Schlachtfeld Jemen: Der neue, große Krieg?
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Israel versucht, im Jemen militärisch Fakten zu schaffen. Nach Hisbollah, Assad und Hamas sollen nun die Huthis an die Reihe kommen. Was das für die Region bedeutet.
Deutlicher hätten der israelische Staat und seine ultranationalistische Regierung die Verachtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht zum Ausdruck bringen können.
Während sich die WHO auf ihrer Homepage mit der zum frommen Wunsch degenerierten Nachricht schmückt, man werde Gaza weiterhin unterstützen, bombardiert die israelische Luftwaffe den internationalen jemenitischen Flughafen von Sanaa.
Was zunächst wie ein geographisch und politisch zusammenhangloses Mosaiksteinchen aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als tragische Inszenierung.
Auf dem Rollfeld befand sich zum Zeitpunkt des Raketeneinschlags das Flugzeug von WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus, der den bitterarmen Jemen besuchte. Laut Spiegel überlebte der äthiopische Immunologe sowie Außenminister a.D. den Angriff nur knapp.
Einer seiner Mitarbeiter wurde leicht verletzt, erst Stunden später, konnte Tedros das Land sicher verlassen. Der erste Akt eines nächsten Feldzuges zur endgültigen Ausschaltung des iranischen Einflusses?
Ungeheuerliches Verbrechen
Via X veröffentlichte Tedros ein Video der Angriffe, nach eigenen Angaben verfehlten ihn und sein Team umherfliegende Splitter nur um Zentimeter. Das Pikante: Offenbar handelte es sich mindestens um eine geplante, intensive Provokation, im schlimmsten Fall sogar um einen Mordanschlag auf ein hochrangiges Mitglied der globalen UN-Familie. Denn: Nach Angaben von Tedros war sein Aufenthaltsort international bekannt, wie er im BBC-Podcast aussagt.
Das "Verbrechen" des in Dänemark studierten Mediziners ist ungeheuerlich: Entgegen der Behauptung der israelischen Hasbara setzt sich Tedros für die Freilassung der von Israel entführten Krankenhausdirektoren ein und kämpft mit seiner Organisation gegen Windmühlen. Israel verfügt über alle erdenklichen Machtmittel – die WHO über keine.
Der Anschlag auf den WHO-Chef könnte der Beginn einer neuen Eskalation im Nahen Osten sein. Im Zuge der aktuellen Machtverschiebungen will die ungleiche Achse Tel-Aviv und Riad den letzten direkten militärischen Gegner in die Steinzeit zurückbomben.
Benjamin Netanjahu hat bereits das Mantra einer Kriegserklärung ausgegeben: "Wir fangen gerade erst an". Der ehemalige Kämpfer der Tigray-Befreiungsfront wäre das erste prominente Opfer eines neuen, alten Krieges um die Vorherrschaft über die Transportrouten am Persisch-Arabischen Golf. Die Jemeniten werden seit Jahren wirtschaftlich und militärisch stranguliert.
Letztes Störfeuer der Sandalenkämpfer
Der Angriff der israelischen Luftwaffe hat eine mehrjährige Vorgeschichte. Konkreter Anlass war die Bombardierung eines Spielplatzes in Tel-Aviv in den Tagen zuvor. Mindestens 16 unschuldige Menschen starben, eine immense Zahl im Vergleich zu den nahezu wirkungslosen Angriffen der "iranischen Vergeltung" (+- ein Verletzter). Aber die Ursachen liegen tiefer.
Ausgerechnet Benjamin Netanjahu erklärte, Israel wolle "den jemenitischen Zweig der iranischen Achse des Bösen kappen". Neben der Hamas, dem Assad-Clan und der libanesischen Hisbollah galten die jemenitischen Ansharollah (nach ihrem Gründer Hussein al-Houthi auch Huthis genannt, aber ursprünglich eine Vorgängerorganisation der heutigen Kampfformation) als letzte Verbündete des Iran in der Region.
In den Leitmedien und im deutschen Mainstream-Diskurs ist es üblich, insbesondere ihre religiösen Verbindungen und Komplementaritäten hervorzuheben. Der Prophet Mohammed ist jedoch nur ein Teil der vielfältigen Verbindungen der selbsternannten "Achse des Widerstands". Im Kern geht es beiden Polen um wirtschaftliche Machtsicherung. Auch und gerade für die prowestlichen Interventionsarmeen.
Die im Westen oft als hinterwäldlerische Sandalenkrieger karikierten jemenitischen Gotteskrieger trotzen seit Jahren dem saudischen Dauerfeuer, im 2014 entstandenen Machtvakuum, den kriegerischen Interventionen von außen, der miserablen wirtschaftlichen Strangulierungssituation sowie den Dutzenden, veritablen Nahrungsmittelengpässen wussten die Ansharollah die Gunst der Stunde zu nutzen.
Gestützt auf die vermeintlich geeinten Stammeskräfte in und um Sanaa mauserten sich die Huthis zu einem ernstzunehmenden geopolitischen Einflussfaktor.
Spielball Teherans?
Laut einer Analyse von 2019 haben die Huthi zwischen 180.000 und 200.000 bewaffnete Männer.
Zu ihrem Arsenal gehören Panzer, Drohnen und ballistische Raketen mit einer Reichweite von bis zu 3.000 Kilometern. In einer ideologisch gefärbten Analyse des amerikanischen Csis heißt es, dass die Al-Kuds Brigaden (Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden) die Huthis mit Waffen und Know-how ausgestattet haben.
Doch es gibt Zweifel: die Huthis seien keine direkten Befehlsempfänger Teherans. Im Gegenteil: Sie gelten als weniger eingebunden in die regionalen Operationen und als freier in der Entscheidungsfindung.
Dafür gibt es Gründe: Zum einen wird die Zahl der militärischen Unterstützer Teherans im Jemen als gering eingeschätzt (ca. 100 Personen), die finanzielle Unterstützung steht für Teheran im Vergleich zu Gaza oder Beirut an letzter Stelle, und es gibt die chinesische Entspannung zwischen Riad und Teheran. Dies ändert jedoch wenig daran, dass Israel auch das kleinste Glied der Kette der iranischen Proxies beseitigen will. Die Zeichen der Zeit stehen dafür besser denn je...