War Lenin schuld?
Rosa Luxemburg und Wladimir Putin über die Entstehung der Ukraine
In einer Grundsatzrede hat Wladimir Putin am 21. Februar 2022 die russische Position im Konflikt mit der Ukraine erläutert und anschließend die Republiken in Donezk und Lugansk anerkannt. Dabei ging er auch auf die Geschichte Russlands bzw. der Sowjetunion und hier insbesondere auf die revolutionären Ereignisse von 1917/18 ein, die u. a. zur Entstehung der Ukraine führten.
Putin bezeichnete die leninistischen Prinzipien des Staatsaufbaus der Sowjetunion nicht nur als "Fehler, sondern weitaus schlimmer als einen Fehler". Dies führte zu Kritik bei nicht wenigen Linken, die darin lediglich eine typische russische nationalistische Position sehen konnten, die im Gegensatz zur leninistischen Nationalitätenpolitik stünde.
Doch diese Kritiker machen es sich mit ihrer pauschalen Kritik zu einfach, denn die Haltung der Bolschewiki in dieser Frage war zum einen über lange Zeit keineswegs eindeutig, zum anderen hatte keine Geringere als Rosa Luxemburg seinerzeit die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki einer gnadenlosen Kritik unterzogen, die der Putins von heute verblüffend ähnelt. Luxemburg war mit den politischen Verhältnissen in der Region vertraut.
Als sowohl deutsche wie auch polnische Sozialistin sprach sie Russisch und kannte viele der Bolschewiki persönlich. Doch es gibt auch Unterschiede zwischen den Positionen Luxemburgs und denen von Putin.
Wladimir Putin zur Entstehung der Ukraine
In seiner Rede am 21. Februar führte Putin aus:
"Die heutige Ukraine wurde voll und ganz und ohne jede Einschränkung von Russland geschaffen, genauer: vom bolschewistischen, kommunistischen Russland. Dieser Prozess begann im Grunde gleich nach der Revolution von 1917. Lenin und seine Mitstreiter gingen dabei äußerst rücksichtslos gegen Russland selbst vor, von dem Teile seiner eigenen historischen Gebiete abgetrennt und abgestoßen wurden. Die Millionen Menschen, die dort lebten, hat natürlich niemand gefragt.
Unmittelbar vor und nach dem Großen Vaterländischen Krieg gliederte dann Stalin einige Gebiete, die zuvor zu Polen, Rumänien und Ungarn gehört hatten, der Sowjetunion an und übergab sie der Ukraine. Dabei erhielt Polen als eine Art Kompensation einen Teil der von alters her deutschen Gebiete. Und 1954 nahm Chruschtschow dann aus irgendeinem Grund Russland die Krim weg und schenkte sie gleichfalls der Ukraine. So ist es entstanden, das Territorium der Sowjetukraine.
Heute möchte ich aber besonders auf die erste Zeit nach der Gründung der Sowjetunion eingehen. Diese Phase ist nach meiner Überzeugung äußerst wichtig für uns. Dazu muss ich, wie es so schön heißt, etwas weiter ausholen.
Ich erinnere daran, dass sich die Bolschewiki nach dem Oktoberumsturz von 1917 und dem anschließenden Bürgerkrieg daran machten, eine neue Staatlichkeit aufzubauen. Zwischen ihnen gab es heftige Meinungsverschiedenheiten. Stalin, der 1922 Generalsekretär des Zentralkomitees der Russländischen Kommunistischen Partei (Bolschewiki) und zugleich Volkskommissar für Nationalitätenfragen war, wollte das Land nach dem Autonomieprinzip aufbauen, also den zukünftigen administrativ-territorialen Einheiten weitreichende Vollmachten innerhalb des Einheitsstaats geben.
Lenin kritisierte diesen Plan und schlug vor, Zugeständnisse an die Nationalisten zu machen, an die 'Unabhängigkeitler', wie er sie damals nannte. Auf Basis genau dieser Leninschen Ideen eines konföderativen Staatsaufbaus und der Parole vom Selbstbestimmungsrecht der Völker bis hin zur Abspaltung wurde dann die sowjetische Staatlichkeit errichtet; 1922 wurden sie in der Erklärung zur Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verankert, und dann, nach dem Tod Lenins, 1924 in der Verfassung der UdSSR.
Hier taucht sofort eine Reihe von Fragen auf. Die erste und wichtigste: Warum musste man partout mit Gutsherrengeste alle möglichen, immer weiter in den Himmel schießenden nationalistischen Ansprüche an den Rändern des ehemaligen Imperiums befriedigen? Warum musste man den neu geschaffenen, oft völlig willkürlich zugeschnittenen Verwaltungseinheiten, den Unionsrepubliken, riesige Gebiete übergeben, die oft nicht den geringsten Bezug zu ihnen hatten? Und zwar Gebiete, ich sage es noch einmal, mitsamt ihrer Bevölkerung, die zum historischen Russland gehörte.
Mehr noch: Diesen Verwaltungseinheiten wurde faktisch der Status und die Form nationalstaatlicher Gebilde verliehen. Noch einmal die Frage: Wozu solche großzügigen Geschenke, von denen nicht einmal die glühendsten Nationalisten geträumt hatten, und wozu wurde dann noch den Unionsrepubliken das Recht verliehen, ohne Voraussetzungen aus dem Staatsverband auszutreten?"1