Warum Fußball langweilig wird
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Und was das mit Sportwetten zu tun hat.
Noch nie war die Vorfreude auf eine Weltmeisterschaft so getrübt wie in diesem Jahr. Fußballdeutschland diskutiert weniger über die mögliche Aufstellung des Bundestrainers, als darüber, wie viele Arbeitsmigranten denn nun tatsächlich beim Stadionbau in Katar ums Leben gekommen sind.
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum das Sportspektakel seinen Zauber verloren hat und die Fanartikel wie Blei in den Regalen liegen: Die Dauerberieselung mit Sport auf allen Kanälen sorgt für Überdruss. Jemand, der sein Leben dem Fußball gewidmet hat, drückt es so aus:
"Es ist viel zu viel Kommerz. Jeder Scheiß kommt im Fernsehen. Es wird alles aufgebauscht bis zum Gehtnichtmehr. Das langweilt."
Das Zitat stammt aus einem Interview mit Werner Lorant, der Trainerlegende von 1860 München. Verglichen mit heute gelten die 1970er-Jahre, als Lorant selber noch bei Rot-Weiß Essen gekickt hat, vielen Angehörigen der Babyboomer-Generation als die gute alte Zeit. Nostalgieliteratur im Stile Nick Hornbys füllt im Buchhandel mehrere Regalmeter.
Dabei war die Ära von Georg Best und Günter Netzer in vielerlei Hinsicht weniger unterhaltsam als die sportliche Gegenwart: Das Spieltempo war eher gemächlich, viele Stadien waren marode, der Service vor Ort grottig, in England eskalierte die Gewalt der Hooligans.
Ein Samstagsritual
Doch ein anderer Unterschied hat die kollektive Erinnerung der Fans geprägt: Anpfiff war samstags um 15.30 Uhr und zu sehen gab es die Spiele um 18 Uhr in der ARD-Sportschau und nach 22 Uhr im ZDF-Sportstudio. Zwischendurch kamen Pokal- oder Länderspiele hinzu, aber das war’s dann auch schon. Mit anderen Worten: Fußball war noch etwas Besonderes, ein Samstagsritual, auf das man sich die ganze Woche freuen konnte.
Heute ist das schon deshalb anders, weil ein Bundesliga-Spieltag in fünf Anstoßzeiten zwischen Freitagabend und Sonntagabend aufgesplittert ist. Zeitlich versetzt dazu gibt es die Spiele der Zweiten Liga, es gibt englische Wochen und neuerdings immer öfter Frauenfußball und ausgewählte Partien aus anderen Ländern.
Vieles davon wird auf irgendeinem Pay-TV-Kanal live übertragen, denn ohne Fußball hätten die Bezahlsender kaum Abonnenten. Hinzu kommen die Kurzberichte in den öffentlich-rechtlichen Nachrichten und das stundenlange Stammtischpalaver im Privatfernsehen. Selbst mancher Hardcore-Fan erreicht so irgendwann den Punkt der Übersättigung.
Das Aufbauschen bis zum Gehtnichtmehr ist nicht der einzige Grund, warum Fußball langweilig zu werden droht.
Matthäus-Prinzip
Der andere Hauptgrund ist die Monotonie im Kampf um die Meisterschaft. 2015 sagte Christian Seifert, der damalige Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, in einem Pressegespräch: Wenn sich irgendwann herausstellen sollte, "dass wir in den letzten zehn Jahren immer den gleichen Meister hatten, dann kann man in eine Diskussion treten".
Sieben Jahre später war es so weit: Bayern München wurde zum zehnten Mal in Folge deutscher Meister und ein Ende der Dominanz ist nicht absehbar. In anderen Ländern ist es genauso (z.B. Red Bull Salzburg in Österreich) oder ähnlich (z.B. Juventus Turin in Italien). Für den Trend zur Langeweile gibt es strukturelle Gründe: Spitzenclubs verdienen dank Merchandising und Sponsoring sehr viel mehr als die übrigen Vereine, denn Markenartikel-Hersteller schmücken sich am liebsten mit Gewinnern.
An diesem Ungleichgewicht ändert auch der Verteilschlüssel für die Fernsehgelder wenig. Denn die üppigen Champions-League-Einnahmen vertiefen die Kluft in der polarisierten Welt des Fußballs.
