Warum EU und Ukraine Trumps Friedensplan annehmen sollten

Anatol Lieven
Donald Trump in Rednerpose

Der auf dem Tisch liegende Friedensplan ergibt durchaus Sinn, findet unser Gastautor

(Bild: Rawpixel.com/Shutterstock.com)

Trumps Ukraine-Plan stößt aufgrund seiner Zugeständnisse an Russland auf Kritik. Doch ihn abzulehnen könnte fatale Folgen haben. Ein Gastbeitrag.

Der Großteil des nun von der Trump-Administration skizzierten Friedensplans für die Ukraine ist nicht neu, beruht auf gesundem Menschenverstand und wurde von Kiew tatsächlich bereits stillschweigend akzeptiert.

Ukrainische Offizielle haben eingeräumt, dass die ukrainische Armee in absehbarer Zeit keine Chance hat, die von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern. Die Aussage von Vizepräsident J.D. Vance, wonach der US-Plan die "territorialen Linien [...] ungefähr dort einfrieren würde, wo sie heute sind", anerkennt lediglich eine offensichtliche Tatsache.

Zugeständnisse nicht so groß, wie sie scheinen

Anatol Lieven
Unser Gastautor Anatol Lieven
(Bild: RS)

Auf der anderen Seite hat Putin, indem er Berichten zufolge einer Waffenruhe entlang der gegenwärtigen Frontlinie zugestimmt haben soll, seine Bereitschaft signalisiert, auf Russlands Forderung zu verzichten, die Ukraine solle sich aus jenen Teilen der von Russland beanspruchten Provinzen zurückziehen, die sich noch unter ukrainischer Kontrolle befinden.

Auch dies entspricht dem gesunden Menschenverstand. Die Ukrainer würden diesen Gebietsverzicht niemals akzeptieren, und angesichts des langsamen russischen Vormarschs bis dato wäre die Eroberung dieser Gebiete im Kontext des von den USA unterstützten ukrainischen Widerstands ein langer und schrecklich blutiger Prozess, aus dem Russland nur verwüstete Ödlandschaften gewinnen würde.

Selbst ohne ein US-Veto ist eine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine nicht realistisch, da alle derzeitigen Nato-Mitglieder deutlich gemacht haben, dass sie nicht bereit sind, zur Verteidigung der Ukraine zu kämpfen, und weil mehrere europäische Länder außerdem Kiews Mitgliedschaft blockieren werden.

Tatsächlich hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj während der Friedensverhandlungen zu Kriegsbeginn selbst erklärt, dass — da alle führenden Nato-Regierungen (darunter die Biden-Administration) sich geweigert hätten, einen Nato-Beitritt innerhalb von fünf Jahren zuzusagen — ein Neutralitätsabkommen mit Sicherheitsgarantien der beste Weg für die Ukraine sei.

Gleichzeitig enthält der Trump-Plan ein großes Überraschungselement: das Angebot, die russische Souveränität über die Krim anzuerkennen. Anders als die Neutralität und die de-facto- (nicht de-jure-) Anerkennung der russischen Kontrolle über die anderen Gebiete stellt dies ein wirklich bedeutendes Zugeständnis an Russland dar.

Allerdings ist dieses Zugeständnis nicht so groß, wie es die westlichen Medien nahelegen, da es nicht die anderen vier Provinzen im Osten der Ukraine einschließt, die Russland behauptet, annektiert zu haben.

Die Frage der Krim

Ebenso ist noch unklar, ob die Trump-Administration nur eine formelle Anerkennung der russischen Souveränität über die Krim selbst anbietet oder ob sie — und Moskau — auch darauf bestehen, dass dies die Ukraine tun muss, was für die Selenskyj-Regierung politisch höchstwahrscheinlich unmöglich wäre. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karoline Leavitt, erklärte, Trumps Anerkennung von Russlands Souveränität über die Krim gelte nur für die USA; man verlange nicht, dass die Ukraine diesem Schritt folge.

