EU-Lieferkettengesetz: Attacke gegen den Billigkonsum
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Der andere Blick: Die Regulierung ist ein Angriff auf Konsum- und Lebensgewohnheiten der EU-Bürger unter fragwürdigen Vorwänden. Gastbeitrag.
Erwartungsgemäß hat das Europäische Parlament Ende April dem umstrittenen EU-Lieferkettengesetz mit deutlicher Mehrheit zugestimmt.
Ein großer Erfolg für die EU-Kommission
Nun bedarf es nur noch der offiziellen Zustimmung derjenigen EU-Staaten, die sich in den vergangenen Monaten hinter dem Vorhaben versammelt haben, nachdem die FDP dazwischen gegrätscht war.
Dies ist ein großer Erfolg für die EU-Kommission, denn es gelang ihr, die Mehrheit im Rat der EU, die ihr durch die von der FDP erzwungene Enthaltung Deutschlands verloren gegangen war, sogar ohne das stimmengewichtige Deutschland wiederherzustellen.
FDP und Unternehmerverbände: "Bürokratische Hürden"
In ihrem Abwehrkampf hatte die FDP geltend gemacht, dass der Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen eine "mittelstandsfreundliche, schlanke und rechtssichere" Lieferkettenregulierung vorsehe, so Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP).
In der ausgehandelten Form sei das Gesetz aber sogar "unzumutbar für kleine und mittelständische Unternehmen".
Damit kritisierte die FDP – analog zu den vielen Unternehmensverbänden, die seit Langem gegen das Gesetz Sturm gelaufen sind – insbesondere die "unverhältnismäßigen bürokratischen Hürden und Rechtsunsicherheiten", die vor allem dadurch entstehen, dass der Anwendungsbereich "völlig realitätsfern" über die gesamte Lieferkette ausgeweitet wird.
Denn nach dem Willen der EU können Unternehmen zukünftig bis in ferne Länder für Verfehlungen ihrer Unterlieferanten vor europäischen Gerichten in Haftung genommen, sofern sie die von der EU vorgegebenen Sozial- und Umweltnormen nicht in der gesamten Lieferkette durchdrücken.
Gründe für erfolglosen Abwehrkampf
In ihrem erfolglosen Abwehrkampf – der offenbar bei anderen EU-Staaten, die der Lieferkettenrichtlinie durchaus kritisch und sogar ablehnend gegenüberstanden, nicht gezündet hat – unterschätzte die FDP die enorme politische Bedeutung dieses Vorhabens und glaubte daher offenbar, sie könne mit ausschließlich wirtschaftlichen Argumenten durchdringen.
Die Blockade der FDP krankte daran, dass sie ihre Ablehnung allein mit wirtschaftlichen Nachteilen und Beeinträchtigungen der Unternehmen begründete, den politischen und ideologischen Kern der Lieferkettenrichtlinie jedoch nicht infrage stellte.
Diesen haben die Befürworter der Richtlinie seit Jahren mit großer Medienresonanz sehr erfolgreich in den Vordergrund gerückt.
SPD: Großer Schritt für gerechtere Globalisierung
So feiert beispielsweise die SPD-Bundestagsfraktion die Richtlinie als eine "große Errungenschaft (und) großen Schritt in Richtung nachhaltige und gerechte Globalisierung", wofür die Partei lange gekämpft habe.
Der ideologische Kern der Lieferkettenrichtlinie besteht für die EU darin, sich von dem bis dato dominierenden Charakter der wirtschaftlichen Beziehungen zu den weniger entwickelten Ländern sowohl moralisch als auch praktisch zu distanzieren.
Dieser sei bisher vermeintlich einseitig auf hohen Profiten europäischer Unternehmen und preisgünstigem Massenkonsum der Europäer ausgerichtet und beruhe dazu auf der Ausbeutung von Mensch und Natur in ärmeren Ländern.
Unethische Unternehmen?
Indem die FDP lediglich die negativen Auswirkungen auf EU-Unternehmen ins Feld führte, bestätigte sie damit sogar den in den Lieferkettengesetzen implizierten Vorwurf, dass die Unternehmen einseitig zulasten ärmerer Länder orientiert seien und im Zweifel auf Klima, Umwelt und soziale Belange keine Rücksicht nähmen.
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Gigantischer Sturm der Entrüstung
So folgte auf die zwischenzeitliche Blockade der Lieferkettenrichtlinie ein gigantischer Sturm der Entrüstung. Die zeitweise im Raum gestandene Absage der Richtlinie sei ganz und gar "moralisches Versagen", tönte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher.
Denn mit dem Lieferkettengesetz gehe es schließlich
"um den Schutz von Menschenrechten, angemessene Arbeitsbedingungen, den Schutz von Umwelt, Klima und Biodiversität und die Verhinderung eines Missbrauchs von Marktmacht durch europäische Unternehmen, vor allem in den ärmsten Ländern des Südens".
Aber das werde vereitelt, da offenbar "die Unterstützung wirtschaftlicher Interessen oberste Priorität der Außenpolitik" sei.
Der Einwand, dass das Lieferkettengesetz zu kostspielig sei – etwa wegen des bürokratischen Aufwands – und vor allem kleinere europäischen Unternehmen dadurch in globalen Märkten Wettbewerbsnachteile hätten, sei in Anbetracht der "wichtigen Werte", die das Lieferkettengesetz schütze, "ethisch nicht vertretbar".
