Schicksalswahlen in Georgien – zwischen "euroatlantisch" und "postsowjetisch"
EU und Russland ringen um Einfluss im kleinen Kaukasus-Staat. Entscheidet sich hier die Zukunft einer ganzen Region? Eine Analyse.
Die deutschen Leitmedien fahren gerade die schweren Geschütze auf.
Die Frankfurter Rundschau titelt, dass Zehntausende "gegen Russlands Einfluss" demonstrierten, die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (seit 2007 mit dem Namenszusatz für die "Freiheit") fragt nach einem "Ende des Albtraums" und meint damit die prorussische Ausrichtung des Landes und das Flaggschiff des deutschen Konservatismus – die Frankfurter Allgemeine Zeitung – belegt die Demonstrationen in Tiflis, Batumi oder Kutaissi mit der Beschreibung "für Europa".
Verhärtete Fronten
Eigentlich steht das kleine, mit 3,7 Millionen Einwohnern ökonomisch unbedeutende Land Georgien im eurasischen Südkaukasus gelegen, selten im Fokus hiesiger medialer Berichterstattung. Dies ändert sich zu den – nahezu zeitgleich mit den Abstimmungen in Moldau – stattfindenden Wahlen schlagartig.
Die Fronten zwischen der pro-europäischen Opposition und der Regierungspartei "Georgischer Traum" scheinen verhärtet. Während die Opposition versucht, mit blauen EU-Fahnen, georgischen Nationalflaggen und der Europahymne die Straßen zu fluten und nebenbei die passenden Bilderstrecken für deutsche Schlagzeilen liefert, versucht die Regierungspartei die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili abzusetzen. Die Fronten vor dem 26. Oktober sind verhärtet.
Stein des Anstoßes – ein Gesetz aus Moskau?
Das Verhältnis von Brüssel und Tiflis trüben aktuell dunkelgraue Gewitterwolken – die EU hat die, eigentlich erst seit Dezember 2023 gestarteten Beitrittsverhandlungen, am 28. Juni 2024 auf Eis gelegt. Dazu muss jedoch gesagt werden, dass die EU-Beitrittsverhandlungen ohnehin mit Vorsicht zu genießen sind.
Für Freunde des langen Atem sei erwähnt, dass die EU mit der Türkei mehr oder minder opportun und angepasst an das türkische "Verhalten" gegenüber der EU und ihren Politiken seit dem 11. Dezember 1999 verhandelt, bisher ohne Beitritt der Türkei. Der Hintergrund und der Auslöser der aktuellen Fehde ist ein im Sommer 2024 in Georgien verabschiedetes Gesetz über die "Transparenz des öffentlichen Leben".
Die, zwischen Russland und der EU changierende Regierung, welche sich aber näher an Moskau wähnte, versucht damit insbesondere westliche Nichtregierungsorganisationen an die Kandare zu legen.
Das Gesetz sieht vor, dass sofern eine NGO mehr als 20 Prozent ihrer Finanzen aus dem Ausland bezieht, diese beim georgischen Justizministerium angemeldet werden müssen. Kritik kam vehement aus dem Westen – prowestliche Politiker versuchten das Gesetz am Abstimmungstag zu verhindern, im Parlament flogen die Fäuste, die USA und der kollektive Westen warfen Georgien eine Orientierung am russischen Gesetz über "ausländische Agenten" vor.
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Dieses russische Gesetz sieht seit 2012 vor, gesellschaftliche Organisationen und seit 2020 auch Privatpersonen als "politisch tätig" zu registrieren, die aus dem Ausland beeinflusst werden.
Treppenwitz der Geschichte hingegen: das russische Gesetz nahm sich dezidiert die USA und ihre Kommission gegen "unamerikanische Umtriebe" von 1938 zum Vorbild. In der amerikanischen Rechtsprechung wurde mit dem "Foriegn Agents Registration Act (FARA)" ein Paragraph installiert, welcher vorsieht, dass sich Personen, die politisch oder wirtschaftlich für einen anderen Staat in den USA aktiv sind, sich zu melden, zu registrieren und zu dokumentieren haben. Der FARA ist bis heute in Kraft.
Zwischen NGO-Macht und Geopolitik
Die amtierende Regierung befürchtet offen, dass der Einfluss diverser von Brüssel, Berlin oder Washington gesponserter Nichtregierungsorganisationen einen neuen "Maidan" auslösen könnte.
Bisher ist jedoch weder die georgische Polizei massiv gegen die aufkeimenden Proteste vorgegangen, noch sind die Demonstranten durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen, auch wenn beide Seiten – bewaffnete Demonstranten oder gewalttätige Funktionäre – davon sprechen.
Gleichwohl fällt es schwer, Licht in das Dunkel der NGO-Organe und ihrer Finanzen zu bringen – nach einem Bericht der Tagesschau könnten zwischen 31.339 Organisationen und lediglich 4.051 aktiv sein.
Im Artikel, der sich auf die US-Regierungsorganisation Usaid beruft, wird zudem davon gesprochen, dass die EU zwischen 2021 und 2024 340 Millionen an "Hilfen" für Rechtsstaatlichkeit, Institutionen und weitere Bereiche bereitgestellt hat. Spannend in dieser Hinsicht ist, dass es Russland – folgend seiner roten Linien und der Historie des Ukraine-Konfliktes – darum gehen dürfte, ein Abdriften des Landes in prowestliche Gefilde zu verhindern. Seit dem 5-Tage-Krieg und dem Jahr 2008 sind russische Truppen in Abchasien und Südossetien stationiert.
Die EU wird versuchen – gemeinsam mit der NATO und den USA – einen weiteren postsowjetischen Staat in eine deutlichere Westbindung zu bekommen. Als sicher kann gelten, dass – insofern die Wahlergebnisse nicht dem Gusto der zersplitterten Opposition entsprechen werden – von Wahlfälschung gesprochen werden wird.
Wie es danach mit der Ruhe im Land und den Aktivitäten der Opposition und der Nicht-Regierungsorganisation bestellt ist, wird die Zeit zeigen und ist zum jetzigen Stand offen. In jedem Fall steckt hinter den Etiketten "für Europa" oder "für Russland", weniger die Frage nach Demokratie, Menschenrechten oder Wandel, als knallharte Geopolitik.
Ein Beispiel: Der bekannteste Banker Georgiens, Mamuka Charasadse, will sich am "Georgischen Traum" rächen, weil die Regierungspartei ihm eine geplante Investition in den Tiefseehafen (Anaklia) am Schwarzen Meer verweigert haben soll. Er gründete daraufhin die Partei Lelo, die auf europäischer Ebene mit der Alde verbunden ist. Der Alde gehört die deutsche FDP an, Vorsitzende ist die FDP-Politikerin Svenja Hahn (MdEP).
Die Regierung reagierte mit Korruptionsvorwürfen gegen Charadsadse, den Amnesty International und das US-Außenministerium zu entlasten versuchten. Hier zeigt sich exemplarisch, worum es im Kern geht: um Macht und Einfluss, um Profit und geopolitische Kontrolle. Georgien hat aufgrund seiner geographischen Lage eine zentrale geopolitische, handelsökonomische und militärpolitische Funktion.