Deshalb war die Idee an sich folgerichtig, die europäischen Spitzenteams in einer Super League gegeneinander antreten zu lassen. Dann gäbe es aller Wahrscheinlichkeit nach mehr Begegnungen wie das spektakuläre Halbfinale zwischen Manchester City und Real Madrid in der letzten Champions League-Saison. Doch auch die gäbe es nur für begrenzte Zeit.
Denn im internationalen Fußballgeschäft gilt derselbe ökonomische Grundsatz wie innerhalb der nationalen Ligen. Das Prinzip ist nach dem Apostel Matthäus benannt, könnte aber genauso gut von dem Fußballer gleichen Namens stammen: Wer hat, dem wird gegeben. Soll heißen: Wer am meisten Geld ausgibt, hat die größten Gewinnchancen. Und wer gewinnt, nimmt am meisten Geld ein.
Bayern München kann heute kaum noch die Transfersummen aufbieten, die in der Premier League – dem Epizentrum der globalen Kommerzialisierungswelle – üblich sind. Selbst reiche Clubs müssen hilflos mit ansehen, wie ihnen die superreiche Konkurrenz die Leistungsträger abwirbt.
Am Ende gehen Unsummen an Ausnahmespieler wie Erling Haaland und deren Berater, während Vereine in den unteren Tabellenregionen der großen Ligen und Landesmeister aus kleineren Staaten immer weiter abgehängt werden. Bayern-Vorstand Oliver Kahn spricht deshalb in der Amazon-Doku "Behind the Legend" von der "Perversion des Geschäfts".
Ausnahmen wie der Wechsel von Sadio Mané in die Bundesliga oder der Überraschungserfolg von Eintracht Frankfurt in der Europa League bestätigen die Regel, denn sie werden immer seltener.
Louis-Schmeling-Paradox
Die Promidichte in Mannschaften wie "Katar Saint-Germain" deutet an, wohin die Reise gehen könnte: Irgendwann spielen alle Topspieler der Welt in ein und demselben Zirkusteam.
In anderen Branchen wäre so eine Monopolisierung der feuchte Traum eines jeden Managers. Doch im Profisport gilt nicht nur das Matthäus-Prinzip, sondern auch das Louis-Schmeling-Paradox: Joe Louis konnte nur deshalb zum Stern am Boxerhimmel aufsteigen, weil er mit Max Schmeling einen nahezu gleich starken Konkurrenten hatte.
Übertragen auf den Mannschaftssport heißt das: Die nötige Spannung ist eine Koproduktion und keine Einzelleistung eines Topteams. Der Unterhaltungswert des Fußballs hängt von dem ab, was Sportökonomen "kompetitive Balance" nennen. Ein Wettkampf zwischen ungleichen Gegnern kann gelegentlich überraschend enden, wie bei den K.o.-Spielen im DFB-Pokal. Auf Dauer jedoch sorgt Ungleichheit für Langeweile und untergräbt dadurch die Geschäftsbasis der Zuschauersportindustrie.
Das Gesetz des tendenziellen Anstiegs der Profitrate von Spitzenverdienern ließe sich nur aushebeln, wenn die Einnahmen durch Merchandising, Sponsoring und Champions League genauso umverteilt würden wie die Medienerlöse der Bundesliga. Die Großverdiener müssten also sehr viel mehr Geld an die Geringverdiener transferieren – was sie natürlich nicht tun werden.
Uli Hoeneß könnte zu Recht darauf verweisen, dass die Bayern cleverer haushalten und nicht dazu verpflichtet werden können, die Misswirtschaft in Vereinen wie Hertha BSC zu subventionieren. Mit anderen Worten: Das Leistungsprinzip widerspricht einer konsequenten Umsetzung des Fairness-Gedankens. Das Regelwerk, das die UEFA unter der Überschrift "Financial Fairplay" verabschiedet hat, ist jedenfalls alles andere als fair und zudem leicht zu umgehen.
Forderungen nach einem strengeren Reglement der Vereinsfinanzen finden in Europa kaum Gehör. Was unter anderem daran liegt, dass es mittlerweile eine technische Lösung für das Problem der drohenden Langeweile zu geben scheint: das Zuschauerdoping durch digitalisierte Sportwetten.