Rein ökonomische Einwände verpuffen
Derartig aufgeblasenen moralischen Ansprüchen konnten die Gegner mit rein ökonomischen Einwänden nichts entgegensetzen.
Das Werben des FDP-geführten Bundesjustizministerium für einen "Neustart der Verhandlungen" nach den im Juni anstehenden Europawahlen verpuffte daher, denn dies hätte die von der EU-Technokratie gewünschte radikale Neugestaltung der Beziehungen und deren moralische Fundierung möglicherweise verwässert und somit den Kern der Lieferkettenrichtlinie beschädigt.
Daher ging die EU-Kommission in die Offensive und konnte in kurzer Zeit und mit kleineren Zugeständnissen an die Wirtschaft die erforderlichen politischen Mehrheiten bei den EU-Mitgliedsstaaten herstellen.
Nach dem nun erzielten Kompromiss wird die Richtlinie nicht schon für Unternehmen ab 500, sondern erst ab 1.000 Beschäftigten und ab einem Jahresumsatz von 450 anstatt zuvor 150 Millionen Euro gelten.
Green Deal über Lieferketten
Gleich im ersten Satz des Lieferkettenrichtlinien-Entwurfs macht die EU-Kommission deutlich, welchen Zielen die ökonomische Reorganisation dienen soll, und wofür die EU-Unternehmen in den Beritt genommen werden sollen.
"Das Verhalten von Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen", schreibt die EU-Kommission, sei
"von entscheidender Bedeutung für den erfolgreichen Übergang der Union zu einer klimaneutralen und grünen Wirtschaft im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal und für die Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung, zu denen auch ihre menschenrechts- und umweltbezogenen Ziele zählen".
Mit der EU-Lieferkettenrichtlinie schafft die EU eine moralische wie auch rechtliche Grundlage, um die hiesigen Umwelt-, Klima- und Sozialstandards auch gegenüber ärmeren Ländern durchzudrücken und die dortigen Produzenten zu deren Einhaltung zu zwingen.
Eine neue Form des Protektionismus
So sollen alle Unternehmen, die Waren in die EU importieren – in Umkehrung ihrer bisherigen Rolle, in der sie für die Ausbeutung anderer Länder verantwortlich gemacht werden – als Hebel genutzt werden, um dem Grünen Deal der EU Weltgeltung zu verschaffen.
Dies ist bestenfalls eine neue Form des Protektionismus, der es der EU erlaubt, Unternehmen aus dem hiesigen Markt auszuschließen, sofern sie nicht die hiesigen Normen einhalten.
Diese Weltschicht der EU-Technokratie wird inzwischen von vielen ärmeren Ländern, wie beispielsweise von Brasiliens Präsident Lula da Silva, als "grüner Neokolonialismus" gegeißelt.
Folgen des gnadenlosen Wettbewerbs
Denn völlig zu Recht beklagen sie, dass sie in einem harten Wettbewerb zu entwickelten Volkswirtschaften stehen, die durch ihre wesentlich kapitalintensivere Produktion eine so extrem viel höhere Arbeitsproduktivität erreichen, dass ärmere Länder nur dadurch mithalten können, dass sie weniger hohe Umwelt- und Klimastandards anlegen und die Arbeitskosten auf einem deutlich niedrigeren Niveau liegen.
Die Lieferkettengesetze bedrohen sogar dieses niedrige Entwicklungsniveau. Denn sie sanktionieren die Produzenten dieser Länder und zielen letztlich darauf ab, in den nach Europa exportieren Waren durch das Oktroyieren westlicher Standards Probleme wie etwa Kinderarbeit "auszumerzen".
Entwicklungschancen?
Um den Ländern jedoch Entwicklungschancen zu bieten, müsste die EU ihre Märkte öffnen.
Vor allem aber müsste es den Ländern selbst überlassen bleiben, darüber zu entscheiden und abzuwägen, welche Arbeits- und Umweltstandards sie auf dem aktuellen Entwicklungsstand durchsetzen können und wollen, um andererseits nicht das Wirtschafts- und Wohlstandswachstum zu gefährden, das sie benötigen, um ein höheres Entwicklungsniveau zu erreichen.
Dann könnten sie nicht nur bei der Exportproduktion, sondern generell höhere Arbeits- und Umweltstandards erreichen.
Das EU-Lieferkettengesetz ist moralisch extrem aufgepumpt, denn nur so lässt sich die mit der Richtlinie gewollte Verletzung der Souveränitätsrechte weniger entwickelter Länder vor der europäischen Öffentlichkeit legitimieren.
"Nicht mehr auf unethischen Konsum angewiesen"
Typisch für die dadurch mögliche Verdrehung der Realitäten ist das Statement der grünen Europaabgeordneten Anna Cavazzini, wonach das Lieferkettengesetz bei konsequenter Umsetzung "ein 'game changer' hin zu einer gerechteren Globalisierung werden" könne.
Endlich seien die "Verbraucherinnen und Verbraucher in der gesamten Europäischen Union" nicht mehr auf unethischen Konsum angewiesen, sondern sie könnten "darauf vertrauen, dass sie mit ihrem Konsum von Schokolade oder Kaffee nicht Mensch oder Umwelt ausbeuten".