Kanzlerbesuch in der Ukraine: Zwischen Solidarität und Wahlkampf
Olaf Scholz ist überraschend nach Kyjiw gereist. Der Kanzler verspricht neue Waffenlieferungen für 650 Millionen Euro. Der Zeitpunkt des Besuchs wirft Fragen auf.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist am Montag überraschend zu einem Kurzbesuch in die ukrainische Hauptstadt Kiew (Kyjiw) gereist, die Eilmeldung verbreitete sich am Morgen. Es ist erst der zweite Besuch des Kanzlers seit Beginn der russischen Invasion vor über 1.000 Tagen – und er steht deutlich im Zeichen eines kurzen und harten Bundestagswahlkampfes.
"Deutschland wird der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben"
In Kiew betonte Scholz seine Solidarität mit der Ukraine und versprach neue Waffenlieferungen im Wert von 650 Millionen Euro noch im Dezember. "Deutschland wird der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa bleiben", sagte der Kanzler.
Neben konkreter Unterstützung dürfte es in den Gesprächen mit Präsident Wolodymyr Selenskyj auch um mögliche Friedensverhandlungen gehen. Der designierte US-Präsident Donald Trump hatte angekündigt, den Krieg schnell beenden zu wollen – was in Kiew und Berlin die Sorge weckt, er könnte über die Köpfe der Ukrainer und Europäer hinweg Bedingungen diktieren.
Kriegskulisse für Wahlkampf?
Kritische Töne zum Kanzlerbesuch kommen vom Spiegel: Der Zeitpunkt, kurz vor Scholz' Vertrauensfrage im Bundestag und möglichen Neuwahlen Ende Februar, werfe Fragen auf. Der Eindruck liege nahe, Scholz nutze die Kriegskulisse für Wahlkampfzwecke, um sich als "Friedenskanzler" zu inszenieren.
Scholz habe bei vorigen Bemühungen, den Krieg diplomatisch zu beenden, Rückschläge einstecken müssen, so das Nachrichtenmagazin. Ein Telefonat mit Kreml-Chef Wladimir Putin blieb ergebnislos, auch der Versuch, das Thema beim G-20-Gipfel zu adressieren. International scheine das Interesse am Ukrainekrieg gering.
Neue Dynamik in der Ukraine-Debatte
Mit dem Regierungswechsel in den USA und den bevorstehenden Neuwahlen in Deutschland kommt erhebliche Dynamik in die Ukraine-Debatte hierzulande. Das spüren vor allem die Grünen, deren Kurs in den Medien sehr unterschiedlich bewertet wird.
Der Auftritt von Olaf Scholz auf der sogenannten "Wahlsieg-Konferenz" der SPD und seine anschließenden Beiträge in den sozialen Medien seien am Wochenende auf scharfe Kritik von CDU, FDP und seinem grünen Koalitionspartner gestoßen, schrieb der in Berlin erscheinende Tagesspiegel.
Kritik der Grünen an Scholz
Ein Frontalangriff kam von Grünen-Politiker Anton Hofreiter: "Der Kanzler spielt mit den Ängsten der Bevölkerung, um die Wahl zu gewinnen." Gegenüber dem Tagesspiegel sagte er weiter: "Ein solch absolut unverantwortliches Gerede, das am Ende nur Kreml-Chef Wladimir Putin hilft, können wir Grüne als Koalitionspartner nicht akzeptieren."
Die konservative Schweizer Weltwoche hingegen kommentiert die Politik der Grünen süffisant:
Franziska Brantner, neue Grünen-Chefin, war spürbar ausser(!) sich, als sie im Bild-Gespräch mögliche Koalitionspartner auf ihre Kriegstauglichkeit für die Ukraine abklopfte.
SPD? Geht gar nicht. Unsichere Kantonisten im besten Fall. Eher vaterlandslose Gesellen wie schon unter Kaiser Wilhelm.
CDU? Nicht viel besser. Okay, Chef Merz hat den Finger am Abzug. Fahnenjunker eben. Aber an der Basis bröckelt sie, die Nibelungentreue zum Schmerzensmann Wolodymyr.
Wohlgemerkt: Brantner ist eine Grüne, Mitglied einer Partei, die Pazifismus ebenso in ihrer DNA hatte wie Skepsis gegenüber den Dauerkriegen der Supermacht USA.
Die Weltwoche