Warum dürfen deutsche Kinder nicht, was Kakao-Kinder müssen?

In Deutschland ist Kinderarbeit seit 1960 verboten, doch Schokolade aus Kinderhand ist erlaubt. Große Konzerne profitieren von der Arbeit der Kinder in Westafrika. Warum diese Doppelmoral?
Kinderarbeit war in der Landwirtschaft über lange Zeit akzeptiert und war nicht der Rede wert. Damit gibt es aus dieser Zeit auch nur wenige Zeugnisse. Dokumentiert wurde die Kinderarbeit erst mit der aufkommenden Industrialisierung. Hierzu vermerkt die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrer Reihe "Aus Politik und Zeitgeschichte":
In der entstehenden Industrie und im Gewerbe wurden Kinder für verschiedenste Aufgaben eingesetzt – beim Raddrehen an Maschinen, an Spinnmaschinen, beim Töpfern, Kleiderrupfen, im Bergbau als Grubenpferdeführer, Kohlenschlepper, Lorenzieher und Öffner für Wettertüren. Schilderungen und Abbildungen dieser Kinderarbeit kamen nun vermehrt an die Öffentlichkeit, nicht weil es vorher keine Kinderarbeit gab, sondern weil die neuen Erwerbszweige und -methoden den Grundbesitzern und traditionellen Gewerbetreibenden ein Dorn im Auge waren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten in Westdeutschland auch Minderjährige mit anpacken, damit die Familien über die Runden kamen, da viele Familienväter im Krieg geblieben oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren.
Erst 1960 wurde Kinderarbeit im Westen Deutschlands offiziell verboten, die DDR dagegen sprach bereits mit ihrer Verfassung 1949 ein Verbot aus. Und dennoch kam es auch dort zur Kinderarbeit, ja sogar Zwangsarbeit zum Beispiel in Kinderheimen.
Kinderarbeit ist in Deutschland heute kein Problem mehr
Bei Kinderarbeit denkt man meistens an Länder des Globalen Südens, wo etwa die Kakaoernte vielfach auf Kinderarbeit angewiesen ist. Kampagnen der westlichen Schokoladenindustrie sollten das schlechte Image der Kinderausbeutung bekämpfen, haben jedoch selten gehalten, was vollmundig versprochen wurde.
Ein neuer Anlauf gegen die Kinderarbeit sollte mit den Lieferkettengesetzen gelingen. Der Widerstand dagegen in den Industrieländern, die nicht auf ihre kostengünstigen Quellen verzichten wollen, hält bis heute an. In Deutschland kämpft die FDP massiv gegen das Lieferkettengesetz und Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer, meldet sich auch im EU-Umfeld regelmäßig zu Wort:
Ohne jeden Zweifel steht die Wirtschaft klar hinter dem Ziel der Stärkung von Menschenrechten und Umweltschutz. Für Familienunternehmen ist dies fester Bestandteil ihres nachhaltigen Wirtschaftens. Der jetzt angenommene Parlamentsvorschlag aber lässt Unternehmer schier verzweifeln, denn er schießt irrwitzig an der Realität von Unternehmen in Europa und ihren weltweiten Zulieferbetrieben vorbei.
Frau Ostermann, die in Hamm mit 30 Prozent am familieneigenen Lebensmittelgroßhändler Rullko mit angeschlossener Kaffeerösterei beteiligt ist, windet sich bei jeder Gelegenheit aus der faktischen Verantwortung für die Lieferketten des Unternehmens.
Wenn Kinderarbeit in den Lieferketten nicht sicher ausgeschlossen werden soll, stellt sich die Frage, warum sollen Kinder in Deutschland nicht mehr zum Lebensunterhalt ihrer Familien beitragen dürfen, wenn der Verdienst der Eltern nur den gesetzlichen Mindestlohn erreicht.
Strenge Gesetze gegen Kinderarbeit
Obwohl die Gesetzeslage in Deutschland ausbeuterische Kinderarbeit verhindern soll, gibt es eine beachtliche Grauzone, in der sich viele arbeitende Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern bewegen.
Das deutsche Jugendarbeitsschutzgesetz erlaubt Kindern, die zwischen 13 und 18 Jahre alt sind, leichte Tätigkeiten, die sie nicht mehr als zwei Stunden am Tag ausüben dürfen. In landwirtschaftlichen Familienbetrieben umfasst die erlaubte Arbeitszeit drei Stunden zwischen acht und 18 Uhr. Die Arbeit soll ihrer Gesundheit und Entwicklung nicht schaden und mit dem Schulbesuch vereinbar und freiwillig sein.
Erwerbsarbeit von Kindern gilt in Deutschland nicht als Kinderarbeit. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellt in diesem Zusammenhang fest:
Nicht jede von Kindern geleistete Arbeit gilt als – völkerrechtlich verbotene – Kinderarbeit. Wenn Kinder und Jugendliche ihren Eltern im Haushalt helfen oder in ihrer Freizeit ihr Taschengeld aufbessern, ist das nicht illegal und kann sich positiv auf die persönliche Entwicklung der Kinder auswirken.
Die Verordnung über den Kinderarbeitsschutz stellt fest, dass mit Ausnahme des Austragens von Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigenblättern und Werbeprospekten nur Beschäftigungen im nichtgewerblichen Bereich wie Nachhilfe oder Babysitten zulässig sind. Da diese Tätigkeiten nicht sozialversicherungspflichtig sind, sollen die Kinder künftig mit staatlicher Förderung schon in jungen Jahren ein Aktiendepot zur eigenen Altersversorgung bekommen.
Neben der erlaubten Arbeit in der Landwirtschaft und der Grauzone Familiengastronomie arbeiten Kinder und Jugendliche häufig auch im Bereich der häuslichen Pflege mit. Das Bundesgesundheitsministerium hatte im Jahr 2018 zu Kindern und Jugendlichen, die zu Hause in die Pflege eingebunden sind, eine kurze Untersuchung veranlasst.
Fast eine halbe Million junge Menschen kümmert sich mit um ihre Angehörigen, die chronisch körperlich oder psychisch krank sind oder eine Behinderung haben. Bei der häuslichen Pflege lassen sich die Arbeitszeiten nicht ermitteln. Daher gibt es dazu keine Daten.
Terre des Hommes stellt in seinem Kinderarbeitsreport 2024 fest, dass in Deutschland mehr Kinder und Jugendliche unter Bedingungen arbeiten, die ihre körperliche und seelische Gesundheit, ihre Entwicklung und Bildungschancen beeinträchtigen, als die zuständigen Aufsichtsbehörden ermitteln.