Angesichts dieser Unklarheit war es unklug und unbedacht von Selenskyj, umgehend zu erklären, dass "es hier nichts zu besprechen gibt". Vielleicht muss er gar nicht darüber sprechen — doch eine derart öffentliche Zurückweisung ist kein geeignetes Mittel, um die Sympathie der Trump-Administration zu bewahren.

Es gibt durchaus eine rechtliche, moralische und historische Grundlage dafür, zumindest von US-Seite die Krim anders zu behandeln, weil die Halbinsel 1954 per sowjetischem Dekret ohne jegliche Form der Befragung der lokalen Bevölkerung von der Russischen Sowjetrepublik an die Ukrainische Sowjetrepublik übertragen wurde.

Auch scheint die Abstimmung der Krim-Bevölkerung für den Anschluss an Russland im Jahr 2014 weitgehend glaubwürdig gewesen zu sein, während die von Russland in den anderen vier Provinzen während des Krieges durchgeführten "Referenden" zu Recht als vollkommen unzuverlässig gelten.

Keiner will den Schwarzen Peter

Wird dieser Plan Frieden bringen? Russland scheint kurz davor zu sein, ihn zu akzeptieren — allerdings scheint der Plan nach bisherigem Kenntnisstand andere russische Forderungen nicht zu behandeln, darunter die Rechte russischsprachiger Bürger in der Ukraine, Begrenzungen der ukrainischen Streitkräfte und vor allem ein Verbot einer europäischen "Sicherheitspräsenz" in der Ukraine, an der britische, französische und andere Regierungen intensiv arbeiten.

Es ist möglich, dass der Kreml weitere tatsächlich unakzeptable Bedingungen auf den Friedensplan aufzuladen versucht (beispielsweise radikale Reduzierungen der ukrainischen Streitkräfte). In diesem Fall sollte Trump Moskau die Schuld für das Scheitern des Friedensprozesses geben und sich zwar daraus zurückziehen, doch die US-Hilfe für die Ukraine fortsetzen.

Ein wesentlicher Beweggrund für Moskaus Zustimmung ist, dass die Putin-Administration stark darauf bedacht ist, dass Trump im Falle eines Scheiterns der Gespräche der Ukraine und den Europäern, nicht Russland, die Schuld zuschiebt, und dass er, wenn er — wie angedroht — "weggeht" vom Friedensprozess, dann auch die militärische und nachrichtendienstliche Unterstützung für Kiew beendet.

Ukraine würde de facto nichts verlieren

Aus denselben Gründen wäre es töricht und geradezu wahnsinnig, wenn die Ukrainer und Europäer diesen Plan insgesamt kategorisch ablehnen würden, wie erste Stellungnahmen andeuten. Wie bereits erwähnt, sind die formalen Ziele der Ukraine – der Nato beizutreten und die verlorenen Gebiete zurückzuerobern – praktisch unerfüllbar. In konkreter Hinsicht verliert die Ukraine also nichts, wenn sie dem Trump-Plan zustimmt.

Sofern die britische Regierung bei der Aussage von Premierminister Keir Starmer bleibt, dass eine europäische "Sicherheitspräsenz" nur in die Ukraine einrücken könne, wenn die USA "Rückhalt" dafür leisten, dann wird es zu dieser Präsenz ebenfalls nicht kommen.

Trump hat nicht die Absicht, eine solche Garantie zu geben, die auf eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine unter anderem Namen hinauslaufen würde. Wichtige europäische Regierungen wie die Polens haben zudem erklärt, dass sie sich an einer solchen Mission nicht beteiligen würden.

Derzeit und noch für geraume Zeit scheinen die britischen und französischen Streitkräfte schlicht nicht über ausreichend Soldaten für einen solchen Einsatz unter Kriegsgefahr mit Russland zu verfügen. Ein ehemaliger Chef der britischen Armee, General Lord Dannatt, erklärte, dass (angesichts des Bedarfs an Rotation und Ausbildung) bis zu 40.000 britische Soldaten für eine derartige Mission bereitgestellt werden müssten, "und diese Zahl ist bei uns schlicht nicht verfügbar."

