waffenproduzenten und Sicherheitsfirmen.
Die Empfänger von dem Geldsegen sind insbesondere die Hersteller von Waffen und Munition (in den USA geht die Hälfte direkt an sie). In Deutschland ist das vor allem der hierzulande größte Rüstungskonzern Rheinmetall mit Sitz in Düsseldorf. Er stellt die ganze Palette bereit: Panzer, Artillerie oder großkalibrige Munition.
Die goldene Verzehnfachung dank Kriegen
Vor dem Ukraine-Krieg verkaufte das Unternehmen etwa 70.000 Geschosse pro Jahr. Heute sind es laut Unternehmensangaben rund 700.000. Ein Verzehnfachung der Artilleriemunition-Produktion in zwei Jahren.
Die Aktie ging im Zuge der Kriege und der daraufhin einsetzenden Aufrüstung und Militarisierung durch die Decke. Vor dem 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine überfiel, lag ihr Wert bei unter 100 Euro. Sie stieg dann bis zum Sommer 2023 auf rund 250 Euro.
Mit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem seitdem ablaufenden Gaza-Krieg schaltete die Aktie dann förmlich den Turbo ein. Das Papier erreichte zuletzt neue Höchststände bei rund 570 Euro.
Wer vor zehn Jahren 100.000 Euro in Rheinmetall-Aktien anlegte, hat diesen Wert heute verzehnfacht. Diejenigen, die über genügend "Spiel-Geld" verfügen, um an der Börse zu spekulieren, können also enorme Profite mit dem Waffen-Geschäft machen, während die normalen Bürger mit ihren Steuern das Rüstungsrad drehen, das die großen Aktionäre und Konzernlenker privat abschöpfen.
Kriegsindustrie als eigener mächtiger Staat
Und dieses Rad wird national und global immer größer, dank der geschürten Konflikte, militärischen Auseinandersetzungen und Kriege.
Nicht nur Deutschland (siehe das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen) und die USA steigerten die Verteidigungsausgaben stark. Im Jahr 2022 stiegen die weltweiten Militärausgaben auf den Rekordwert von 2,24 Billionen Dollar, wie das Friedensforschungsinstitut Sipri berichtet.
Das ist eine Summe, die auf dem Weg ist, fast das Bruttoinlandsprodukt von Frankreich zu umfassen. Die Militär- und Kriegsindustrie ist längst zu einem eigenständigen mächtigen Staat auf diesem Planeten mutiert.
Europa lag mit einem Plus von 13 Prozent an der globalen Spitze. Allein die EU-Mitgliedsstaaten gaben 270 Milliarden Euro aus, so viel wie seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr, während die EU viele Milliarden an Militärhilfe an die Ukraine bereitstellte.
Der militärisch-industrielle Komplex wuchert
Russland steigerte die Rüstungsgelder um rund neun Prozent auf 86,7 Milliarden Dollar. China erhöhte sein Budget um gut vier Prozent auf 292 Milliarden Dollar, ein Drittel von dem, was die USA ausgeben.
Aber nicht nur Kriege sind gut fürs Geschäft. Auch an der militarisierten Grenzschutz verdienen Militär- und Sicherheitsunternehmen, während es ihre Waffen und Munition sind, die die Flüchtlings- und Migrationskrisen erzeugen, gegen die man sich in den reichen Ländern dann mithilfe der gleichen Unternehmen schützt, alles zulasten der Steuerzahler.
Es ist zu befürchten, dass die Macht des sogenannten "militärisch-industriellen Komplexes" in den nächsten Jahren nicht schwächer werden wird, außer, es wird politisch gegengesteuert. Denn die Kriegsbefürworter dominieren im Moment in vielen Ländern Politik, Medien und die öffentliche Agenda.
Und dann ist da die Rüstungslobby, die Politiker nicht nur in den USA fest im Griff hat. Auch in Europa, in Deutschland sind ihre Einflussnahmen deutlich zu spüren.
