Wann ist eine Adressänderung eine "Provokation", wann eine "klare Botschaft"?

Bild: 4freerussia.org

Mediensplitter (1): Washington und Moskau haben die Adressen der jeweils anderen Botschaft umbenannt. Die mediale Darstellung fast identischer Abläufe unterscheidet sich.

In der andauernden Ukraine-Krise stehen sich auch Russland als Angreifer und die USA als Schutzmacht der Ukraine gegenüber. Neben den militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine kommt es daher immer wieder auch zu diplomatischen Geplänkeln zwischen Washington und Moskau. Dabei ist die unterschiedliche mediale Bewertung fast identischer Abläufe beachtlich.

So berichtete das Nachrichtenmagazin Spiegel Mitte dieser Woche auf basis einer dpa-Meldung, Moskau benenne die Adresse vor der örtlichen US-Botschaft in "Platz der Donezker Volksrepublik" um. Die Meldung verwies auf einen Erlass der Moskauer Stadtverwaltung, die Initiative sei vom Stadtrat ausgegangen. Vorangegangen war eine Online-Umfrage. Dabei standen der Quelle zufolge weiterhin die Optionen "Verteidiger des Donbass" und der Name des im März gefallene Separatisten Wladimir Schoga zur Auswahl.

Die im Spiegel verwendete dpa-Meldung bewertete den Ablauf an drei Stellen. Moskau, so hieß es dort, "provoziert so neue Spannungen mit den USA", der Schritt "zwingt die US-Botschaft künftig bei Angabe ihrer Adresse auf die DVR zu verweisen, die Washington nicht als unabhängigen Staat anerkennt" und der Vorstoß ziele "daher von Anfang an darauf ab, Washington zu verärgern".

Diese Einordnung ist vor allem im Vergleich mit einer früheren Meldung der Nachrichtenagentur AFP interessant, die von der gleichen Redaktion übernommen worden war. Im Januar 2018 hatte der Spiegel über eine "heikle Namensänderung" in Washington berichtet.

Ein Stück Straße vor der russischen Botschaft in der US-Hauptstadt Washington wurde damals "nach dem Willen der Stadtverwaltung" nach dem ermordeten Kreml-Kritiker Boris Nemzow umbenannt. Die USA machen russische Regierungskreise für die Ermordung des Putin-Kritikers verantwortlich. In der Meldung heißt es:

13 Stadtverordnete – elf demokratische und zwei unabhängige – stimmten am Mittwoch einstimmig für die Umbenennung des Straßenabschnitts in Boris Nemtsov Plaza.

In der Meldung findet sich allerdings keine negative Bewertung, etwa über "Provokation", "Zwang" oder "Verärgerung". Stattdessen kam der Republikaner-Senator Marco Rubio zu Wort: Der Beschluss sende "eine klare Botschaft an Wladimir Putin und seine Freunde, dass das amerikanische Volk auf Seiten der Russen steht, die mutig versuchen, eine freie und demokratische Zukunft für ihr Land aufzubauen".

Provokationen zwischen den USA und Russland haben eine lange Vorgeschichte. Schon 2014 sorgte der damalige US-Präsident Barack Obama für Unmut in Moskau, als er Russland bei einer Pressekonferenz in Den Haag als "Regionalmacht" bezeichnete, "die einige ihrer Nachbarn bedroht".

Die Einlassungen des Demokraten folgten mit Blick auf den Anschluss der Halbinsel Krim an Russland. Damals sagte Obama

Was die Behauptung von Herrn Romney angeht, Russland sei unser geopolitischer Feind Nummer eins, so hat Amerika in Wahrheit eine ganze Reihe von Herausforderungen zu bewältigen. Russland ist eine regionale Macht, die einige ihrer unmittelbaren Nachbarn nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche bedroht. Die Ukraine ist ein Land, in dem Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion jahrzehntelang enormen Einfluss hatte. Und wir haben erheblichen Einfluss auf unsere Nachbarn. Im Allgemeinen müssen wir nicht in sie einmarschieren, um eine starke, kooperative Beziehung zu ihnen zu haben. Die Tatsache, dass Russland sich gezwungen sah, militärisch einzugreifen und diese Verstöße gegen das Völkerrecht aufzudecken, deutet auf weniger Einfluss hin, nicht auf mehr.

Die unterschiedliche Bewertung der Botschaftsumbenennungen liegt nur mittelbar in der Verantwortung des Spiegel. Das Material stammt von den genannten Nachrichtenagenturen. Allerdings werden Meldungen fast immer redaktionell bearbeitet.