Die Schaffung dieses Kontingents für die Ukraine würde außerdem bedeuten, dass Großbritannien seine bisherigen Verpflichtungen zur Verteidigung bereits existierender Nato-Mitglieder — insbesondere der baltischen Staaten und Polens — aufgeben müsste.

Warum eine Ablehnung unklug wäre

Voraussichtlich wird die Reaktion Kiews und der meisten europäischen Regierungen auf den Trump-Plan "Nein, aber" lauten. Sprich, sie werden den Plan in seiner jetzigen Form zurückweisen, jedoch ihre Verhandlungsbereitschaft über einzelne Aspekte bekunden.

Das wäre jedoch höchst unklug, sofern Russland tatsächlich bereit ist, den Plan zu akzeptieren. Trump wartet auf deren Antwort, und er ist kein geduldiger Mensch. Die Drohung der Trump-Administration, die Ukraine und Europa sich selbst zu überlassen, könnte kaum deutlicher sein. Wie Außenminister Marco Rubio erklärte:

Die Ukrainer müssen nach Hause, sie müssen das mit ihrem Präsidenten besprechen, sie müssen die eigene Sichtweise darauf berücksichtigen. Aber wir müssen jetzt innerhalb weniger Tage herausfinden, ob das kurzfristig machbar ist. Denn wenn nicht, dann glaube ich, dass wir uns einfach anderen Dingen zuwenden werden.

Wenn sich die USA tatsächlich "anderen Dingen zuwenden", würde dies die Ukraine in eine extrem prekäre Lage versetzen – und die westeuropäischen Länder könnten vor der Wahl zwischen tiefer Demütigung und großer Gefahr stehen. Denn ohne US-Hilfe wäre die Fähigkeit der Ukraine, ihre derzeitige Linie zu halten, stark eingeschränkt, und die Wahrscheinlichkeit eines Durchbruchs der Russen beträchtlich erhöht.

Falls das zuträfe, müssten die Europäer entweder zugeben, dass ihre "unerschütterlichen" Versprechungen an die Ukraine aus Papier bestanden, oder ihre eigenen Truppen in die Ukraine schicken.

Sie könnten natürlich in Kiew und Odessa bleiben, weit weg von den tatsächlichen Kämpfen, doch wie würde das der Ukraine helfen? Und es sei denn, diese Intervention erfolgte als Teil einer Vereinbarung mit Moskau, die Russland beträchtliche zusätzliche Gebiete zuspräche – wie ließe sich dann ein direkter Kampfeinsatz europäischer Luftstreitkräfte vermeiden?

Angesichts dieser akuten Risiken und angesichts dessen, dass Details des Trump-Plans noch ausgearbeitet werden müssen, wäre die angemessene Reaktion der Ukrainer und Europäer "Ja, aber" – jedenfalls, wenn sie sich auch nur eine Chance erhalten wollen, Washingtons Unterstützung für die Ukraine beizubehalten.

Der Trump-Plan würde 80 Prozent der Ukraine unabhängig lassen und ihr ermöglichen, eine Annäherung an die Europäische Union zu versuchen, was in historischer Perspektive ein großer (wenn auch nicht uneingeschränkter) Erfolg für die Ukraine wäre. Die Ablehnung dieses Plans kann für die Ukraine hingegen nur eine noch größere Niederlage bedeuten — möglicherweise eine katastrophal größere.

Anatol Lieven ist Direktor des Eurasia-Programms am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Zuvor war er Professor an der Georgetown University in Katar und am Fachbereich Kriegsstudien des King's College London.

Dieser Text erschien zuerst bei unserem Partnerportal Responsible Statecraft auf Englisch.