EU-Lieferkettengesetz: Attacke gegen den Billigkonsum

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Mit der EU-Lieferkettenrichtlinie geht es jedoch auch darum – und das dürfte der weitaus wichtigere Aspekt sein – den EU-Bürgern deutlich zu machen, dass sie sich den wohlstandssenkenden Effekten des Grünen Deals beugen müssen, anstatt – wie die bereits seit Jahren stark betroffenen Bauern – dagegen aufzubegehren.

Mit diesem wohlstandssenkenden Programm verfolgt die EU-Kommission das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, um Europa bis 2050 sogar zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen.

Die in Deutschland längst absehbaren Folgen sind der Niedergang vor allem energieintensiver Branchen wie etwa Stahl- und Chemieindustrie sowie über den Zeitraum dieser Transformation steigende Energiekosten, die die Bürger direkt belasten.

Zudem sind aber auch die Unternehmen gezwungen, die steigenden Energiekosten an die Verbraucher zu überwälzen, denn sie erreichen kaum noch Produktivitätsverbesserungen, die es ihnen erlauben würden, diese Kostensteigerungen auszugleichen.

Um selbst keinen wirtschaftlichen Schaden zu nehmen, müssen sie daher versuchen, die steigenden Energiekosten an die Verbraucher abwälzen, was zu langfristig sinkenden Realeinkommen führt.

Verheerende Verhältnisse und Vorhaltungen

Wegen der – gemessen an den hiesigen Standards – in der Tat oft verheerenden Verhältnisse in weniger entwickelten Länder, die von extremen Niedriglöhnen bis hin zu Kinder- und sogar Sklavenarbeit und fehlendem Natur- und Klimaschutz reichen, bieten ärmere Länder eine ideale Projektionsfläche.

Die Lieferkettengesetze dienen dazu, den hiesigen Bürgern vorzuhalten, dass ihr relativer Wohlstand das Ergebnis dieser fehlgeleiteten europäischen Konsum- und Wirtschaftsweise sei, die einseitig auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruhe und deren Folgen sich in ärmeren Ländern am offensichtlichsten zeigen.

Fußball-Trikot: 15 Cent für die Näherin in Bangladesch

Erst seit einigen Jahren, aber mit stetig steigendem Interesse hat sich die Politik in den entwickelten Ländern dieser Themen angenommen, nachdem dies lange Zeit ein Metier westlicher NGOs und seit einiger Zeit auch von Unternehmen war, die sich zum Schutz ihrer Reputation mit den NGOs – ihren oft schärfsten Kritikern – verbündet haben.

Nach dem verheerenden Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch am 24. April 2013, bei der mehr als 1000 Menschen ums Leben kamen, mehr als 2500 verletzt wurden und publik wurde, dass auch europäische Modefirmen wie Primark, Mango, KiK oder C&A dort Kleidung für den Export produzieren ließen, mutierte die deutsche Politik zum Sprachrohr der Opfer und stellte empört die Praktiken westlicher Konzerne an den Pranger.

Eine prägende Rolle bei der Formulierung einer politischen Reaktion kam dem langjährigen Bundestags- und EU-Abgeordneten Gerd Müller (CSU) zu, der 2013 Bundesentwicklungsminister wurde und dieses Amt in zwei Legislaturperioden innehatte. Mit der Textilindustrie ging er damals entsprechend hart ins Gericht.

Das nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 vermarktete Trikot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit seinen vier Sternen kostete damals 84 Euro. Davon, so Müller, bekäme "die Näherin in Bangladesch 15 Cent." Kinder bearbeiteten barfuß Leder in der Chemiebrühe, damit die reichen Länder an billige Lederhosen kämen.

"Wir brauchen ökologische und soziale Mindeststandards", bekräftigte er schon damals.

Wer trägt die Verantwortung?

Um deutlich zu machen, dass die europäischen Konsumenten wie auch die Unternehmen hierfür die Hauptverantwortung tragen und sie jederzeit die Möglichkeit hätten, durch ihr eigenes Verhalten dies abzustellen, rief Müller zu Konsumboykotten auf – unter anderem gegen Shell und Adidas – und drängte die Unternehmen zu freiwilligen Vereinbarungen in ihren Lieferketten.