Die Stunde der Rüstungslobbyisten
So sind deutsche Rüstungsfirmen mit großen Lobbybüros in Berlin vertreten und halten enge langjährige Beziehungen zu Ministerialbeamten und Abgeordneten, wie das Lobbyregister zeigt. Zudem gibt es den sogenannten "Drehtür-Effekt", bei dem Vertreter von Waffenherstellern in die Politik wechseln und andersherum.
Der Bereich ist darüber hinaus hoch "korruptionsgefährdet", wie Transparency International feststellt. Den Vorwurf der Bereicherung macht der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), zwar niemand. Aber sie ist verbandelt mit der Rüstungslobby.
In ihrem Wahlkreis Düsseldorf hat Rheinmetall seinen Konzernsitz. Sie ist Präsidiumsmitglied in der Lobbyorganisation "Förderkreis Deutsches Heer e.V." (FKH) und der "Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik" (DWT).
Ein Schuft, der Böses bei Strack-Zimmermanns ständigen Rufen nach noch mehr Waffen denkt.
Statt sozialgrün olivgrün
In der EU setzt man ebenfalls auf politische Militarisierung. Während die Rüstungsindustrie boomt, mit dem Trend zur Kriegswirtschaft, zitiert EU-Außenamtschef Josep Borrell den lateinischen Spruch "Si vis pacem, para bellum", "Wenn man Frieden will, muss man sich auf den Krieg vorbereiten", während die EU-Kommission zum ersten Mal eine "Defense Industrial Strategy" ("Industriestrategie für den Verteidigungsbereich") vorgelegt hat.
Dabei wird der Schwerpunkt von klima- auf verteidigungsbezogene Projekte verlagert, der Green Deal heruntergestuft und der Europäische Souveränitätsfonds – eine Antwort auf Konjunkturprogramm IRA der Biden-Regierung in den USA – von zehn auf 1,5 Milliarden Euro gekürzt.
Militär geht heute eben vor, gespart wird bei Sozialem, Jobs und der Energiewende. Geld, was für Panzer und Kampfjets, Munition und Raketen verwendet wird, kann eben nicht mehr für Gesundheitsversorgung, Schulen, die Förderung von Wind- und Solarkraft oder den Schutz vor Armut ausgegeben werden. Auch, wenn davon unsere Zukunft abhängt.
Regierungen und Parlamente sollten diesen gefährlichen Prozess der Militarisierung nicht weiter fortsetzen, ihm einen Riegel vorschieben und zugleich die Sorgen der Bürger:innen in den Fokus nehmen – um nicht noch mehr Rechtsentwicklung in Europa wie in den USA zu züchten.
Wer will schon Partycrasher sein
Die Kriege in der Ukraine und Gaza, die Eskalationen mit dem Iran und China, müssen deshalb gestoppt werden, so schnell wie möglich. Denn sie sind die Haupttreiber in den großen Militärmächten, die immer mehr auf Waffen, Panzer und Kampfjets setzen.
Nur so kann der Party der Rüstungskonzerne der Stecker gezogen werden. Auch wenn sie es nicht offen sagen: Sie lieben Krieg und Konflikt, denn das bringt ihr Geschäft zum Blühen.
Die Menschen wollen aber das Gegenteil. Sie haben Angst vor Kriegen. Sie wollen Frieden und zivile Konfliktlösung. Sie wollen gesellschaftliche Wohlfahrt und einen angemessenen Lebensstandard.
Darauf sollte sich die Politik konzentrieren. Aber in der derzeitigen hysterischen Stimmungslage gibt es leider nur wenige, die den Mut besitzen, im Zweifelsfall als "Partycrasher", Putin-, Hamas-, Mullah- und sonstige Autokratie-Versteher an der Pranger gestellt zu werden.
Herdenverhalten gibt es eben nicht nur an Börsen, an denen Waffen im Moment gerade sehr gut laufen.