Wie der georgische Traum zum europäischen Albtraum wird
Georgiens Regierung legt Beitrittsgespräche auf Eis. Im Land eskalieren die Proteste. EU-Diplomaten intern: Rolle Moskaus wohl größer als gedacht.
Seit Tagen eskalieren in Georgien die Proteste. Tausende Menschen gehen auf die Straße, um für einen Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union zu demonstrieren. Doch die russlandfreundliche Regierung will davon nichts wissen und hat die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel bis 2028 auf Eis gelegt. Das berichtet die ARD
Die Demonstranten werfen der Regierungspartei "Georgischer Traum" Verrat an der georgischen Verfassung vor, in der ein EU-Beitritt festgeschrieben ist. Die Polizei geht mit harter Hand gegen die Protestierenden vor. Es kommt zu gewaltsamen Zusammenstößen, bei denen Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt werden. Hunderte Menschen wurden festgenommen.
Doch die Proteste reißen nicht ab. Zahlreiche Schulen und Universitäten stellten den Lehrbetrieb auf unbestimmte Zeit ein, um sich mit den Demonstranten zu solidarisieren. Auch Mitarbeiter der Ministerien und Richter distanzieren sich von der Entscheidung der Regierung. Zwei Botschafter Georgiens reichten laut Medienberichten sogar ihren Rücktritt ein.
Reaktion der baltischen Staaten, der USA und der EU
Scharfe Kritik kommt auch aus dem Ausland. Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen verhängten Sanktionen gegen die georgische Führung. Sie werfen der Regierung vor, legitime Proteste zu unterdrücken und Menschenrechtsverletzungen zu begehen.
Auch die USA setzen ihre strategische Partnerschaft mit Georgien vorübergehend aus. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bedauerte die Entscheidung der Regierung, betonte aber, dass die EU weiter an der Seite der Georgier stehe.
Russland: Vergleich mit der Ukraine 2014
Russland zieht Parallelen zur Ukraine. Kremlsprecher Dmitri Peskow verglich die Ereignisse in Georgien mit dem Maidan-Aufstand in Kiew 2014, der zum Sturz des russlandfreundlichen Präsidenten Janukowitsch führte. Schon damals demonstrierten Menschen für einen proeuropäischen Kurs ihres Landes.
Die aktuelle Krise in Georgien hat ihren Ursprung in der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl Ende Oktober. Die Regierungspartei "Georgischer Traum" wurde trotz Protesten mit rund 54 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt.
Die prowestliche Opposition und die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili erkennen das Ergebnis nicht an. Sie fordern eine Wiederholung der Wahl.
Auswirkungen auf Sicherheit in Europa
Die Eskalation in Georgien könnte auch Auswirkungen auf die Sicherheit in ganz Europa haben. Das kleine Land im Südkaukasus liegt strategisch wichtig zwischen Russland, der Türkei und dem Iran. Ein instabiles Georgien wäre ein Einfallstor für Konflikte in der Region.
Zudem ist das Land ein wichtiger Energiekorridor für Gas und Öl aus dem Kaspischen Meer nach Europa. Eine weitere Destabilisierung Georgiens durch den Machtkampf zwischen pro-europäischen und pro-russischen Kräften liegt nicht im Interesse der EU und des Westens.
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Lage in Georgien weiterentwickelt. Klar ist: Die Menschen wollen eine Zukunft in einem vereinten Europa. Doch die Regierung stellt sich quer und riskiert damit nicht nur die Zukunft ihres eigenen Landes, sondern die Stabilität der gesamten Region.
In einer hochbrisanten Sitzung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees der EU hatte der Leiter der Wahlbeobachtungsmission der OSZE jüngst zudem ein düsteres Bild der jüngsten Wahlen in Georgien gezeichnet.
Seine Schilderungen enthüllten ein Land am Scheideweg, dessen demokratische Institutionen von Manipulationen und russischem Einfluss untergraben werden, so ein beteiligter Diplomat.
Schwerwiegende Unregelmäßigkeiten bei den georgischen Wahlen
Nach Berichten, die Telepolis vorliegen, belegen schwerwiegende Unregelmäßigkeiten bei den georgischen Wahlen. Laut Eoghan Murphy, Leiter der Wahlbeobachtungsmission, gab es enge Verbindungen zwischen der zentralen Wahlbehörde und der Regierung.
Das Vertrauen der Bürger in die offiziellen Institutionen sei auf einem Tiefpunkt, habe der OSZE-Mann vor Funktionären und Diplomaten der EU gesagt.
Als besonders besorgniserregend habe er den Missbrauch von Regierungsgeldern für den Wahlkampf sowie Einschüchterungen und Erpressungen von Rentnern und Staatsbediensteten bezeichnet.
Zwar seien keine klassischen Wahlfälschungen großen Ausmaßes nachweisbar gewesen, doch habe die Regierung systematisch die öffentliche Meinung manipuliert, unter anderem durch ein Gesetz zur Kontrolle zivilgesellschaftlicher Organisationen.
Vorwürfe zum Einfluss Russlands
Die Diskussion im internen EU-Gremium offenbarte die Sorge vieler EU-Staaten über die Entwicklungen in Georgien. Der aktuelle politische Kurs führe das Land immer weiter weg von der EU, die problematischen Wahlen seien nur ein weiterer Meilenstein in diesem Prozess. Deutschlands Vertreter bedauerte diese Tendenz und forderte eine breite Diskussion über das weitere Vorgehen der EU gegenüber Georgien.
Brisant ist der Vorwurf, die georgische Regierung stehe klar unter russischem Einfluss, auch wenn es keine Hinweise auf eine breit angelegte russische Desinformationskampagne gebe, wie sie in anderen Ländern der Region zu beobachten war.
Unregelmäßigkeiten am Wahltag, wie Verstöße gegen das Wahlgeheimnis und der Einsatz von Kameras zur Verunsicherung von Wählern, werden als bewusste Manipulationen eingeschätzt.
Zerreißprobe für EU-Politik
Die Krise in Georgien stellt nach Einschätzung von EU-Strategen auch die EU-Politik in ihrer östlichen Nachbarschaft vor eine Zerreißprobe. Sollte sich das Land weiter von demokratischen Standards entfernen und unter russischen Einfluss geraten, droht eine dauerhafte Destabilisierung der Region. Dies hätte auch Auswirkungen auf die Sicherheitsinteressen Deutschlands und der EU.
Gleichzeitig wirft die Situation Fragen zur Effektivität der EU-Unterstützung für Georgien auf. Trotz jahrelanger Bemühungen zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung scheint das Land nun einen anderen Weg einzuschlagen. Die EU muss nun ihre Strategie überdenken und entscheiden, wie sie auf die Herausforderungen reagieren will.
Die georgische Regierung scheint derzeit nicht an einem Dialog mit westlichen Partnern interessiert zu sein, so ein deutscher EU-Diplomat, der an den Aussprachen teilnahm. Empfehlungen der Wahlbeobachter würden ignoriert, selbst eine Vorstellung des OSZE-Berichts im Land sei ungewiss. Es liege nun an der EU, geschlossen und entschieden für die Einhaltung demokratischer Prinzipien einzutreten.