Müller und sein damaliger Amtskollege, der heute noch amtierende Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD), hatten den Unternehmen in Deutschland mehrfach mit einem Lieferkettengesetz gedroht, sofern sie nicht freiwillig in ihren Lieferketten soziale und ökologische Standards einhielten.

"Freiwilligkeit reicht nicht aus"

Nachdem sich bei wiederholten Regierungsbefragungen weniger als die Hälfte der Unternehmen dazu bekannte, diese Standards durchzusetzen, stellten Müller und Heil einhellig fest, dass "Freiwilligkeit" nicht ausreiche und es einen "gesetzlichen Rahmen" brauche.

So kam nicht nur das seit Anfang 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz ins Rollen, sondern auch das wesentlich schärfere EU-Lieferkettengesetz, dessen Entstehung Heil als einer der "großen Erfolge" der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2020 feierte.

Lieferketten sind in den entwickelten Volkswirtschaften seit Jahrzehnten immer mehr in den Fokus gerückt, weil die nach dem Zweiten Weltkrieg dominierende Perspektive, wonach die weniger entwickelten Länder zu dem Wohlstandsniveau der westlichen Welt aufschließen sollten, inzwischen einer entgegengesetzten Sichtweise gewichen ist.

Die wachstumsskeptische Haltung

Heute dominiert in den meinungsführenden Kreisen Europas nicht nur eine ambivalente, sondern in der Regel sogar feindliche Einstellung gegenüber wirtschaftlichem Wachstum und Entwicklung. Begründet wird diese wachstumsskeptische Haltung mit dem steigenden Ressourcenverbrauch, der die vermeintlichen ökologischen Grenzen zu überschreiten drohe.

Als abwegig gilt es daher, dass Milliarden Menschen die gleichen Technologien – wie beispielsweise die Nutzung billiger fossiler Energie - wie entwickelte Gesellschaften einsetzen, um zügig deren Wohlstandsniveau zu erreichen. Nicht Wohlstandszuwachs, sondern Kontrolle und Begrenzung des ökologischen Fußabdrucks in ärmeren Ländern ist das Anliegen der Lieferkettenbefürworter.

Die frühere Orientierung in der Entwicklungspolitik, die Wirtschafts- und Wohlstandswachstum als zentrale Voraussetzungen betrachtete, um etwa Kinderarbeit zu verhindern, ist einem verengten Blick auf die Lieferketten gewichen.

Unter völliger Missachtung des Wohlstandsniveaus, geht es nur noch darum, die aus europäischer Sicht unethischen Praktiken in den Lieferketten "auszumerzen".

Kategorischer Imperativ ohne Rücksicht auf Kollateralschäden und Wohlstandeinbußen

Der EU-Technokratie ist es gelungen, die von der EU ausgehende Lieferkettenkontrolle zum moralischen Imperativ zu erheben und ihre eigene Rolle als ethisch handelnde und regelsetzende Instanz und als Machtzentrum gegenüber den Bürgern zu legitimieren.

Um den Unternehmen und den Bürgern fehlende Moral zu attestieren, setzt man gezielt auf das inzwischen etablierte Bild einseitig ausbeuterischer Unternehmen und den zulasten von Mensch und Natur gehenden günstigen Konsum der arbeitenden Massen und verunglimpft sie als unethisch, indem man sie für Missstände in den Lieferketten in weniger entwickelten Ländern direkt verantwortlich macht.

Mit der gezielten moralischen Herabsetzung der hiesigen Konsumenten wird die globale Durchsetzung des von den EU-Technokraten gesetzten Wertekanons geradezu als kategorischer Imperativ legitimiert – ohne Rücksicht auf Kollateralschäden und Wohlstandeinbußen in den ärmeren Ländern und in Europa.

Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch "Die Zombiewirtschaft - Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind" mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.