Warum Fußball langweilig wird

Seite 2: Zuschauerdoping

Durch Sportwetten bekommen Spiele und Meisterschaften mit absehbarem Ausgang einen neuen Reiz, weil man darauf tippen kann, mit wie vielen Toren oder Punkten Vorsprung der Favorit gewinnt.

Die Digitalisierung eröffnet die Möglichkeit der Live-Wette, deren Quoten sich mit dem Spielverlauf ändern. Sie zieht den Zuschauer ganz anders in den Bann als die Abgabe eines Toto-Scheins. Zudem bieten Wettautomaten, Online-Portale und Smartphone-Apps sehr viel mehr Optionen: Wer will, kann rund um die Uhr an sieben Tage die Woche sein Geld aufs Spiel setzen.

Die Wettanbieter versorgen ihre Kunden mit Spielstatistiken, Formtabellen und andere Hintergrundinformationen, was bei den Fußballfans die Illusion erzeugt, dank ihres Sportwissens an leicht verdientes Geld heranzukommen. Illusorisch ist diese Hoffnung deshalb, weil alles handfeste Wissen über bevorstehende Matches bereits in der Wettquote eingepreist ist.

Wann ein Außenseiter gewinnt und wie hoch ein Sieg ausfällt, hängt vom Zufall ab, lässt sich also grundsätzlich nicht vorhersagen. Wer in solchen Fällen richtig tippt, hat schlicht Glück gehabt. Der Glaube vieler Fans an ihre überlegene Kompetenz in Sachen Fußball ist ein Aberglaube.

Tippgemeinschaften waren früher eine weit verbreitete Form der Geselligkeit in Betrieben und Vereinen. Heute hantieren Sportwetter allein an ihren Geräten herum. So lange sie das nur ab und zu tun, ist auch nichts dagegen zu sagen. Doch mit Gelegenheitsspielern machen die Wettanbieter kein Geschäft.

Das Gros ihrer Gewinne verdanken sie Fußballfans, die oft spielen und dabei viel verlieren. Das belegt eine Auswertung von 140.000 Wettkonten in Großbritannien: Die zehn Prozent der Kunden mit den höchsten Wetteinsätzen (über 6.500 € im Jahr) generieren knapp 80 Prozent des Bruttospielertrages.

Unter den Spielern mit hohen Verlusten sind viele Teilnehmer aus benachteiligten Wohngebieten. Für sie besteht der Reiz der digitalisierten Sportwette darin, in eine Parallelwelt abtauchen und alle realen Probleme eine Zeit lang zu vergessen zu können – Geldsorgen eingeschlossen.

Die Sorgen bleiben natürlich bestehen und werden durch die Spielverluste noch verschlimmert, was die Flucht ins digitale Nirwana zusätzlich triggert. Ein Teufelskreis, der nicht selten tödlich endet, weil die Betroffenen – es sind fast ausschließlich Männer – keinen anderen Ausweg mehr aus der Schuldenfalle sehen als den Suizid. In Großbritannien sind es Witwen von Wettsüchtigen, die öffentlich der Behauptung widersprechen, Sportwetten seien ein harmloser Freizeitspaß.

"Ich profitiere von schädlicher Einflussnahme"

Weil viele Highroller früher oder später bankrott sind, im Knast landen oder Selbstmord begehen, ist die Wettbranche darauf angewiesen, ständig neue Kunden zu rekrutieren. Vor daher erklärt sich der immense Werbeaufwand, den Anbieter wie Bwin oder Tipico im Fernsehen und in den sozialen Medien betreiben.

Nicht nur die meisten Bundesligavereine werden von ihnen gesponsert, sondern auch Dachorganisationen wie die Deutsche Fußball Liga und der Deutsche Fußballbund. Und auch der Finanzminister pocht auf seinem Anteil an den Verlusten der Wettkunden: Im letzten Jahr hat der Fiskus 470 Mio. Euro an Wettsteuern eingenommen.

Sie alle – die Konzerne, die Medien, der Sport, der Staat – sind koabhängig, das heißt: Sie sind abhängig von der Abhängigkeit Anderer. Christian Streich, der Trainer des FC Freiburg, hat diesen Zusammenhang gegenüber der New York Times wie folgt beschrieben:

Ich profitiere von schädlicher Einflussnahme. Der Schaden entsteht dann, wenn im Fernsehen ein Spiel läuft und ein Werbespot für Glückspiele kommt. Der Werbespot sorgt dafür, dass wir so viel Geld verdienen. Das ist falsch.

Weil sich Kinder das Spiel ansehen und die Werbung hier sagt ihnen, dass sie wetten sollen. Doch viele Leute werden krank, wenn sie wetten.

Christian Streich

Die illegalen Machenschaften der Fifa-Bosse sind übel. Aber sie richten weitaus weniger Schaden an als das ganz legale Geschäft mit der Sucht.