Deutschland profitiert bis heute von Kinderarbeit – und schaut weg
Kinderarbeit ist kein Thema der Vergangenheit oder ferner Länder. Auch Deutschland profitiert bis heute davon und schaut weg. Doch es gibt Hoffnung.
Was hierzulande meist verdrängt wird, ist die Tatsache, dass Kinderarbeit in Deutschland auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Kinder waren junge Erwachsene und wurden auch so eingesetzt. Auch die Kinder mussten für den Familienunterhalt aufkommen.
Das war in der Landwirtschaft normal und wurde auch während der Industrialisierung so gesehen. Kinder schufteten in der Fabrik. Dies war wichtiger als ein Schulbesuch. Kinder waren die billigeren Arbeitskräfte, die stundenlang gekrümmt zwischen Webstühlen hockten oder in die schmalen Schächte der Bergwerke krochen.
Militär als treibende Kraft gegen Kinderausbeutung
Die Ausbeutung der Arbeitskraft der kleinen Erwachsenen wurde damit begründet, dass man befürchtete, dass die Kinder verwahrlosten, wenn sie nicht arbeiteten. Den Begriff Kindheit und seine Zuordnung zu einer Entwicklungsphase im menschlichen Leben wurde vor allem durch die Ideen des französischen Philosophen Jean Jacques Rousseau erst angestoßen.
Seit 1763 gab es immerhin schon eine für ganz Preußen verbindliche Schulpflicht, die vielmals mit dem Wunsch des Militärs nach einer stabilen Konditionierung ihrer Rekruten in Verbindung gebracht wird.
Eine deutliche Reduzierung der Kinderausbeutung geht im Übrigen ebenfalls auf das Militär zurück. In den 1820er-Jahren gab es unter Friedrich Wilhelm III. erste Bemühungen, die Kinderarbeit einzuschränken. Ein Grund dafür war die Furcht des Militärs, keine geeigneten Rekruten mehr zu finden.
In Europa war das Vereinigte Königreich, wo die Industrialisierung begann, im Jahre 1833 das erste Land, welches die Kinderarbeit beschränkte.
Am 9. März 1839 verabschiedete dann Preußen erstmals ein Gesetz, das Kinderarbeit reglementierte. Kinder unter neun Jahren durften nun nicht mehr arbeiten, alle anderen bis 16 Jahre nur dann, wenn sie einen Schulnachweis vorweisen konnten. In der Praxis wurde die Einhaltung dieses Gesetzes jedoch erst in den 1850er-Jahren mit der Einführung einer Gewerbe-Inspektion durch Fabrik-Inspektoren.
Das Verbot der Kinderarbeit: Vom Gesetz zur Realität
Damit war die Kinderarbeit hierzulande jedoch mitnichten beendet. Bis in die 1920er-Jahre zogen Kinder aus Tirol, Südtirol, Vorarlberg, Liechtenstein und der Schweiz zu Fuß über die Alpen nach Oberschwaben, um dort den Sommer über als Schwabenkinder vorwiegend in der Landwirtschaft zu arbeiten.
Die Kinderarbeit in der sächsischen Textilindustrie von 1800 bis 1938 ist bis heute noch kaum erforscht. So stellt sich noch heute die Frage, warum in Sachsen offenbar Kinderarbeit verbreiteter war als in anderen deutschen Staaten wie in Preußen.
Kinderarbeit nach 1949: Offiziell verboten, heimlich geduldet
Seit 1949 war Kinderarbeit in der DDR verboten. Der Westen Deutschlands zog formell 1960 nach. In beiden Teilen Deutschlands mussten jedoch Kinder bis in die 1980er-Jahre hinein hart arbeiten. Die Kinderarbeit hatte sich jedoch seit ihrem offiziellen Verbot in die Heimarbeit verlagert, wo sie noch für lange Zeit im Verborgenen weiter existierte.
In der Öffentlichkeit wahrnehmbar war sie dann nur noch im Bereich der Touristik und wenn man genau hinschaute, bei den Zeitungsausträgern, die sich vor Schulbeginn ein Taschengeld verdienen wollten.
In der Öffentlichkeit meist übersehen wird hierzulande eine besonders perfide Form der Kinderarbeit im Leistungssport, wo Kindern oft ein geradezu unmenschliches Trainingspensum abgepresst wird und andere dann vom Verkauf der Übertragungsrechte profitieren, während die Kinder mehr oder weniger leer ausgehen.
Inzwischen führt der Fachkräftemangel in vielen Industriestaaten dazu, dass das Verbot der Kinderarbeit deutlich gelockert wird. In Deutschland, wo man inzwischen die Werbung für die Bundeswehr verstärkt in die Schulen trägt, dürfen sich inzwischen auch 17-Jährige für die Arbeit beim Militär verpflichten.
Bundeswehr und Minderjährige: Ein fragwürdiger Trend
Warum die Zahl der männlichen Minderjährigen, welche sich bei der Bundeswehr verpflichten, derzeit weiter ansteigt, obwohl ihnen der Gebrauch der Waffe nur für Ausbildungszwecke ermöglicht wird, wird teilweise mit dem Krieg in der Ukraine in Zusammenhang gebracht.
Den Ukrainekrieg als Begründung für das Interesse der Jugendlichen am Militärdienst heranzuziehen, wagt jedoch bislang noch niemand.
Kakao-Lieferketten: Bittere Wahrheiten über süße Schokolade
Die bekannteste Lieferkette, die mehrheitlich von Kinderarbeit profitiert, ist die Kakao- und damit die Schokoladen-Produktion.
Die kleinbäuerlichen Anbaustrukturen und die über lange Zeit gesunkenen Preise führen dazu, dass zur Kostensenkung vielfach Kinder in den Kakao-Anbau und die Verarbeitung in den Erzeugerländern eingebunden werden. Die Bauern waren nicht in der Lage, erwachsene Arbeitskräfte zu bezahlen.
Die in den Plantagen arbeitenden Kinder, die wie in der Elfenbeinküste häufig aus den ärmeren Nachbarländern stammen, bekommen für ihre Arbeit keinen Lohn. Das Geld geht, wie zu Zeiten des Sklavenhandels an die Vermittler und zum kleineren Teil an den Vater des Kindes.
EU-Lieferkettenrichtlinie: Lobbyisten bremsen Fortschritt aus
Mit der europäischen Lieferkettenrichtlinie wollte die EU den Anbietern hierzulande die Pflicht auferlegen, einen dokumentierten Blick auf die Arbeitsverhältnisse in ihren Lieferketten zu werfen. Das EU-Vorhaben, das ursprünglich strengere Grenzwerte vorsah und mehr Firmen betroffen hätte, wurde nicht zuletzt aufgrund der Opposition der deutschen FDP deutlich entkernt.
Im Hintergrund standen dabei Lobbygruppen wie die Familienunternehmer, die sich fundamental gegen eine Verantwortung deutscher Unternehmen für ihre Lieferketten auflehnten.
Menschen- oder gar Kinderrechte jenseits der theoretischen Bekenntnisse scheinen in der Praxis nicht zur Firmenkultur der Familienunternehmer zu passen, die ihre Präsidentin Marie-Christine Ostermann landauf landab durch alle Talkshows schicken, um Stimmung gegen eine Dokumentationspflicht der Lieferketten zu machen.